Arnsberg. Das tiefgründige Schauspiel mit einem noch immer aktuellen, aber traurigen Thema begeistert das Publikum in der Kulturschmiede.

Anlässlich der Beerdigung ihres Großonkels, der Ahnenforschung betrieben hat, wird einer jungen Frau klar: „Fünf Frauen aus unserer Familie sind als Hexen verbrannt worden!“

Vor die karge Betonwand der Kulturschmiede sind drei Musiker, eine Sängerin und ein Sänger mit dieser Frau auf die Bühne getreten. Ihre einsetzenden Gedankengänge, begleitet von der Musik, dem eindringlichen Gesang der Sopran- und Bassstimme und geheimnisvollen Geräuschkulissen aus dem Lautsprecher entführen das Publikum spontan in zurückliegende Zeiten und Welten.

So beginnt „Psychosa. Protokoll einer Recherche“, die neueste Teatron-Inszenierung von Ursula und Yehuda Almagor.

„Wenn die Welt ohne Weiber wäre, könnten wir Männer die Götter verehren“

An einem Tisch voller Bücher sitzen blätternd die Akteure und langsam braust ihr Stimmengewirr auf, aus dem sich Foltermethoden, Hexenrichter, Namenslisten der Verfolgten, Gebührenordnungen für die Vollstrecker, Zitate und Autoren von Schriften über Hexenverfolgung und -verbrennung herausschälen. Sätze wie „Wenn die Welt ohne Weiber wäre, könnten wir Männer die Götter verehren“, zumal die Frauen Unzucht mit dem Teufel treiben.

Wie ist eine solche frauenfeindliche Dominanz der Männerwelt möglich gewesen? Auch aus neuzeitlichen Quellen muss die junge Frau erkennen, dass der Mann-Frau-Konflikt noch immer präsent und ohne greifbare Erklärungen ist. Der Zuschauer ist inzwischen von der vollen Wucht der Dramatik des Spiels getroffen.

Das sinnliche Erleben der Handlung ist an Intensität kaum zu übertreffen

Eine Frau auf einen Scheiterhaufen aus Büchern. Gibt es einen Bezug von der Hexen- zur Bücherverbrennung?
Eine Frau auf einen Scheiterhaufen aus Büchern. Gibt es einen Bezug von der Hexen- zur Bücherverbrennung? © Jochem Ottersbach | Jochem Ottersbach

Die „protokollierte Recherche“ äußert sich zunächst durch gesprochene Wörter. Diese erzeugen beim Zuschauer entsprechende Denkprozesse. Setzt dann aber das Ensemble „The Orpheus Consort“ ein, wird durch das Zusammenwirken von Schauspiel, Musik auf alten Instrumenten und Gesang sowie geheimnisvollen Geräuschen zusätzlich die Gefühlswelt mit Macht angesprochen.

Das sinnliche Erleben der Handlung auf der Bühne ist an Intensität kaum zu übertreffen und die Spannung reißt nicht ab. Die klaren Gesangsstimmen verzaubern und beleben die Handlung ins Operettenhafte, allerdings von Tragik durchzogen.

Exzesse in der Männlichkeit

Und je mehr sich die Unfassbarkeit der historischen Ereignisse ins Bewusstsein drängt, desto unweigerlicher führt das weitere Geschehen auf der Bühne zur Erkenntnis, dass die Macht als Auslöser der Exzesse in der Männlichkeit zu suchen ist, die bereits in der kindlichen Erziehung angelegt wird.

„Warum haben wir unsere Kinder den Männern ausgeliefert?“, fragt die junge Frau. Nicht nur Schule, Militär und berufliche Herausforderung zwingen die Männer, stark zu sein. Ein Mann weint nicht! Aus solchen unverarbeiteten Zwängen und Ängsten entstehen Aggressionen, die sich an Schwächeren entladen.

Ulla und Yehuda Almagor schaffen erneut ein meisterhaftes Theaterstück

Gegen Ende des Schauspiels steht eine Frau im roten Feuerlicht beim knisternden Ton der Flammen auf einem Scheiterhaufen von Büchern. Spannt sich hier ein Bogen zu einer Neuzeit mit Bücherverbrennungen? Gingen nicht auch die Juden durch die Hölle und wodurch werden aktuelle Kriege angezettelt?

Wieder ein meisterhaftes Theaterstück dank der Texte und Dramaturgie von Ursula Almagor und der Regie von Yehuda Almagor, die die Darsteller zu Höchstleistungen animierte. Peter Sauer, selbst erfahrener Laienschauspieler in vielen Teatron-Aufführungen, findet für die schauspielerischen Leistungen nur das Wort: „Grandios“.