Arnsberg. Wohnungsgenossenschaften bestehen seit über 100 Jahren. Warum sich das Konzept trotzdem nicht totgelaufen hat, erklärt der Chef der AWG hier.
Die Arnsberger Wohnungsgenossenschaft bewirtschaftet derzeit 1325 Wohnungen. Durch Neubau und Sanierung werden es zukünftig auch noch mehr. Doch wie funktioniert eine Genossenschaft? Wie bekommt man eine Wohnung dort? Ist die finanzielle Einlage gleichzusetzen mit einer Kaution? Lebenslanges Wohnrecht? Sebastian Eickel, Chef der AWG, gibt Einblicke und will mit dem einen oder anderen Vorurteil aufräumen.
Inwiefern hat sich das Genossenschaftskonzept über die Jahre verändert, ist es sozialer geworden?
Sebastian Eickel: Das grundlegende Konzept hat sich nicht geändert. Es war immer schon sozial orientiert. Der Grundgedanke einer Genossenschaft ist, demokratisch und nicht gewinnorientiert zu arbeiten, mit dem Ziel, den Mitgliedern Wohnraum zu fairen Preisen anbieten zu können.
Seit wann gibt es diese Wohnform?
Wohnungsgenossenschaften gibt es bereits seit über 100 Jahren in Deutschland.
Was unterscheidet die Genossenschaft von einer ganz normalen Mietwohnung, was sind die Vorteile?
Die Mitglieder beziehungsweise Mieter haben durch ihre eingezahlten Anteile ein Mitspracherecht und nicht zu vergessen: ein lebenslanges Wohnrecht. Ein weiterer Vorteil ist die Größe der einzelnen Genossenschaften. Auch wenn es vereinzelt große Genossenschaften mit 10.000 Wohnungen gibt, verfügt im Durchschnitt eine Genossenschaft über 1200 Wohnungen. Durch diese im Verhältnis kleine Größe entsteht eine besondere Nähe zu den Quartieren und Mitgliedern, die dort leben. Hier kann man sich noch in Augenhöhe begegnen. Im Vergleich haben Kapitalmarktgesellschaften einen durchschnittlichen Wohnungsbestand von 4000 Wohnungen, einzelne sogar über 100.000 Wohnungen.
Inwiefern hat sich das Wohnen in den letzten 20 Jahren verändert?
Mit der Zeit sind Veränderungen und Erweiterungen des grundlegenden Konzepts der Genossenschaft erforderlich, um auf die heutigen als auch zukünftigen Anforderungen zu reagieren. Denn es geht nicht mehr nur um den sozialen beziehungsweise finanziellen Vorteil, sondern auch um Themen wie Nachhaltigkeit, Klimaziele, Mobilitätskonzepte und geänderte Anforderungen an das Wohnen.
Zum Beispiel wird die Bevölkerung immer älter, so dass das Wohnungsangebot entsprechend angepasst werden muss. Hier gilt es, barrierearm oder -frei zu bauen, zu sanieren und auch neue Wohnformen, wie Senioren-Wohngemeinschaften zu schaffen. Dies wird übrigens schon seit Jahren bei der AWG gelebt und umgesetzt. Zusätzliche Angebote, wie Tagespflege, Kindertagesstätten, Kindergarten befinden sich auf dem Müggenberg in fußläufiger Nähe.
Welche Krisen gilt es zu bewältigen?
Das sind Umstände, welche die gesamte Wohnungswirtschaft betreffen: Hohe Energiekosten, das Erreichen der Klimaziele bzw. Dekarbonisierung des Wohnungsbestandes bis 2045, Handwerkermangel, Fachkräftemangel, hohe Baupreise und Zinsen und zudem noch schlechtere Förderbedingungen.
Meiner Ansicht nach erfordert die Bewältigung dieser Krisen und das erreichen der Klimaziele einen beständigen und sozialverantwortungsbewussten Partner. Die entsprechenden Maßnahmen dürfen finanziell nicht nur auf den Mieter abgewälzt werden. Auch die Politik braucht einen Partner, um ihre Ziele im sozialen Wohnungsbau zu erreichen. Und genau dieser passende Partner ist eine Wohnungsbaugenossenschaft.
Ist das Image der Wohnungsgenossenschaften ein wenig eingestaubt?
Das scheint so, leider. Meines Erachtens ist der Genossenschaftsgedanke bei der Bevölkerung ein wenig in Vergessenheit geraten. Doch zum Glück wird durch den Einsatz der einzelnen Wohnungsbaugenossenschaften und der Gründung der bundesweiten Marketinginitiative „Die Wohnungsbaugenossenschaften Deutschland“ ein positiver Trend zu verzeichnen. Auch eine Genossenschaft ist ein gutes und modernes Wohnungsunternehmen.
Sind die Wartelisten lang oder lohnt sich auch eine kurzfristige Bewerbung?
Zurzeit herrscht ein gewisser Wohnungsmangel in Arnsberg. Deshalb haben wir natürlich einige Mietbewerber auf unserer Liste. Aber es kann immer passieren, dass ein potenzieller Mieter abspringt und die Wohnung doch nicht haben möchte. Weiter besteht auch immer eine gewisse Fluktuation: Wohnungen werden zum Beispiel aufgrund des Arbeitsplatzwechsels oder Änderungen der persönlichen Lebensumstände gekündigt. Weitere Wohnungen werden durch Neubau oder Sanierung dem Wohnungsmarkt wieder zugeführt. Deshalb: Eine Bewerbung lohnt sich immer!
Wie viele Wohnungen gehören derzeit zur AWG und werden es mehr?
Die AWG bewirtschaftet derzeit 1.325 Wohnungen. In unserem Neubaugebiet Müggenberg sind rund 300 Wohnungen geplant. Von diesen sind derzeit 125 Wohnungen fertiggestellt. Die nächsten 28 Wohnungen (Wohnhof 4) werden im nächsten Jahr 2024 bezugsfertig sein. Mit dem Rohbau von weiteren 26 Wohnungen (Wohnhof 5) wurde gerade begonnen. Die Fertigstellung ist im Jahr 2025 geplant.
Der Wohnhof 6 mit 26 Wohnungen ist bereits komplett durchgeplant und die Baugenehmigung liegt vor. Baubeginn ist in 2025 geplant. Für den vierten Bauabschnitt befinden wir uns derzeit in der Vorplanung. Ob wir so zügig wie bisher weiter bauen können, bleibt aufgrund der derzeitig hohen Baupreise und Zinsen abzuwarten. Wir hoffen hier auf bessere staatliche Fördermöglichkeiten und sinkende Baupreise.
Was kostet die Miete in einer modernen, neuen Wohnung?
Plant man zurzeit einen Neubau, muss mit einer Kaltmiete von 18 bis 19 Euro pro Quadratmeter kalkuliert werden. Das ist schlichtweg für viele nicht zu bezahlen, daher versuchen wir günstiger zu sein. Weiterhin sanieren wir auch im Bestand und werden hier zukünftig noch weiteren modernen Wohnraum dem Markt zu Verfügung stellen können.
Beschreiben Sie das Prinzip einer Wohnungsgenossenschaft in drei Sätzen.
Eine Wohnungsbaugenossenschaft ist ein Zusammenschluss von Personen, um ihren Mitgliedern bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die Mitglieder sind gleichzeitig die Mieter und Eigentümer der Wohnungen, da sie Anteile an der Genossenschaft erwerben und damit ein Mitspracherecht in Entscheidungsprozessen haben. Diese Form fördert soziale Integration, langfristige Stabilität und demokratische Mitbestimmung der Mieter.