Arnsberg. Olya Cherkaska gehörte zu ersten Flüchtenden aus der Ukraine, die mit dem Hilfskonvoi nach Arnsberg kamen. Ihre

Es vergeht aktuell kaum ein Tag, an denen nicht in irgendeinem Parlament oder wichtigem politischem Gremium der Welt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selinskyj für sein Volk die Stimme erhebt. Die Ukraine bestimmt politisches Handeln – global, national und auch lokal. Und so war es ein starkes Zeichen, dass auch der Rat der Stadt Arnsberg in dieser Woche bei seiner Sitzung im Sauerlandtheater einem Gast aus dem von Russland angegriffenen Land eine Bühne gab. Olya Cherkaska ist eine von inzwischen über 500 Flüchtlingen aus der Ukraine, die sich in Arnsberg vor dem Krieg in ihrem Heimatland in Sicherheit brachte.

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Authentisch und lebensfroh

Die 32-jährige Frau ist authentisch und wirkt lebensfroh – durch ihr Auftreten nicht geeignet, um schnell und klischeehaft wirkende Mitleidsbilder von Vertriebenen für die effekthaschenden Kameras zu liefern. Genau das macht das Dilemma dieses Kriegs noch deutlicher: Geflüchtet sind nicht Menschen, die uns durch Kleidung, Aussehen und Kultur als ganz weit entfernt vorkommen, sondern ganz nah kommen uns Leute wie Du und Ich aus dem Herzen Europas. Junge Menschen, Mütter und Jugendliche mit den Träumen von Frieden, Zusammenleben, Glück, Job und Globalisierung wie unsere erwachsenen Kinder auch.

Olya Cherkaska.
Olya Cherkaska. © Martin Haselhorst

Olya Cherkaska betritt die Bühne des Sauerlandtheaters, lächelt kurz und sagt „Hi“. Sie saß vor drei Wochen in dem ersten Bus des großen Sauerländer Hilfskonvois, der die ersten 100 Flüchtenden aus der Ukraine von der ukrainisch-polnischen Grenze nach Arnsberg brachte. Und sie saß auch unterstützend in dem nächsten Bus, der Hilfesuchende zwei Wochen später nach Oeventrop brachte.

Mit zwei Taschen in ein neues Leben

Im Sauerlandtheater stellt sie sich vor. Die Frau lebte ihr Leben in Kiew, liebte Natur und Wandern, studiert hatte sie Film- und Medienwissenschaften und arbeitete auch bereits in diesem Bereich. Engagiert war sie vor Ort seit 2010 als Volunteer in einer antifaschistischen Organisation. Am 28. Februar – vier Tage nach dem russischen Überfall der Ukraine – verließ sie die Hauptstadt. „Ich hatte zwei Taschen dabei“, erzählt sie. Über Lwiw kam sie an die Grenze, von dort in den Bus nach Arnsberg.

Eine Reise? Nein, eine Flucht. Ihre Mutter und ihren Bruder „und unsere zwei kleinen Hunde“, so erzählt sie, habe sie in der Ukraine zurücklassen müssen. „Sie wohnen in einem schon von Russland besetzten Gebiet und kommen nicht mehr raus“, berichtet Olya Cherkaska. Hinter ihrem Lächeln steckt eine Geschichte von Trennung und Sorge um die Angehörigen.

Schon rund 500 Flüchtende aus der Ukraine in der Stadt

Bis zum 23. März waren 496 geflüchtete Ukrainer in Arnsberg erfasst - darunter 358 weibliche Personen.

194 Kinder unter 18 Jahren aus der Ukraine waren bis zum 23. März in Arnsberg registriert. Nur 90 der geflüchteten Personen sind älter als 50 Jahre.

Innerhalb der nächsten sechs Wochen werden in Arnsberg Unterkunfstmöglichkeiten für rund 1200 Menschen geschaffen worden sein, auis denen heraus sie in eigenen Wohnraum vermittelt werden sollen. Eine Ausweitung ist gegebenenfalls noch nötig.

„Da zum großen Teil Mütter mit Kindern kommen, ist die Herausforderung bei der Unterkunft eine ganz andere als bei früheren Flüchtlingssituationen“, sagt Fachbereichsleiter Michael John von der Stadt Arnsberg. Es sei mehr Privatsphäre zu schaffen.

Anders als in 2015/16 auch: Damals kamen 2000 Menschen über zwei Jahre verteilt, so die Stadt, jetzt eventuell mehr als 1000 Menschen in zwei Monaten.

Ankommende erhalten neben Leistungen des Jobcenters 100 Euro Ankommensgeld pro Erwachsenen und 70 Euro pro Kind (aus Spenden). Unterstützung gibt es bei Gesundheitsfürsorge, Bildung, Kinderbetreuung, Integration auf Arbeitsmarkt und Freizeit

Warum Arnsberg? „Ich wusste, dass es in Polen da schon keine Kapazitäten für Flüchtlinge mehr geben würde“, sagt sie, „daher wollte sie nach Deutschland“. Und dann saß sie in dem Bus ins Sauerland, wo sie auch Pauline Gaube kennenlernte, die den Hilfskonvoi begleitet hatte und nun Olya als „Patin“ beiseite steht.

Freizeitangebote als Ausgleich

Aktuell ist sie noch im umgebauten Schwesternheim am Marienkrankenhaus Arnsberg untergebracht, macht sich aber auf die Suche nach einer Privatwohnung. Die Ukrainerin ist dankbar. „Alle bemühen sich hier so sehr, dass wir uns wie zu Hause fühlen“, sagt sie. Ihr Zuhause aber war bis vor vier Wochen die Ukraine, das blühende Kiew. Ihre Heimat wird es bleiben, ob es je wieder ihr Zuhause wird, mag sie nicht zu beurteilen. „Ich weiß nicht, was die weitere Zukunft bringt“, sagt sie und will da auch nicht für andere Flüchtlinge sprechen, „jeder hat da jetzt seine eigenen Vorstellungen, wie es für ihn weitergehen soll“.

Wichtig für sie beim Ankommen, seien die vielen Freizeitangebote, die ihr und den Flüchtlingen in Arnsberg gemacht werden. „Das hilft“, sagt sie. Es wird brauchen, bis sie richtig realisiert, dass sie nun ein Flüchtling aus einem zunehmend zerstörten Kriegsland inmitten von Europa ist. „Ich muss erst einmal herunterkommen“, sagt sie. Wichtig für sie sei nun die Sprache. Fünfmal wöchentlich besucht sie bereits einen Deutsch-Sprachkurs. „Das hilft bei der Integration“, betont Olya Cherkaska.

In der Ratssitzung im Arnsberger Sauerlandtheater werden ihre Erzählungen noch übersetzt. Ihr Deutsch reicht aber schon zu einem Wort. „Danke“, sagt sie beim Abgang von der Bühne.