Balve. . Borkenkäfer – so schlimm war’s noch nie. Inzwischen fräst sich die fünfte Generation durchs Fichten-Holz. Zeit für einen Krisengipfel.

Borkenkäfer im Fichten-Forst – es wird immer schlimmer. Bereits im Frühjahr, nach ungewöhnlicher Trockenheit, plagten Förster Richard Nikodem düstere Ahnungen. Doch der Oktober-Sommer übertraf sie bei Weitem. Inzwischen fräst sich die fünfte Generation der gefräßigen Insekten durchs Holz, am liebsten zwischen Baum und Borke. Richard Nikodem: „Die Hälfte des Fichten-Bestandes ist in Gefahr. Es wird so schlimm wie bei ,Kyrill’.“

Dürre bringt schmale Jahresringe.
Dürre bringt schmale Jahresringe. © Jürgen Overkott

In normalen Jahren stellen Borkenkäfer keine Gefahr fürs Ökosystem Wald dar. Im Gegenteil: Ob Buchdrucker oder Kupferstecher – die kleinen Insekten fallen nur kranke Bäume an. Im Stoffwechsel des Waldes spielen sie eine wichtige Rolle.

Doch was ist in diesem Jahr normal? Der Sommer will kein Ende nehmen, und rappeltrocken ist er obendrein.

Richard Nikodem ist dem Borkenkäfer auf der Spur.
Richard Nikodem ist dem Borkenkäfer auf der Spur. © Jürgen Overkott

Bäume wie die Fichten reagieren darauf. Das Extremwetter stresst sie. Die Belastung fing übrigens keineswegs mit der ersten längeren Trockenheitsphase im Frühjahr an. Sie begann bereits im Winter, als „Friederike“ durchs Gehölz stürmte. Auf den ersten Blick sahen die Folgen längst nicht so dramatisch aus wie beim Monster-Sturm „Kyrill“. Dennoch hinterließ „Friederike“ Spuren der Verwüstung mit anhaltender Wirkung. Lichtungen entstanden. Seither kriegen Windböen Fichten zu fassen, die zuvor, dicht an dicht, geschützt standen. Sie rütteln gern an randständigen Fichten. Nicht selten mit Erfolg: „Wenn die Wurzeln den Kontakt zum Boden verlieren, sind die Fichten tot.“

Harz wehrt Käfer ab, normalerweise

Tote Bäume verströmen ein Aroma, auf das Borkenkäfer buchstäblich fliegen. „Sie haben einen sehr gut entwickelten Geruchssinn“, weiß der Wald-Experte. „Und sobald der erste Borkenkäfer unter der Rinde sitzt, sendet er Lockstoffe aus, die seine Kollegen anziehen.“

Wald und Holz NRW , Waldbegehung Forstamt mit Richard Nikodem
Wald und Holz NRW , Waldbegehung Forstamt mit Richard Nikodem © Marcus Bottin

Fichten wehren sich üblicherweise mit Harz gegen Borkenkäfer-Attacken. Doch wenn die Widerstandskräfte der Nadelgehölze dahin sind, haben Buchdrucker, Kupferstecher und andere Arten aus der Familie der Rüsselkäfer freie Bahn.

Was die gefräßigen Gesellen stoppt, ist Regen. Niederschläge begünstigen das Wachstum von Pilzen, gegen die der Borkenkäfer keine Chance hat. Doch das kühle Nass von oben ist in diesem Jahr so rar wie eine Gerade im Kreisverkehr. Wird Trockenheit zu Dürre, kann die Borkenkäfer niemand stoppen. Richard Nikodem: „Borkenkäfer vermehren sich exponentiell. Aus einem Borkenkäfer werden über fünf Generationen 1,5 Milliarden Borkenkäfer.“

Inzwischen sind’s fünf Generationen

Die gefräßigen Gesellen sitzen unter der Rinde.
Die gefräßigen Gesellen sitzen unter der Rinde. © Jürgen Overkott

Fünf Generationen: Normal sind zwei, höchstens drei. Es könnte sogar noch eine weitere Generation folgen. Auch wenn die Tageshöchsttemperaturen dieser Tage unter die 20-Grad-Marke gesunken sind: Selbst Spitzenwerte von 14 bis 16 Grad liegen deutlich überm langjährigen Oktober-Mittel. Peter Friedrich aus Menden wertet als einer von ganz wenigen Amateur-Meteorologen in der Region die Daten seiner Station aus. Am Dienstag zog er Zwischenbilanz. „Die erste Oktoberhälfte war deutlich zu warm, zu sonnig und ausgesprochen trocken.“ In der Nachbarstadt Menden lag das bisherige Monatsmittel bei 14,9 Grad, in Balve dürfte es kaum niedriger sein. Vor der Jahrtausendwende lag der Schnitt bei 10,1 Grad. Seither ist es um 0,3 Grad gestiegen. Kurzum: Der Oktober war bislang 3,5 Grad zu warm. Die Wärme sorgt dafür, dass die Wachstumsphase der Pflanzenwelt längst nicht abgeschlossen ist – kürzer werdenden Tagen zum Trotz. „Viele Bäume“, registrierte Richard Nikodem jüngst beim Fällen kranker Eschen im Hönnetal, „sind noch grün.“

Raupe Nimmersatt

Die Feinde des Borkenkäfers lassen sich an Fingern abzählen: Pilze und Spechte.
Die Feinde des Borkenkäfers lassen sich an Fingern abzählen: Pilze und Spechte. © Jürgen Overkott

Das Wetter ist in diesem Jahr extrem. Einzigartig ist es nicht. „1947 war auch ein Jahr mit extremer Trockenheit“, weiß Richard Nikodem, „damals gab es auch extreme Probleme mit dem Borkenkäfer.“ Allerdings konnten die Bestände der Raupe Nimmersatt seinerzeit nur geschätzt werden. Richard Nikodem kennt den Grund: „Damals gab es noch keine Pheromon-Fallen.“ Das sind Fallen, die Lockstoffe aussenden, auf die Borkenkäfer buchstäblich fliegen. Die Anzahl der gefangenen Tiere erlaubt Fachleuten Rückschlusse, wie viele ihrer Art sich im Umfeld der Falle tummeln.

Der Blick in die Geschichte öffnet leider nicht die Tür der Zukunft. Richard Nikodem weiß, dass sich unter Waldbesitzern allmählich Krisenstimmung breit macht. Am 8. November wollen sie zusammenkommen, auf dem Schultenhof. Eine Lösung fürs Borkenkäfer-Problem zu finden ist viel Holz.