Im „Logbuch“ erklärt Redaktionsleiter Martin Haselhorst warum und wie die Redaktion über Protestaktionen vor Ort gegen Coronamaßnahmen berichtet.

Heute wieder in der Redaktionskonferenz fast eine Stunde diskutiert: Wie sollen wir mit den Protest-Aktionen von Kritikern an Coronamaßnahmen in Arnsberg, Neheim und Sundern umgehen? Diese waren zuletzt nicht als Demonstration angemeldet, sondern entziehen sich als spontane „Spaziergänge“ den Regeln dieses nicht hoch genug anzusehenden Grundrechts. In unserer Abwägung, spielt keine Rolle, ob eine Demo angemeldet ist oder nicht. Der Chronist macht da keinen Unterschied. Sehr wohl beeinflusst es die Einordnung einer solchen Veranstaltung in den Kontext.

Unsere Meinung zu den Protestaktionen>>>

Wir wollen nicht mehr von „Spaziergängen“ schreiben, wo wir doch wissen, dass es im Grunde eine nicht angemeldete Demonstration ist. Wir wollen darauf hinweisen, dass es inakzeptabel ist, dass sich Menschen über die Regeln unseres Demonstrationsrechts hinwegsetzen, weil sie dessen etwaigen Auflagen nicht mehr folgen wollen, während die Mehrheit unserer Gesellschaft im Kampf gegen das Virus vieles solidarisch und verantwortungsbewusst erträgt. Weil jedem, der auf diesem Wege seine zu respektierende Meinung zu Corona äußern möchte, klar sein sollte, dass er sich hier - wenn auch rechtlich in einer Grauzone - nicht an Spielregeln hält.

So ist die Corona-Lage im HSK>>>

Ich bin mir sicher, dass viele, die sich wie nun Montag in Neheim mit auf den Weg gemacht haben, das Recht nicht wirklich beugen wollen. Sie möchten zum Ausdruck bringen, dass sie mit Corona-Maßnahmen, Impfkampagnen oder Einschränkungen nicht einverstanden sind. Das ist ihr gutes und hoch anzuerkennendes Recht - egal, ob man diese Meinungen hören will oder nicht.

Wissen die Neheimer Teilnehmer aber auch, dass Bilder ihrer vermeintlich harmlosen Aktion auf Telegram-Kanälen der Aufrufenden in geteilten Videos einer selbst ernannten „Freien Presse Sauerland“ für vielleicht ganz andere Ziele missbraucht werden? Auch das wollen wir aufzeigen, auch darüber berichten wir.

Videos sind nicht harmlos

Nichts ist mehr harmlos, wenn Video-Mitschnitte des Neheimer Corona-Protestes mit Rap-Musik untermalt werden, die auffordert, als „Teil des Widerstands“ für „die Zukunft zu kämpfen“, von „Politik als Abschaum“ und „Steuerung durch die Matrix“ spricht, „Wacht auf!“ und „Marschiert Hand in Hand“ appelliert und fragt, „Ist ein Bürgerkrieg geplant?“ Bei aller künstlerischer Freiheit: Hier wird in unerträglicher Rechtsaußen-Rhetorik massiv gegen unseren Staat, unsere Werte und unser demokratisches Grundverständnis aufgewiegelt. Wer unfreiwillig bei solchen Videos als Hauptakteur oder Kulisse im Bild ist, sollte sich fragen, ob er das bei all seinen vielleicht ja nachvollziehbaren individuellen Gründen zum Protest auch wirklich so will und sich gegebenenfalls distanzieren.

Wir thematisieren immer wieder Kritik an Maßnahmen und Politik, bieten Protestlern aller Art aber grundsätzlich keine Blanko-Plattformen, sondern ordnen Geschehen ein, kommentieren und informieren. Klar auch: Demokraten müssen Widerspruch ertragen, sich mit ihm auseinandersetzen und dürfen andere Meinungen nicht ausblenden. Journalismus muss aber auch klarmachen, dass sich unter bürgerlichen Unmut und Protest auch gerne ideologische Strippenzieher mischen und welchen Geistes Kind diese sind.