Sundern. Irmgard Harmann-Schütz und Franz Blome-Drees wollen in Sundern ein Zeichen der Solidarität mit Israel setzen.
Seit Schulzeiten befassen sie sich mit jüdischem Leben in Sundern, schrieben 1988 darüber ein Buch und betrieben viel Aufklärungsarbeit. Jetzt brachten Irmgard Harmann-Schütz und Franz Blome-Drees eine Resolution zur Solidarität mit Israel in der aktuellen Lage im Nahen Osten auf den Weg. Die Unterschriftenlisten werden an zentralen Orten wie der Stadtverwaltung Sundern und der VHS Sundern ausliegen. Bereits viele namhafte Sunderner aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft haben unterzeichnet. Mit dieser Zeitung sprachen beide im Vorfeld des Gedenktages zur Reichspogromnacht über ihre Beweggründe und ihre Angst vor neuem Antisemitismus.
Warum ist der 9. November auch heute noch ein so wichtiger Tag für die Erinnerungskultur?
Franz Blome-Drees: Der 9. November ist für Deutschland ein Schicksalstag. Und auch in Sundern war es der erste Überfall auf die Familie Klein. Ab da begann die Entrechtung der Familie. Und auch jetzt muss man was machen. Der Hass und die Radikalität des 7. Oktobers haben mich nun sehr betroffen gemacht, weil Bürger Israels regelrecht hingerichtet wurden.
Irmgard Haarmann-Schütz: An diesem Tag ist damals alle Zurückhaltung gefallen. Vorher hatte es vereinzelte Übergriffe gegeben. Nach der Reichspogromnacht ging das in die Breite. Die Bürger haben den Antisemitismus mitgetragen. Das war erschreckend. Diese Unmenschlichkeit von damals ist heute mit dem Hamas-Terror vergleichbar. Davor müssen wir warnen.
So ist der Wortlaut der Resolution
Nach dem Terrorangriff durch die Hamas stellt sich Sundern hinter Israel und spricht sich gegen antisemitische Anfeindungen und Übergriffe in Sundern, in Deutschland aus.
Am 7. Oktober 2023 überfällt die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas israelische Städte und Kibbuze. Es werden 1400 Kinder, Frauen und Männer heimtückisch ermordet, mehr als 200 Menschen als Geiseln in den Gaza-Streifen entführt.
Bürgerinnen und Bürger der Stadt Sundern verurteilen diesen durch nichts zu rechtfertigenden Terrorangriff der Hamas und erklären ihre Solidarität mit Israel. Zugleich nehmen wir das schreckliche Schicksal von Zivilisten in Israel und Gaza wahr, die bei den kriegerischen Auseinandersetzungen zu Tode kommen. Unser aufrichtiges Mitgefühl gilt allen israelischen Bürgerinnen und Bürgern und den unschuldigen Menschen im Gaza-Streifen.
Schockiert sehen wir in den letzten Wochen, wie sich in Deutschland im Rahmen von Demonstrationen antisemitische und allgemein rassistisch motivierte Vorfälle häufen und sich Gewalt Bahn bricht. Jüdische Menschen und Einrichtungen sind in Deutschland wieder konkret bedroht, etwa durch Brandanschläge auf Synagogen und durch die Kennzeichnung jüdischen Eigentums mit dem Davidstern. All das weckt Erinnerungen an das nationalsozialistische Unrechtsregime in Deutschland, mit seinem antisemitischen Hass, der Diskriminierung und Verfolgung jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie der Ermordung von 6 Millionen jüdischer Menschen. So wurde während des Novemberpogroms am 9. und 10. November 1938 auch in Sundern das Eigentum unserer jüdischen Nachbarn, der Familien Klein und Grüneberg, durch nationalsozialistischen SA-Terror zerstört und Mitglieder der Familien in Konzentrationslagern interniert.
Wir sind uns unserer historischen Verantwortung bewusst und fordern daher alle Mitbürgerinnen und Mitbürger Sunderns auf, der Judenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten und unsere demokratischen Freiheitswerte, wie sie im Grundgesetz festgeschrieben sind, zu verteidigen. Unsere plurale, offene Demokratie fordert von uns, dass wir die kulturelle und religiöse Vielfalt schützen und ein friedliches, tolerantes Miteinander bewirken.
Nie wieder sollen sich jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland durch rechtsradikalen Terror bedroht fühlen oder islamistischen Angriffen ausgesetzt sein. Jeder einzelne ist verpflichtet, sich dieser Verantwortung zu stellen. Antisemitische Tendenzen tolerieren wir in Sundern nicht.
Schadet die aktuelle Diskussion über den Nahen Osten denn nicht eher dem Gedenken an die Greuel der Reichspogromnacht?
Blome-Drees: Ganz im Gegenteil. Ich hatte ja mal geglaubt, dass sich der Antisemitismus in unserer Gesellschaft erledigt hat. Jetzt aber steht plötzlich im Fokus, warum es den Staat Israel gibt. Es ist höchste Zeit, dass man das thematisiert. Wir müssen den Antisemitismus von heute entlarven. Alles, was heute passiert, hätte ich mir vor 20 Jahren nicht mehr vorstellen können. Die Welt ist in Unordnung geraten - auch im Kleinen.
Harmann-Schütz: Für mich bleibt der Holocaust immer als etwas ganz Einzigartiges stehen - wegen des systematisch geplanten Ermordens von vielen Millionen Menschen. Damals wie heute gilt: Man muss sich positionieren.
Spüren Sie den aktuell auch in Sundern einen Antisemitismus?
Blome-Drees: Mir sind hier noch keine Äußerungen zu Ohren gekommen. Aber wir wollen mit der Resolution die Solidarität mit Israel einfordern. Das ist doch das Mindeste, was wir nun tun können.
Harmann-Schütz: Es ist doch noch viel zu wenig zu diesem Thema gesagt worden. Es hat bislang zu wenig Solidarität in der Breite der Gesellschaft gegeben. Dabei muss man doch aufschreien, wenn 1400 Menschen bestialisch umgebracht werden.
Wie ist Kritik an Israel ohne Antisemitismus möglich?
Blome-Drees: Im Moment darf es keine Ja-Aber-Diskussion geben. Diesen Ductus müssen wir ablehnen. Wir müssen eine Solidarität aufbauen - ohne dabei zu vergessen, dass es auch in der israelischen Politik Dinge gab, die nicht richtig waren.
Haben wir ein Problem der Migration eines strukturellen Antisemitismus in Sundern?
Blome-Drees: Jeder schleppt den Ballast seiner Sozialisierung mit sich. Wir sind in unserer Gesellschaft aber offenbar nicht darauf vorbereitet, nun über das Thema und das Problem zu sprechen. Klar muss doch sein: Hier darf man nicht auf die Straße gehen und sagen, dass Juden ins Gas gehen sollen, Israels Existenzrecht in Frage stellen und zu Gewalt aufrufen.
Harmann-Schütz: Man sollte in den Schulen Trialoge führen - dafür braucht es einen Moderator. Jugendliche Migranten müssen lernen, dass man hier die Dinge nebeneinander stehen lassen darf. Es muss einfach mehr aufgeklärt werden.
Was wünschen Sie sich als Lehre aus Ihrer jahrelangen Aufklärungsarbeit zum Thema Antisemitismus?
Harmann-Schütz: „Dass man den Mut haben muss, auf die Straße zu gehen, seine Meinung zu äußern und das offensichtliche Unrecht nicht einfach geschehen zu lassen. Wir müssen uns in unserer Gesellschaft für das einsetzen, was uns wichtig ist.