Balve. Der Bürgermeister im Corona-Check: Im Interview zeigt Hubertus Mühling Verständnis für Kritik, erklärt aber auch, was möglich ist und was nicht.
In der Bevölkerung wächst ausweislich des Corona-Checks der WP der Unmut über das Krisenmanagement der öffentlichen Hand. Bürgermeister Hubertus Mühling (CDU) wirbt im WP-Interview für sein Handeln in der Corona-Krise. Hier das ganze Gespräch mit dem Bürgermeister, das im Print in Auszügen erschienen ist.
WP: Mein Wort des Jahres ist der „Krisenmanager“. Sie machen diesen Job seit mehr als einem Jahr. Kann man das lernen?
Mühling: Ich behaupte mal, Krisenmanager kann man nicht lehren; das muss man lernen, aus der Krise heraus, egal welche Krise es ist. Man wächst an seinen Aufgaben.
Welche Voraussetzungen sind nötig, um in der Krise möglichst gut zu lernen?
Ein gewisses Maß an Gelassenheit, Abgeklärtheit und auch Routine, die die Jahre mit sich bringen.
Wer viel Erfahrung hat, kann gut improvisieren.
Sie müssen die Netzwerke kennen, sie müssen die Abläufe kennen, sie müssen wissen, wie die Bevölkerung reagiert. Da hilft Routine. Wenn man in Hektik verfällt, hilft das keinem. Das hilft dem Umfeld nicht, das mitarbeiten muss, und das hilft der Sache nicht.
In der Bevölkerung wächst der Unmut über die lange Zeit der Corona-Beschränkungen, und zugleich wächst der Unmut über das Krisenmanagement der öffentlichen Hand. Können Sie die Kritik verstehen?
Ja, natürlich. Man erwartet klare, richtungsweisende Entscheidungen. Die menschliche Psyche hätte gern Verlässlichkeit und Kontinuität. Das ist eine Seite der Medaille ist. Die andere ist: Wir haben es hier mit einer Situation zu tun, für uns alle neu war, alle. Wir fahren auf Sicht, und da ist es sehr schwer, langfristige Entscheidungen zu treffen.
Sie nehmen zwei Erwartungen wahr, die sich gegenseitig ausschließen.
Wir sind auf unterster Verwaltungsebene. Die meisten Vorgaben, Gesetze, Verordnungen, kommen vom Bund und vom Land. Ich sage ganz offen: Da sind viele falsche Entscheidungen getroffen worden, viele Entscheidungen zu kurzfristig. Der Behördenapparat hat manches so lange ausgefeilt, bis die Entscheidungen erst freitags um 21 Uhr kamen – in der Erwartung, dass sie am Montag darauf umgesetzt werden. Ich denke beispielsweise daran, ob Schulen geöffnet werden sollen oder nicht. Das kann man besser machen. Aber ich bleibe dabei: Wir fahren auf Sicht.
Das lasse ich für die erste Phase der Pandemie gelten. Aber inzwischen liegen Erfahrungen vor.
Ich würde das ein bisschen mit Amerika vergleichen. Wir sind an einer Stelle, die ich mir schon eher erwünscht hätte. Der Förderalismus hat uns im letzten Jahr lange geholfen, sehr gut, sehr differenzierte Betrachtungsweise. Aber der gute Geist des Förderalismus’ hat uns Ende letzten Jahres verlassen, als die zweite Welle gekommen ist. Da trifft man Verabredungen nach stundenlangen Nachtsitzungen am nächsten Morgen etwas, was drei Stunden später schon obsolet ist. Öffnungen in dieser Zeit sind uns später, im Januar, ganz böse aufs Butterbrot geschlagen. Das ist uns im Februar und auch im März wieder passiert. Da haben die Vertreter des Föderalismus erkannt: Wir sind hier am Ende. Da hätte ich mir ein klares Durchregieren und auch klare Ansagen gewünscht. Sie sind jetzt endlich mit dem Bundesinfektionsschutzgesetz erreicht und umgesetzt.
Das Gesetz hat einheitliche Kriterien, die aber dennoch bei Bedarf regional unterschiedlich umgesetzt werden können.
HM: Der Föderalismus ist ja nicht weg. Aber es gibt endlich klare Regeln. Das würde ich mir für solche Ausnahmesituationen viel stärker wünschen. Deshalb habe ich bewusst Amerika genannt. Da gibt es Präsidialerlasse, die das in Ausnahmefällen möglich machen.
Gehen wir noch mal von der hohen Politik zur Kommunalpolitik. Was würden Sie inzwischen anders machen?
Ohne überheblich zu sein: eigentlich nicht sehr viel. Wir haben als Stadt vermieden, eine Allgemeinverfügung zu erlassen. Das ist das einzige Instrument, was wir als Stadt haben. Unsere Mittel sind begrenzt. Was wir gemacht haben und wofür wir auch gelobt worden sind: Wir haben sehr schnell und sehr gut informiert. Wir waren eine der ersten Kommunen, die eine eigene Corona-Seite aufgebaut haben. Wir haben als Ordnungsbehörde nicht so hart Dinge durchgesetzt; wir waren eher Berater. Wir haben auf Verständnis, Einsicht und Achtsamkeit der Bürger gesetzt.
Das hat nur bedingt funktioniert. Muss das Ordnungsamt härter auftreten?
HM: Das tun wir jetzt, in Kombination mit Polizei. Das Problem war vorher auch schon da. Aber es hat sich durch Corona verstärkt. Es ist nicht schön, wie sich viele junge Leute gerade verhalten, bis hin zu Autorennen und Drogen. Aber: Jugendliche haben im Moment keine Rückzugsräume. Ich habe dafür ein großes Maß an Verständnis. Trotzdem muss man sich an Regeln halten. Ganz nebenbei: Es sind ja nicht nur unsere Jugendlichen, es sind auch Besucher, die von außerhalb kommen, so gerne wir sie sonst hier haben.
Die Stadt hat kein eigenes Jugendamt. Sie arbeitet mit dem Kreis enger zusammen als größere Städte. Wie läuft die Kooperation in der Krisenzeit?
Der Landrat hat die Städte angehört, bevor seine Allgemeinverfügungen erlassen hat. Er müsste das nicht. Ich finde das Format gut. Wir sitzen in einer Videoschalte zusammen, in der sich der Landrat ein Stimmungsbild abholt. Natürlich will der Landrat wissen, ob die Städte seine Entscheidungen mittragen.
Bei der ersten Notbremse, die es ja vor der Bundesnotbremse gab, hat der Kreis den damaligen Grenzwert gerissen. Passiert ist nichts. Hätte der Kreis eine andere Entscheidung treffen sollen?
Ob der Kreis seine Allgemeinverfügung eine Woche eher hätte erlassen sollen, kann man heute genüsslich diskutieren. Der Landrat hat am Ende das entschieden, was noch in seiner Hand lag: die Ausgangsbeschränkungen. Die Schulen hat er sich geklemmt. Er wusste, da kommt noch was vom Land.
Die Entscheidung, die Schulen zu schließen, hätte vom Land bereits in den Osterferien getroffen werden sollen, nicht erst zum Schluss.
Natürlich! Es war doch allen klar, dass auf Schließungen hinaus läuft. Aber noch mal zu Ihrer Frage zurückzukommen: Der Kreis hätte nicht anders entscheiden können. Alles andere hätte nur Kontrolle und deren Umsetzung betroffen. Was ich verbiete, muss ich auch kontrollieren.