Arnsberg. Im Sauerland-Museum geht die neue Sonderausstellung „Du Hexe! Opfer und ihre Häscher“ den Ursachen der Hexenverfolgung auf den Grund.

„Du Hexe! Opfer und ihre Häscher“. Ein Titel, der Grusel bereitet, doch die jetzt eröffnete fünfte Sonderausstellung seit Neuausrichtung des Sauerland-Museums in Arnsberg setzt nicht auf den Faktor Grusel, sondern auf Aufarbeitung. Und schlägt den Bogen bis zur Hexenjagd der Jetztzeit. Mit Zuhilfenahme modernster medialer Technik.

Die Ausstellung im dreigeschossigen Neubautrakt ist chronologisch aufgebaut und beginnt mit der Hochzeit der Hexenverfolgung im Westfalen des 17. Jahrhunderts. Konkret stehen dabei die Ursachen für die Verfolgung, der brutalen Folterung und die Hinrichtungen völlig unschuldiger Menschen im Fokus.

Dr. Ulrich Hermanns: „Unsicherheit, Chaos und Hunger beherrschten diese Zeit“

Ein originales „Hexenhemd“ (Schandkleid), das die armen Opfer vor Gericht und beim letzten Gang zu tragen hatten.
Ein originales „Hexenhemd“ (Schandkleid), das die armen Opfer vor Gericht und beim letzten Gang zu tragen hatten. © Wolfgang Becker | Wolfgang Becker

Und die Gründe für diesen kollektiven Wahn liegen in den nahezu für jedermann spürbaren Folgen des damals tobenden 30-jährigen Krieges, der Pest, den Missernten mit steigenden Getreidepreisen in dieser Zeit klimatischer Veränderungen, der sogenannten „kleinen Eiszeit“, und der aus all diesen Faktoren resultierenden Armut eines großen Teils der Bevölkerung.

„Unsicherheit, Chaos und Hunger beherrschten diese Zeit,“ bringt es Dr. Ulrich Hermanns (Münster), der die Ausstellung wesentlich mit konzipiert hat, auf den Punkt.

Die Bevölkerung sucht Sündenböcke

Und dafür wurden Sündenböcke gesucht – und in Form der überwiegend weiblichen Opfer gefunden. Dieser Wunsch nach der Bestrafung der vermeintlich für alle Miseren - ob krankes Vieh, Unwetter oder Fehlgeburt - schuldigen Hexen (und Hexer) kam aber nicht etwa als Ablenkungsmanöver aus der Obrigkeit, sondern aus einer an den Verhältnissen verzweifelnden Bevölkerung heraus. So hat es sogar regelrechte Protestwellen gegeben, um Hexenverfolgungen einzufordern.

150 Exponate - teils aus dem berühmten „Rothenburger Kriminalmuseum“

Hexen-Glauben heute: Das Einschlagen von Nägeln in diese afrikanische Holzfigur soll vor magischen Kräften schützen
Hexen-Glauben heute: Das Einschlagen von Nägeln in diese afrikanische Holzfigur soll vor magischen Kräften schützen © Wolfgang Becker | Wolfgang Becker

Im nächsten Kapitel der Ausstellung wird der Ablauf einer solchen Verfolgung, deren unvorstellbare Mechanismen erläutert: anhand historischer Schriften, Originalakten und den für die Folter der Menschen genutzten Instrumenten.

Letztere stammen teils aus dem berühmten „Rotenburger Kriminalmuseum“, das – wie zum Beispiel das Germanische Nationalmuseum - ein wichtiger Leihgeber der Ausstellung ist. Unter den insgesamt 150 Exponaten befinden sich aber auch Leihgaben, betont Museumsleiter Dr. Oliver Schmidt, aus Museen der Nachbarkreise.

Auch heute gibt es noch Hexenverfolgung

Die Ausstellung im Sauerland-Museum ist jedoch nicht nur einem sehr traurig-deprimierenden gesellschaftlichen Auswuchs des 17. Jahrhunderts gewidmet. Vielmehr wird der Bogen bis in die Jetztzeit geschlagen. Denn wer glaubt, Hexenverfolgung sei längst Geschichte, der irrt gewaltig:

Noch heute werden in einigen Regionen des afrikanischen und lateinamerikanischen Kontinents sowie in Südostasien Hexen und Hexer verfolgt – und mit denselben Instrumenten gequält, die auch im 17. Jahrhundert zur Erzwingung von falschen Geständnissen benutzt wurden.

Hasswellen in den „sozialen“ Medien entstehen nach demselben Muster: Fake News

Ausstellung bietet auch facettenreiches Rahmenprogramm

Die Ausstellung „Du Hexe! Opfer und Häscher“ läuft ab sofort bis 4. September im Sauerland-Museum in Arnsberg.

Passend zur Ausstellung sind ein Begleitband und ein Leitfaden für Lehrer erhältlich.

Auf Schulklassen warten - zugeschnitten auf das Alter - spezielle Vermittlungsangebote.

Ergänzend zur Sonderausstellung gibt es ein facettenreiches Rahmenprogramm mit Vorträgen wie „Hitler, Himmler und die Hexen“, Lesungen sowie behutsamen Angeboten für Kinder.

Zudem können Führungen und Nutzung des Escape Rooms gebucht werden.

Die Eintrittspreise: Erwachsene 10 Euro (ermäßigt 5), Kinder, Schüler, Studenten 5 Euro, Familienkarte 20 Euro. Kinder unter sechs Jahren sind frei.

Weitere Informationen und Öffnungszeiten unter www.sauerland-museum.de oder 02931-944444.

Auch die ganz moderne Hexenverfolgung wird nachvollzogen: wie die Entwicklung einer auf Fake News und Gerüchten basierten Hasswelle in den „sozialen“ Medien, den Scheiterhaufen von heute. Darunter musste jüngst erst die Grünen-Politikerin Renate Künast leiden, weil ein Blogger ihr ein falsches Zitat untergeschoben hatte.

Aber auch der vormalige US-Präsident und Twitter-König Donald Trump spielt in diesem Themenkomplex eine unrühmliche Rolle. Ebenso wie Corona-Leugner mit ihren abstrusen, pseudowissenschaftlichen Behauptungen. Ein bedeutender Teilaspekt der Ausstellung. „Denn Worte,“ sagt Hausherr und Landrat Dr. Karl Schneider, „können viel Unrecht und Leid anrichten.“ Vor allem, wenn sie falsch sind.

Die Ausstellung arbeitet das Verlorensein der Opfer vor der Staatsmacht heraus

„Hexenverfolgung“ heute: Corona-Leugner hetzen im Netz – natürlich anonym –  auch gegen die Corona-Regelungen im Sauerland-Museum. Die zur Eröffnung angereiste  LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger ist entsetzt.
„Hexenverfolgung“ heute: Corona-Leugner hetzen im Netz – natürlich anonym – auch gegen die Corona-Regelungen im Sauerland-Museum. Die zur Eröffnung angereiste LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger ist entsetzt. © Wolfgang Becker | Wolfgang Becker

Ein besonderes Highlight der Sonderausstellung ist ein „Escape-Room“, welcher der Kammer des einst in Arnsberg ansässigen berühmt-berüchtigten Hexenkommissars Heinrich von Schultheiß nachempfunden ist. Eines Hexenjägers, der schon mal Dokumente verschwinden ließ, wenn sie die Unschuld seiner Opfer bewiesen.

Die Ausstellung verzichtet übrigens bewusst auf die Darstellung der sattsam bekannten Hexen-Folklore. „Weil,“ erklärt Dr. Hermanns, „Folklore verniedlicht. Und das wäre ein völlig falsches Bild. Wir holen vielmehr durch Exponate und deren Aufbereitung das Verlorensein der Opfer gegenüber der Staatsgewalt heraus.“

So manifestiert sich auch die Dunkelheit dieses Themas in der Raumausleuchtung. Diese schafft eine Atmosphäre des Ausgeliefertseins.

So wie es die unschuldigen Opfer waren. Und sind.