Arnsberg. Ein Mann wütet im Supermarkt und wird dabei gefilmt. Die Arnsberger Fachanwältin Christina Reuther erklärt, was daran an Lynchjustiz erinnert.
Der Fall sorgte für Aufsehen in Arnsberg und darüber hinaus: Ein Mann hat am Dienstagnachmitttag in einem Rewe-Supermarkt und einer angrenzenden Bäckerei randaliert und dabei Teile der Einrichtung verwüstet. Die Polizei verhaftete den 30-jährigen Ghanaer und sprach von einem psychischen Ausnahmezustand. Aber: Der Mann wurde von einer Person oder mehreren Personen bei seinem Wüten gefilmt. Die Videos wurden hochgeladen und sind weiterhin im Netz zu finden - und sorgen für Empörung und Entsetzen. Christina Reuther, Fachanwältin für Strafrecht, spricht über Verbotenes und die Grenzen zu öffentlichen Tribunalen.
Frau Reuther, bis zu einer Verurteilung von Menschen gilt die Unschuldsvermutung. Hier auch?
Natürlich. Bis ein Urteil gesprochen wird, gilt man als unschuldig. Aber sicher hören wir oft genug in ähnlichen Fällen, wie in dem vorliegenden Fall, bei dem es ein Video von dem Handelnden gibt: „Was brauche ich hier ein Urteil? Ich habe es ja selbst gesehen...!“ Problematisch ist, dass die Flut solcher und ähnlicher Videos nicht eindämmbar ist. Dazu müssten wir das Internet abschalten.
Ist es denn verboten, solche Videos zu erstellen?
Es kommt darauf an. Es ist zum Beispiel verboten, Menschen in einem besonders geschützten Bereich, wie in der eigenen Wohnung, zu filmen. Unter Umständen ist das reine Filmen erlaubt, aber das Verbreiten steht unter Strafe. Man muss dabei immer den Einzelfall betrachten.
Ich stelle mir vor, Zeuge einer solchen Handlung zu sein und ein Handy greifbar zu haben. Darf ich denn gar nichts tun?
Doch, es kann beispielsweise erlaubt sein, Fotos oder Videos zu machen, wenn man sie anschließend der Polizei zur Verfügung stellt. Ordnungshüter und Strafverfolgungsbehörden haben den Auftrag, Straftaten zu verhindern und aufzuklären - diesen Auftrag hat nicht jeder, der gerade Langeweile hat.
Darf ich mir ein solches Video also nicht anschauen und es herunterladen?
Doch, das darf jeder. Sie dürfen es aber nicht weiter verbreiten, als Privatperson schon gar nicht. Damit machen Sie sich unter Umständen strafbar. Ich schreibe häufig im Namen von meinen Mandanten Netzbetreiber an, um sie zum Löschen eines Beitrags aufzufordern, der die Rechte meines Mandanten verletzt. Ein Gericht wird immer den Einzelfall betrachten und die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen gegen ein mögliches öffentliches Interesse abwägen.
Gilt das einheitlich in der ganzen EU?
Nein, das gilt für Deutschland als Ort der Veröffentlichung. Die EU hat Richtlinien erlassen, die die einzelnen Mitgliedstaaten umsetzen müssen. Somit hat jedes Land seine eigenen Gesetze
Der gesamte Oeventroper Fall, den praktisch die ganze Stadt beobachtet hat, erinnert an ein öffentliches Tribunal, einen modernen Pranger. Jeder kann kommentieren, und viele tun das auch. Ist die Gesellschaft machtlos?
Ein Stück weit sicherlich. Natürlich kann sich jeder gerichtlich wehren, es gibt oft Fälle, die vor Gericht landen. Die Verhandlungen wiederum sind grundsätzlich öffentlich, jeder kann sie verfolgen, wenn er will. Verhindern und aufhalten lässt sich eine Beeinflussung durch die Medien nicht. Man kann an den gesunden Menschenverstand der Leute appellieren und fragen: Würdet ihr genauso agieren, wenn es sich um einen engen Angehörigen von euch drehen würde? Viele erreicht man aber nicht damit, fürchte ich.