Balve. Gabi Kaiser-Demmers Ehemann Rolf ist seit 15 Jahren an Demenz erkrankt. Beim Verein „Treffpunkt Demenz Balve fand sie Unterstützung.
Rolf Demmer war ein Leben lang berufstätig, hat drei Kinder großgezogen – und war ein Großmeister fernöstlicher Kampfsportarten. Er beherrschte Judo, Jiu-Jitsu und schließlich noch Tai Chi. Der Sport war sein Leben, das Training sein Ein und Alles. Er hat mehrere schwarze Gürtel, wurde deutscher Vizemeister, bildete Kinder und Jugendliche aus und fuhr zu Wettkämpfen als Kampfrichter. Bis die Krankheit kam. „Mein Mann hatte eigentlich nur Schlafstörungen, und nahm deshalb an einer wissenschaftlichen Studie teil“, erinnert sich Gabi Kaiser-Demmer an die Zeit der Diagnose vor 15 Jahren. Sie war erschüttert, als sie erfuhr, dass ihr Mann, mit dem sie seit 25 Jahren lebt, an einer Krankheit leidet, die sich Lewy-Body-Demenz nennt.
„Damals kokettierte Rolf noch damit und wollte es nicht wirklich wahrhaben“ – Erinnerungslücken hat ja jeder mal. „Ich hatte dagegen schon länger die Befürchtung, dass es eine Form der Demenz sein könnte“, sagt die ehemalige Versicherungsmitarbeiterin.
Gesundheitszustand verschlimmert
Der Gesundheitszustand des heute 78-Jährigen verschlimmerte sich dramatisch. Die Lewy-Body-Demenz verläuft in Schüben, typischerweise mit Wortfindungsstörungen und Halluzinationen. Eine Odyssee der Suche nach Hilfe begann – für ihren Mann und sie selbst.„Wir suchten Informationen im Internet, Förderangebote, Ärzte, und fühlten uns damals sehr allein.“ Eine VHS-Gruppe in der Nähe kam mangels Teilnehmern nicht zustande, eine Betreuung für das Leben zuhause musste privat organisiert - und bezahlt - werden.
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Gabi Kaiser-Demmer, heute 65 Jahre alt, war berufstätig und konnte ihren Mann nicht rund um die Uhr versorgen. In einer Iserlohner Ärztin fand das Paar große Unterstützung und die richtige Behandlung. Eine Teilzeitkraft betreute Rolf stundenweise. Im 2014 gegründeten Verein „Treffpunkt Demenz Balve e.V.“ konnte sich Gabi Kaiser-Demmer mit anderen pflegenden Angehörigen austauschen, fand Hilfe und Entlastung. Und bekam eine zuverlässige häusliche Betreuung.
Dort absolvierte sie selbst eine Ausbildung zur niederschwelligen Betreuungskraft. „Ich konnte rechtzeitig in Rente gehen, sonst wäre das nicht möglich gewesen“, so die dreifache Mutter. Ein möglichst normales Leben wollten die beiden trotz der Krankheit so lange wie möglich führen. „Mein Mann hat durch seinen Sport sehr viele Freunde, die ihm unter anderem weiterhin Tai-Chi-Lehrgänge ermöglichten. Ich brachte ihn also zum Bus, und in Saarbrücken holten ihn die Kampfsportfreunde ab“, schildert Gabi und gibt zu, dass sie oft Angst hatte. „Was, wenn er kurz ausgestiegen wäre und nicht zurückgefunden hätte?“ Also bestach sie manches Mal die Busfahrer, damit die ihn im Auge behielten. Auch die geliebten Kreuzfahrten, zum Nordkap oder über die Ostsee, behielt das Paar bis vor zwei Jahren bei. „Manchmal verirrte sich Rolf an Bord, die Panik war groß. „Mitarbeiter der Security fanden ihn erst nach 20 Minuten wieder. Ich war vollkommen fertig.“
Seit zwei Jahren in Rundum-Betreuung
Sie schildert Vorkommnisse, bei denen Haustürhändler trotz erkennbarer Demenz nicht davor zurückschreckten, mit ihrem Mann Geschäfte abzuschließen. Und irgendwann ging es nicht mehr. Rolf Demmer lebt seit nun zwei Jahren in Rundum-Betreuung.
Mehr als „Gedächtnisstörung“
Am Anfang der Krankheit sind häufig Kurzzeitgedächtnis und Merkfähigkeit gestört, im weiteren Verlauf verschwinden auch bereits eingeprägte Inhalte des Langzeitgedächtnisses. Die Betroffenen verlieren so mehr und mehr die während ihres Lebens erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Eine Demenz ist jedoch weitaus mehr als eine einfache „Gedächtnisstörung“. Sie kann sich auch in einer zunehmenden Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, der Sprache, des Auffassungs- und Denkvermögens sowie der Orientierung zeigen. Somit erschüttert eine Demenzerkrankung das ganze Sein des Menschen – seine Wahrnehmung, sein Verhalten und sein Erleben.
Es gibt viele verschiedene Formen und Ausprägungen - „Alzheimer“ oder „Lewy Body“ sind nur zwei von vielen. Eine frühe Diagnose ist wichtig. Genau wie die Unterstützung betreuender Angehöriger. Der „Treffpunkt Demenz Balve e.V.“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Betroffenen und Angehörigen Anlaufstelle und Hilfe zugleich zu sein. Der Verein hat sich „die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Demenz in Balve und Umgebung und Entlastung für die Angehörigen“ zum Ziel gesetzt. Der Treffpunkt ermöglicht auch Schulungen zur niederschwelligen Betreuung nach §45 SGB 12, für Angehörige oder als berufliches Sprungbrett. Der im Jahr 2014 gegründete Verein wird unterstützt vom Gesundheitscampus und der Senioreneinrichtung St. Johannes. Vorsitzende und Ansprechpartnerin ist Heike Guth-Mindhoff, 02375/204400.
Nach zwei Pflegeeinrichtungen fand Gabi das Richtige für ihren Mann: eine Wohngruppe für an Demenz Erkrankte in Werdohl mit umfassender Betreuung. Dort besucht sie ihn, so oft es geht, mindestens dreimal pro Woche. Genau wie sein Sohn, der in der Nähe lebt. „Er erkennt uns beide noch, aber nur im ersten Moment“, erklärt die 65-Jährige.
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Entscheidung für Wohngruppe
Sie hat sich für diese Wohngruppe entschieden, weil sie, wie sie sagt, nicht warten wollte, bis ihre Liebe durch die Belastungen und die Anforderungen verloren geht. Gabi Kaiser-Demmer hat sich als Angehörige früh wichtige Freiräume geschaffen. Sie singt in einem Gospelchor, schwimmt leidenschaftlich gern und arbeitet nun ehrenamtlich als Ausbilderin bei den Maltesern und im Werkschutz Altena.
Die Pflegekräfte der Wohngruppe hingegen staunen regelmäßig über ihren besonderen Erkrankten: Wenn sie sein Zimmer betreten, sehen sie ihn mitunter hochkomplizierte Bewegungsabläufe üben – Formen des Tai Chi. Er bewegt sich langsam, fehlerfrei und ist offenbar glücklich.