Arnsberg/Sundern. Arnsberger Dr. Jürgen Schulte-Hobein promovierte zum Aufstieg der Nationalsozialisten. Auch Geschichte von Arnsberg und Sundern hat er im Blick.

Der 30. Januar 1933 ist wohl eines der finstersten Daten der deutschen Geschichte. An diesem kalten Wintertag ernannte der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg nach dem Sturz der Regierung des Generals Kurt von Schleicher Adolf Hitler zum Reichskanzler und leitete damit den endgültigen Untergang der Demokratie von Weimar ein. In der Reichshauptstadt Berlin ließen die NSDAP-Propagandisten in den Abendstunden uniformierte SA und andere Konsorten zu großen Fackelzügen aufmarschieren, um diesen Tag der „Machtergreifung“, wie es im NS-Jargon heißt, „würdevoll“ zu begehen und uneingeschränkte Begeisterung der Bevölkerung vorzugaukeln.

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In Arnsberg, Neheim und Sundern dagegen war auf den Straßen von großer Euphorie nichts zu spüren. „Hier zeigten sich die Menschen von der Ernennung Hitlers eher überrascht,“ sagt Dr. Jürgen Schulte-Hobein, dessen Promotionsarbeit den Aufstieg des Nationalsozialismus in Arnsberg zum Thema hat. Vielmehr habe man in diesen drei Städten die sich schnell als verhängnisvoll erweisende neue Kanzlerschaft im fernen Berlin „nicht besonders zur Kenntnis genommen. Denn Regierungswechsel in immer kürzeren Intervallen mit immer neuen Regierungschefs waren in der Endzeit der Weimarer Republik praktisch an der Tagesordnung“.

Keine Fackelzüge in Arnsberg

Bombastische Fackelzüge und martialische Aufmärsche waren hier also Fehlanzeige. „Allerdings haben SA-Leute in Arnsberg Schlägereien mit dem kommunistischen Rotfrontkämpferbund und dem demokratischen Reichsbanner vom Zaun gebrochen. In Sundern und Neheim blieb alles ruhig,“ weiß Schulte-Hobein aus seinen Recherchen.

Doch warum war in Arnsberg, Neheim und Sundern von Euphorie über die Kanzlerschaft Hitlers kaum etwas zu spüren? Vor allem in Arnsberg, wo die NSDAP bei der für Jürgen Schulte-Hobein besonders bedeutsamen und „praktisch letzten richtig freien“ Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 die doppelte Anzahl von Stimmen als in Neheim und sogar dreimal mehr Stimmen als in Sundern einfuhr?

„Das,“ sagt der Historiker, „liegt in der Konfessionsstruktur begründet.“ In Arnsberg habe damals der Anteil protestantischer Gläubiger an der Bevölkerung bei knapp 18 Prozent gelegen, in Neheim dagegen gerade einmal bei 10,9 Prozent. „In Sundern war die Bevölkerung nahezu komplett katholischen Glaubens.“ Und die katholischen Wählerinnen und Wähler seien ihrer Partei in den freien Wahlen treu geblieben: dem katholischen Zentrum (siehe Wahltabelle).

Anders das Wahlverhalten der evangelischen Bevölkerung in Arnsberg. Nachdem Arnsberg 1816 nach der napoleonischen Epoche und dem Wiener Kongress an das protestantisch geprägte Preußen fiel, das im selben Jahr auch die Bezirksregierung übernahm, zogen viele preußische Beamte zu. „Und auch das 1871 von Bismarck gegründete 2. Reich war entsprechend ausgerichtet. Bismarck, Kaiser und Staatsapparat waren evangelisch.“ Die Katholiken wurden sogar im Kulturkampf (1871 bis 1878) als „Reichsfeinde“ beschimpft, als sich katholische Kirche und Staatsapparat gegenüberstanden – es ging um die Lösung des Staates von der kath. Kirche.

„So war das gesamte Kaiserreich protestantisch ausgerichtet,“ erklärt Schulte-Hobein. „Und als mit Ende des Ersten Weltkriegs das Kaiserreich zusammenbrach, waren die Protestanten praktisch heimatlos.“ Die katholische Zentrumspartei dagegen habe sich schnell mit der jungen Republik angefreundet. „Sie wurde gemeinsam mit der SPD und der Demokratischen Deutschen Partei (DDP) zu einer staatstragenden Institution.“

Die Protestanten hätten sich daher nach dem alten Reich zurückgesehnt und seien dann – besonders nach der Weltwirtschaftskrise - in Scharen zur NSDAP übergelaufen. Mit den Hochburgen Ostpreußen, Schleswig und den norddeutschen Metropolen. „Hitler hat ihnen auch lange das Gefühl gegeben, das Kaiserreich wieder einzuführen.“ So schlug sogar Kronprinz Wilhelm von Preußen 1932 in der Arnsberger Schützenhalle auf – als Wahlredner für die NSDAP.

„Natürlich muss man sagen,“ so Dr. Jürgen Schulte-Hobein weiter, „dass die protestantischen Wählerinnen und Wähler nicht das wollten, was Hitler und seine Helfershelfer später an grauenhaften Taten angerichtet haben.“ Aber vor diesem Hintergrund erkläre sich eben der deutlich höhere Stimmenanteil der NSDAP an der Reichstagswahl im Juli 1932 vor Ort in Arnsberg.

In Neheim viele Katholiken

Im industriell geprägten Neheim – „vom katholischen Sundern müssen wir nicht weiter reden“ - habe die NSDAP keine besondere Rolle gespielt. Sie lag dort nur knapp vor SPD und KPD. „Denn die Arbeiterschaft in Neheim war katholisch ausgerichtet, zum großen Teil Mitglied in der katholische Kolpingsfamilie und damit eine treue Wählerbasis für die Zentrumspartei.“

Diesen Zusammenhang von Konfession und Wahlverhalten könne man wunderbar im Vergleich der beiden Industriestädte Neheim und Altena erkennen. „Beide hatten damals eine identische Sozialstruktur, aber eine umgekehrte Konfessionsstruktur“. So fuhr die NSDAP in Altena im evangelisch orientierten Märkischen Sauerland bei den Juli-Wahlen 37,6 Prozent (Zentrum: 10,7), in Neheim nur 13,8 Prozent (Zentrum: 58,9) ein. Ein krasser Unterschied.