Arnsberg. „Blaulicht eingeschaltet, verfolgen Jeep. Fahrzeug gestellt.” So dröhnt es am 10. Juli 1979 gegen 00.41 Uhr aus dem Funkgerät der Arnsberger Polizeiwache. Dann fallen plötzlich Schüsse. Die beiden Polizeibeamten Michael Gödde (26) und Bernd Korb (27) stürzen tödlich getroffen zu Boden.

Schoss sofort um sich: Jean-Luc Rikir, damals als belgischer Soldat in Arsnberg stationiert.
Schoss sofort um sich: Jean-Luc Rikir, damals als belgischer Soldat in Arsnberg stationiert. © WP

Ihr Mörder, der belgische Berufssoldat Jean-Luc Rikir (18), flieht vom Tatort.

Betrachtet man das Portrait-Foto des jungen Belgiers, dann deutet nichts darauf hin, dass er in dieser Sommernacht zum Mörder werden sollte. Jean-Luc Rikir, der aus Cheratte bei Lüttich stammt, wirkt mit seinem feingeschnittenen Gesicht wie ein Pennäler. Er kommt aus einem gutbürgerlichen Elternhaus, gilt als introvertiert, aber ruhig und freundlich gegenüber seinen Mitmenschen. Eigentlich hatte er Polizist werden wollen, wurde aber abgelehnt und ging deshalb zu den belgischen Streitkräften.

Nach seiner Grundausbildung wird Rikir nach Arnsberg versetzt. Hier fällt er, der weder einen zivilen noch einen militärischen Führerschein besitzt, zum ersten Mal negativ auf, als er einen Armee-Jeep entwendet. Dafür sitzt er acht Tage im Militärgefängnis ab und muss eine Geldstrafe zahlen.

Die Zeit danach wird schwer für Rikir. Er empfindet sein Verhältnis zur Armee als belastet und verliert den Kontakt zu seinen Vorgesetzten, die ihn später als zwar „befehlsgehorsam und arbeitswillig”, aber auch als „kindlich undiszipliniert beschreiben”. Er habe Angst gehabt, aus der Armee ausgestoßen zu werden, sagen seine Kameraden.

Was am Abend des 9. Julis in Jean-Luc Rikir vorgeht, vermag niemand zu verstehen. Vielleicht ist es die Furcht, die Armee verlassen zu müssen, die ihn treibt. Hat er sich nach Aussage seiner Stubenkameraden noch fröhlich an der Reinigung eines Panzers beteiligt, erscheint ihm gegen 22 Uhr alles sinnlos. Er will nur noch weg. Er kippt einige Gläser Bier, stiehlt ein Maschinengewehr, zehn Kisten Schnellfeuermunition, einen Jeep und fährt los. Dabei durchbricht Rikir das Tor der Jägerkaserne, doch die Wache meldet den Vorfall weder der deutschen noch der belgischen Polizei.

Erst ein Taxifahrer bemerkt Jean-Luc Rikir gegen Mitternacht zickzack-fahrend auf der Jägerbrücke, weist ihn daraufhin, dass er ohne Licht unterwegs ist und sieht dabei die Waffe auf dem Beifahrersitz liegen. Über Funk verständigt der Taxifahrer die Polizei, die gegen 0.20 Uhr die Verfolgung aufnimmt und den jungen Mann auf der B 7 in der Nähe der Degussa stellt. Da feuert Jean-Luc Rikir eine Salve auf die beiden Polizisten ab und rast weiter in Richtung Wannebachtal.

Derselbe Taxifahrer, der auch die Polizei verständigt hat, findet die beiden Polizisten: Bernd Korb hinter einer Leitplanke im Straßengraben, Michael Gödde auf der Straße. Er informiert die Arnsberger Polizeiwache und ruft den Rettungsdienst. Doch für die beiden Beamten, die in den Bauch getroffen wurden, kommt jede Hilfe zu spät. „Tod durch innere Blutungen”, wird die Obduktion später ergeben.

Inzwischen ist eine Soester Zivilstreife dem fliehenden Schützen auf den Fersen und stellt ihn in Breitenbruch. Dort kommt es zu einem Schusswechsel, bei dem Rikir in die Lunge getroffen und schwer verletzt wird. Die Flucht ist zu Ende. Jean-Luc Rikir wird ins Hüstener Karolinenkrankenhaus gebracht. Oberstaatsanwalt Werner Plitt beantragt Haftbefehl.

2 000 Trauergäste

Am 19. Dezember erhebt die Staatsanwaltschaft Arnsberg Anklage wegen zweifachen Mordes. Jean-Luc Rikir gesteht seine Tat. „Ich wollte nur weg, meine Einheit verlassen. Niemand sollte mich aufhalten können. Deshalb habe ich die viele Munition mitgenommen”, erklärt er den Ermittlern. Er habe immer einen klaren Kopf gehabt, aber nach seiner Flucht aus der Kaserne habe es kein Zurück mehr gegeben.

Als die Polizei ihn gestoppt habe und Bernd Korb nach seiner Waffe auf dem Beifahrersitz griff, habe er das MG schnell an sich gerissen, blitzschnell ein Magazin aufgestetzt und auf den Beamten gefeuert. Trotz mehrerer Bauchschüsse schafft es Korb, sich schwer verletzt hinter die Leitplanke zu schleppen, wo er stirbt. Dann eröffnet Rikir das Feuer auf Michael Gödde, der dreimal in den Bauch getroffen wird. Auch er hat keine Chance. „Ich war das Leben leid, alle waren schlecht zu mir, ich musste etwas tun”, gibt der 18-Jährige als sein Motiv an.

2 000 Trauergäste begleiten die beiden erschossenen Beamten auf ihrem letzten Weg.