Neheim. Neheimer Trimed-Physiotherapeut Justin Gläser lernt in Malawi besondere Patientenmotivation und andere Arbeitsbedingungen kennen

Er schaute über den Tellerrand. Und viel mehr eigentlich noch über den Rand der Behandlungsliegen. Der 28-jährige Physiotherapeut Justin Gläser, seit September 2021 Mitarbeiter im Team von Trimed in Neheim, beteiligte sich im Frühjahr an einem zweimonatigen Austauschprogramm mit Berufskollegen im afrikanischen Malawi. Er näherte sich so einer fremden Kultur über das Gesundheitswesen und seinem Beruf.

Zustande gekommen ist der Austausch über die Fachhochschule für Gesundheit in Bochum, wo der in Dortmund lebende Justin Gläser von 2018 bis 2021 seinen Bachelor gemacht hat. Sein Thema der Bachelor-Arbeit zeigt schon das Interesse des Physiotherapeuten, seinen Beruf über die heimische Komfortzonen hinaus zu betrachten. Er widmete sich der Gesundheitsversorgung von Wohnungslosen.

Dieses Reha-Center in Blantyre war spendenfinanziert und besser ausgestattet als das des Krankenhauses.
Dieses Reha-Center in Blantyre war spendenfinanziert und besser ausgestattet als das des Krankenhauses. © Justin Gläser

Für den Austausch nach Malawi hatte er sich früh gemeldet. Wegen Corona aber wurde das Vorhaben mehrfach verschoben. So konnte er auch nach seinem Abschluss noch an dem studentischen Programm teilnehmen. Von Ende Februar bis Ende April weilte er 64 Tage in dem afrikanischen Land, arbeitete im Queens Elisabeth Krankenhaus von Blantyre sowie auch in dem ausgegliederten und durch Spenden gut ausgestatteten Kachere Rehabilitation Centre und behandelte dort afrikanische Patientinnen und Patienten.

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„Die Physiotherapie an sich ist gleich“, sagt er. Auch die Ausbildung der afrikanischen Kolleginnen und Kollegen sei auf einem hohen Niveau. Und doch lernte er ganz neue physiotherapeutische Welten kennen. „Es gibt kulturelle Unterschiede“, erzählt er, „vor allem beim Thema Schmerzkommunikation“. Es sei schwerer als bei uns, herauszufinden, ob der Patient Schmerzen bei der Behandlung habe. Die Patienten nehmen in Malawi viel auf sich, um in den Genuss einer Behandlung zu kommen. „Oft haben sie stundenlange, wenn nicht sogar mehrtägige Anreisen“, erzählt Justin Gläser.

Der Behandlungsraum im Hospital in Malawi.
Der Behandlungsraum im Hospital in Malawi. © Justin Gläser

Das verändert die Arbeit: Zum einen wird dann nicht in 20-Minuten-Taktungen einer Sitzung gearbeitet. „Da hat man viel Zeit für eine Behandlung“, so Gläser. Zum anderen ist die Bereitschaft der Patienten, die viel Mühe für die Anreise auf sich genommen haben, sich aktiver an der Therapie zu beteiligen, sehr hoch. „Die kämpfen bis zum Letzten, dass man sie manchmal sogar stoppen muss“, so der in Neheim arbeitende Therapeut. Hintergrund ist auch, dass die Existenzängste hoch sind, weil soziale Systeme die Nicht-Arbeitsfähigkeit nicht auffange. Die Schwelle zur Behandlung für Patienten ist höher. Mal eben zum Arzt, Rezept abholen und schnell zur Physio – das geht so in Malawi nicht. „Es wird im Vorfeld dort schon gefiltert“, so Justin Gläser. Wer da keine wirkliche Lust auf die Behandlung hat, kommt gar nicht zum Zuge.

An einem Behandlungstag mit einmaliger Präsenz sei tatsächlich viel zu erreichen. „Wobei of viele Probleme auf einmal behandelt werden, wenn der Patient einmal da ist“, so Justin Gläser. Die Krankheitsbilder sind andere als Justin Gläser sie in Deutschland kennt. Es kommen weniger Patienten mit den klassischen Zivilisationskrankheiten wie Rücken- und Nackenleiden, sondern eine hohe Zahl an Unfallopfern und Menschen, die an Folgen frühkindlicher Erkrankungen und deren Fehl- oder Nichtbehandlung leiden. „Auch da bekommt man schon eine ganz andere Perspektive auf das Leben“, stellt Justin Gläser fest.

64 Tage lang war der junge Mann in Malawi. „Da ist touristisch wenig. Die Landschaft ist wunderschön, die Städte aber sind ein Moloch“, erzählt er. Die Menschen seien „relativ herzlich“. Die Arbeit mit den Kolleginnen und Kollegen sei spannend gewesen. Auch in Malawi ist die Ausbildung zum Physiotherapeuten akademisiert. Die Fachhochschule für Gesundheit in Bochum beabsichtigt, den Austausch fortzusetzen. Justin Gläser hofft, dann als Exkursionsleiter noch einmal nach Malawi reisen zu können.

Die Tage in Ostafrika haben ihm Fenster geöffnet. „Die Arbeit in Malawi ist eigentlich schön“, sagt er, „ich habe gesehen, was man erreichen kann, wenn man viel Zeit für die Patienten zur Verfügung hat“. Dass die Arbeitsbedingungen in puncto Infrastruktur und technischer Ausstattung andere sind, sei ein überwindbares Problem. Es muss nicht immer die kleine Hantel oder das Theraband sein, auch mit einer mit Sand gefüllten Flasche lasse sich gut trainieren. „Physio ist überall gleich“, sagt Justin Gläser, „wir brauchen unsere Hände und ein gutes Gefühl für den Patienten“.

Ab 1. Juli wird Justin Gläser in der Trimed-Physiotherapiepraxis in der Graf-Gottfried-Straße in Neheim Bilder von seiner Arbeit in Malawi ausstellen.

Tolle Landschaft, aber auch viel Armut in den Städten. Das waren die Eindrücke von Justin Gläser in Malawi.
Tolle Landschaft, aber auch viel Armut in den Städten. Das waren die Eindrücke von Justin Gläser in Malawi. © privat