Eisborn. . Die Erzieherin aus Eisborn zeigt gern auf ihr starkes Team: ihre Familie, ihr Dorf. Und doch ist Julia Michael eine ganz besondere Frau.

Schützenfestsonntag im Juni 2012: Es sollte ihr großer Tag werden. Sie hatten sich wahnsinnig auf den großen Umzug durch Eisborn gefreut, Julia Michael im prächtigen Königinnenkleid und ihr Mann Mario mit der Königskette um den Hals. Das Wetter passte, gemeinsam mit ihrem Hofstaat hatten sie schon ein tolles Jahr als Königspaar hinter sich. Doch dann kam, nach Monaten der Ungewissheit, ausgerechnet jetzt eine Nachricht, die den jungen Eltern buchstäblich den Boden unter den Füßen wegriss.

Der Tag, der alles änderte

„Wir haben zwei Tage vor dem Schützenfest erfahren, dass unsere Tochter Franziska das Rett-Syndrom hat. Eine unheilbare Krankheit, eine lebensverkürzende Behinderung. Plötzlich wussten wir, warum sie mit zwei Jahren immer noch nicht laufen konnte, warum ihre Hände zitterten und sie nicht mehr sprach“, erzählt Julia. „Was sollten wir jetzt machen? Alle hätten verstanden, wenn wir das Schützenfest hätten ausfallen lassen, aber Franziska ging es ja deshalb nicht anders. Wir haben uns entschieden, das alles jetzt auch durchzuziehen, und das Dorf hat uns getragen.“ Das ist typisch Julia Michael.

Ein Wanddurchbruch für Franzi

Sechs Jahre sind seitdem vergangen. Ein Foto vom Tag des Schützenumzugs hängt noch an der Wand. Daneben Fotos von Sohn Jonathan als Baby, von Franziska bei ihrer Einschulung. Gerade bauen die Michaels um. Es soll einen Durchbruch von der Küche ins Wohnzimmer geben, dann ist es auch für Franziska in ihrem Rollstuhl einfacher. Heute hat die Achtjährige einen guten Tag.

Sie sieht dem Papa ähnlich

Gute Tage bedeuten, dass sich ihr Körper nicht so oft verkrampft, dass sie genug Luft bekommt und von Julia gefüttert werden kann. Über die Magensonde nimmt sie dann nur ihre Medikamente zu sich. „Franzi“, wie ihre Mutter sie nennt, sitzt im Rollstuhl neben dem Esstisch, schaut mit wachen, blauen Augen zu, was um sie herum passiert. Ihre kleinen Hände wippen hin und her. Sie hat kinnlange, dunkelblonde Haare und lange, schlanke Beine wie ein Topmodel. Franzi sieht ihrem Papa sehr ähnlich, ihr jüngerer Bruder Jonathan, der Mama.

Was ist das Rett-Syndrom?

Das Rett-Syndrom ist die Folge einer Mutation, salopp gesagt, ein dummer Zufall. Pro Jahr erkranken in Deutschland etwa 50 Kinder daran. Betroffen sind eigentlich nur Mädchen, die Jungen schaffen es erst gar nicht auf die Welt. Deshalb war es auch kein Risiko, als Julia und Mario sich entschieden haben, noch ein Kind zu bekommen.

Die Sache mit den blöden Blicken

Es fällt kaum auf, so selbstverständlich schraubt Julia nur mit dem rechten Arm auch Franzis Wasserflasche auf, denn von Geburt hat fehlt der Powerfrau ihr linker Arm. Keine Laune der Natur, sondern einfach die Nabelschnur, die den linken Arm während der Schwangerschaft abgeschnürt hatte, ist der Grund. „Ich hatte damit noch nie ein Problem“, sagt Julia. „Dank meiner Eltern, die mich immer selbstbewusst erzogen und überall mit hingenommen haben. So versuche ich es eigentlich auch, mit Franzi zu machen.“ Ihr selbst haben blöde Blicke nie etwas ausgemacht. „Wenn Leute heute aber Franzi anstarren, dann kommt sofort der mütterliche Beschützerinstinkt hoch. Das kann ich überhaupt nicht leiden.“ Passiert aber sowieso nur wie kürzlich, im Urlaub auf Gran Canaria, wo keiner Franzi kannte. Hier in Eisborn nicht. Da weiß jeder, wer sie ist.

Ein Loblied auf das Dorf

Noch immer übermannen Julia ab und zu die Tränen, wenn sie vom Familienleben in Eisborn mit ihrer Tochter erzählt. „Ich bin wirklich froh, dass wir hier leben. Wir werden so sehr unterstützt, ob es die Vereine sind, meine Familie, Franzis Patentante, einfach alle.

Nächstes Jahr geht Franzi zur Kommunion, und die anderen Mütter waren sofort dafür, als ich gefragt habe, ob wir es nicht in Eisborn in der Schützenhalle machen könnten, damit sie auch dabei sein kann. „Seit der Diagnose ist das Dorf echt besser als eine Stadt“, sagt die 38-Jährige, die selbst schon zwei Jahre in München gelebt hat. Dort hat sie auch ihren Mann kennengelernt.

Von München ins Sauerland

Dass die beiden ein echtes Team sind, merkt man, wenn Julia von ihm erzählt. Wie geduldig er sich trotz Schichtdienstes um die gemeinsame Tochter kümmert und überhaupt: dass er München verlassen hat, um mit Julia im Sauerland zu leben.

Auch Julia geht weiterhin arbeiten, im Kindergarten in Hüingsen. Vier Tage in der Woche. „Das brauche ich auch“, sagt sie. „Für mich.“

Kfd-Gruppe und Frauenfußball

Genau wie das ehrenamtliche Engagement als Kassiererin bei der Kfd-Ortsgruppe und den Trainerinnen-Posten einer Fußballfrauenmannschaft beim SuS Eisborn.

Wann ruht sich Julia überhaupt mal richtig aus? Nachts jedenfalls nicht, denn Franzi hat keinen Tag-Nacht-Rhythmus, vergleichbar mit einem Säugling, nur dass der irgendwann durchschläft. Für Julia und ihren Mann bleiben die Nächte unruhig, so lange Franzi lebt. Doch sie gibt so viel zurück, so viel Lachen und so viel Fröhlichkeit „Aber als stark sehe ich mich nicht, sondern als normale Frau. Stark, das sind wir nur zusammen.“