Neheim. Sozialarbeiter Piergiovanni Ceccato unterstützt über Jahrzehnte viele Menschen in Arnsberg und Sundern.
Piergiovanni Ceccato ist bekannt als langjähriger Vorsitzender des Fördervereins Calopezzati-Sundern und als Urgestein der italienischen Community in Arnsberg und Sundern. Doch wer steckt hinter dem charmanten Lächeln? Was zeichnet ihn aus? Bei original italienischem Kaffee teilt Piergiovanni Ceccato sein Leben und die vielen facettenreichen Anekdoten mit mir. Eisige Kälte. Grade um minus 6. Inmitten des strengsten Winters des 20. Jahrhunderts setzt Tino erstmals einen Fuß auf sauerländischen Boden. Piergiovanni Costantino Ceccato (Tino) steigt kurz nach 14 Uhr am Bahnhof Neheim-Hüsten aus dem Zug. „Meine Geburt in Neheim“, sagt er heute. Gespannt wartet er auf sein Taxi. „Ich dachte, ich fahre jetzt einen Mercedes – für uns war das damals typisch Deutsch. Doch dann stand ein Opel vor mir. Ach, war auch ein schönes Auto“.
Jung, wissbegierig und temperamentvoll
Tino ist nach Deutschland gekommen, um die Sprache zu lernen. Die Kultur kennenzulernen und sich beruflich weiterzubilden. „Als frisch ausgebildeter Industriekaufmann konnte ich mich bei meinem italienischen Arbeitgeber nicht weiterentwickeln. Also ging ich nach Deutschland“, so Tino. Samstag, 9. Februar 1963. Untergebracht im Ledigenheim weiß er noch nicht, wie seine Zukunft aussehen wird. „Am Montag fuhren Franco, ein Freund – er holte mich nach Deutschland, und ich 20 Firmen ab. Doch niemand wollte mich einstellen“, sagt Tino. „Ich bin ein Fehltritt“Der 22-jährige Italiener steht kurz davor, das kleine Italienisch-Deutsch-Wörterbuch wieder einzustecken und sich ein Ticket nach Hause zu lösen. Doch Freund Franco hat noch ein Ass im Ärmel. Die Firma Cosack in Voßwinkel. Tinos Zukunft beginnt.
Schnell Deutsch gelernt
„Es gab zwei Möglichkeiten für mich. Entweder ich lerne Deutsch und packe es oder ich packe es nicht und verbringe nur meine Wehrdienstzeit in Deutschland“, so Tino. Er lernt innerhalb kurzer Zeit Deutsch, legt eine sehr gute Sprachprüfung ab und ist schnell sogar Sprachmittler zwischen einigen spanischen „Gastarbeitern“ und der deutschen Chefetage. Wenige Monate später lernt er auch seine Ehefrau kennen. Voller Stolz blickt der heute 81-Jährige auf diese Zeit zurück. „Da war klar: Ich bleibe in Deutschland!“ 1964 wechselt er zur Firma Steinau in Neheim – fünf Jahre später unterrichtet er dort sogar Deutsch als Zweitsprache für portugiesische Arbeitnehmer. Als eins von vier Kindern verliert Tino bereits im Alter von elf Jahren seinen Vater. Seine Mutter wird fortan schwer krank. Die Familie jedoch bleibt in Italien. „Ich bin ein Fehltritt im Sinne von: Ich bin der Einzige, der hier in Deutschland ist“, sagt Tino augenzwinkernd.
Dr. Agnes Wenke war Ziehmutter
In Deutschland findet Tino schnell Anschluss – seine Ehefrau, ihre Mutter und ihren Onkel. Eine angesehene Familie. Handwerksbetrieb. In der Schützenbruderschaft. „Mir haben es alle sehr leicht gemacht im Sinne von: Öffnung!“, so Tino. Seine Schwiegermutter in spe mag ihn und auch der Onkel stimmt einer Hochzeit zu. „Der Onkel meiner Frau lud uns, naja, mich, zu sich nach Hause ein. Da hatte ich schon etwas Angst“, scherzt er. Schnell lernt Tino über die italienische Community Dr. Agnes Wenke kennen. „Wir haben uns immer gezofft. Aber ich kann erzählen was ich will – sie war meine Ziehmutter“, sagt Tino und lächelt. Sie ist es, die ihm den Weg in die soziale Arbeit eröffnet. Ihn regelrecht reinzieht. Er merkt, dass viele Italiener ihre Schwierigkeiten mit der deutschen Bürokratie haben und beginnt, ihnen zu helfen. „Ich hatte Zeit, also konnte ich was machen. Durch meinen Werdegang kannte ich mich mit bürokratischen Dingen aus. Später, 1979, als dann das Italiener-Zentrum im kleinen Gebäude neben dem Rathaus eröffnete, hatte ich einen Schreibtisch im Vorzimmer“, erzählt er. Er begleitet Dr. Agnes Wenke 1965 nach Oberhausen, um dort erste Übergangsklassen zu eröffnen. „Sie fuhr einen Opel Kadett mit Spikes – das weiß ich noch“, so Tino.
Nicht nur Italienern hilft Tino. „Kind ist Kind, Erwachsener ein Erwachsener – wenn du etwas brauchst, bekommst du es, unabhängig von deiner Nationalität“, sagt er. Beispielsweise unterstützt er in den 1990er Jahren mit vollem Engagement eine libanesische Familie bei Behörden- und Gerichtsterminen. Steht ihnen aktiv und mental zur Seite. „Ironischerweise hat die libanesische Familie die deutsche Staatsbürgerschaft eher als ich erhalten“, witzelt Tino.
Tino ist durch und durch Sozialarbeiter und hilft nicht nur Menschen, die nach Arnsberg kommen, sondern ist auch zur Stelle, wenn in Italien Hilfe benötigt wird. So auch im Januar 1968 während der Erdbeben von Belice (Sizilien). Kurzerhand sammelte er für das in Arnsberg stationierte belgische Militär Spenden, um sie dann über Düsseldorf nach Gibellina, Salaparuta, zu schicken. Beim Erdbeben in der Irpinia (1980) ist Tino kaum aufzuhalten. Kurzerhand bezieht er die lokale Presse ein, bittet die Arnsberger um Spenden und sammelt drei volle Lkw plus viel Bargeld. Diesmal ist er auch persönlich dabei, um die Güter nach Balvano (Irpinia) zu bringen.
Große Chance
1971 bietet sich Tino eine große Chance. Er bekommt eine Stelle als Sozialarbeiter beim Diözesen-Caritas-Verband Paderborn und wird im damaligen Kreis Arnsberg eingesetzt. Kurze Zeit später beginnt er mit einer berufsbegleitenden Ausbildung an der Anna-Zillken-Fachschule für Sozialpädagogik in Dortmund und erlangt 1976 die Anerkennung als Erzieher. Nur wenige Jahre später beginnt er mit einer Weiterbildung und beendet diese 1990 als Dipl. Sozialarbeiter.
Stolz zeigt sich Tino, als er von der erfolgreichen Kita-Gründung 1977 in Allendorf berichtet. „Ich habe damals mit dem italienischen Konsul telefoniert – kurze Zeit später kam der Konsul zu einer Sitzung nach Sundern. Sechs Minuten“, erzählt Tino. Der Konsul habe damals schlichtweg gesagt, dass er nicht gekommen sei, um sich das schöne Wetter anzusehen, sondern um eine Kita zu gründen. Durch Tinos Engagement wird eine Kita mit 25 Plätzen, inkl. Fahrdienst, für alle Kinder – international, eröffnet. „Ich bin fast unter die Decke gegangen, als ich erfuhr, dass es hier eine Familie gab, die ihr drei oder vier Jahre altes Kind zuhause einsperrte, um arbeiten gehen zu können“, sagt Tino. Leider sei die Familie schon weg gewesen, als er davon gehört habe. Er schätzt, dass gut 60 bis 70 Prozent der Italiener zurück in Italien und nur 30 bis 40 Prozent in Deutschland sind. „Für viele Italiener ist das sehr schwer, denn ein Teil der Kinder ist hier und ein Teil in Italien. Dann sind einige Enkelkinder hier und einige in Italien. Man kann nicht überall gleichzeitig sein“, erklärt Tino. „Das haben sie nicht verdient!“
Aus einer werden zwei Identitäten
Tino selbst heiratet eine deutsche Frau, bekommt zwei wunderbare Kinder und bleibt. „Meine Frau und meine Kinder sind mir das Wichtigste“, sagt er. „Leider starb meine Frau 1995. Aber das Leben ging weiter. Die ersten vier Jahre wusste ich nicht ein und aus!“ Aus dem humorvollen, verschmitzten und freundlichen Gesicht wird eine ernste Miene. Erst jetzt fallen das weiße Haar und das vom Leben gezeichnete Antlitz auf. Der sportlich gekleidete, adrette Mann, der einem zuvor noch wie der junge, spontane und temperamentvolle Spund aus den 60ern begegnet, wirkt plötzlich weise. „Ich wohne zwar hier, aber mein Land – wo meine Brüder, meine Schwester und alle anderen Verwandten leben, ist Italien. Seit dem 11. Jahrhundert lebt meine Familie auf demselben Grundstück – in Vigonovo (Venedig)“, erzählt Tino. Sein Zuhause jedoch ist in Deutschland. In seinem zweiten „Geburtsort“: Neheim. Vor 20 Jahren wurde er eingebürgert und besitzt seither beide Staatsbürgerschaften. Deutsch-Italienisch. „Ob ich es will oder nicht, ich kann meine Vorfahren nicht leugnen. Ich bin dankbar dafür, dass ich beide Staatsbürgerschaften habe“.