Arnsberg. FDP-Bundestagskandidat Carlo Cronenberg (FDP) sieht erfolgreiche Energiepolitik als bestes Mittel für wirksamen Klimaschutz.

Der Bundestagskandidat Carlo Cronenberg (FDP) aus Arnsberg stellte sich in einem halbstündigen Live­stream-Talk unserer Zeitung. Er sprach mit den Hochsauerland­kreis-Redaktionen über Klimaschutz, Coronakrise, Bürokratie und Afghanistan. Hier die Zusammenfassung des Interviews.

Die FDP hat in der Vergangenheit die Coronapolitik der Bundesregierung kritisiert. Wann, glauben Sie, können denn jetzt die restlichen Einschränkungen entfallen?

Carl-Julius Cronenberg Tatsächlich haben die Freien Demokraten sehr früh die Grundrechte-Einschränkungen thematisiert. Wir haben oft und immer wieder gefordert, dass alle Einschränkungen auf eine parlamentarische Grundlage gestellt werden müssen, dass es nicht ausreicht, wenn auf dem Verordnungsweg Grundrechte eingeschränkt werden, oft genug im Übrigen von Gerichten gekippt. Und auch bei den Entschädigungen haben wir klare Forderungen gestellt, diese sind leider zu wenig berücksichtigt worden. Die Lage hat sich fundamental geändert gegenüber dem letzten Winter oder der ersten Welle im vergangenen Jahr. Wir haben jetzt immerhin einen Großteil der Bevölkerung geimpft. Die Impfkampagne läuft weiter, nach meinem Geschmack ein wenig zu schleppend. Aber es ist immer schwieriger, Grundrechtseinschränkungen aufrecht zu erhalten. Dennoch müssen wir insbesondere auf Menschen achten, die sich nicht impfen lassen können – aus gesundheitlichen Gründen. Deswegen würde ich sagen, ist Masken-Pflicht, z.B. im Einzelhandel oder eben insbesondere auch in Bussen und Bahnen weiter vertretbar. An allen anderen Plätzen sollte man unterscheiden – wer geimpft ist, braucht auch keine Maske mehr zu tragen.

„Steckbrief“: Carl-Julius Cronenberg

Carl-Julius Cronenberg (59) ist ein Unternehmer aus Müschede. Seit 2017 ist er für die FDP im Deutschen Bundestag vertreten.

Im 19. Bundestag gehört er dem Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie als Stellvertreter dem Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz an.

Was hätten Sie anders gemacht bei der Corona-Bekämpfung?

Wir haben bei den Hilfen zu bürokratische Antragsverfahren gesehen. Man hätte mit Hilfe der Finanzämter bezahlte Steuern aus der Vergangenheit zurückzahlen können. Das hätte insbesondere denen geholfen, die erfolgreich am Markt waren. Man hätte im vergangenen Sommer – und ich hoffe, in diesem Sommer ist das besser gelungen – die Schulen vorbereiten müssen auf eine zweite, dritte Welle. Das sind jetzt nur zwei Beispiele. Man hätte die Inzidenz nicht als einzigen Wert aufrechterhalten dürfen. Man hätte vor einem halben Jahr bereits, so wie die FDP das im Bundestag vorgeschlagen hat, einen ganzen Kriterienkatalog zusammenstellen müssen, zum Beispiel Belastung des Gesundheitssystems oder Inzidenz bei gefährdeten Personengruppen. Aber ganz ehrlich, das ist jetzt auch vergossene Milch. Wir müssen gucken, dass wir im nächsten Winter einfach besser aufgestellt sind. Dazu müssen wir schneller und unbürokratischer handeln und alles, was wir beschließen, auf parlamentarische Grundlagen stellen.

War ihr Kurs nicht ein bisschen gefährlich? Im Prinzip auch politisch, weil man ja doch bei der klaren Forderung nach der Vorsicht um die Grundrechte zuweilen mal den Terminus von der AfD gebraucht hat?

Nein, das sehe ich nicht. Wenn die AfD uns nachplappert, ist es deswegen nicht falsch, was wir vorher sagen. Es ist so. Bei der Eindämmung der Pandemie kommt es ganz entscheidend auf die Akzeptanz in der Bevölkerung an. Es muss Sinn machen, es muss wirksam und verhältnismäßig sein. Ich habe jetzt bei der Radtour wieder Gespräche geführt, beispielsweise mit dem Segelflug-Verein in Oeventrop. Sie können sich vorstellen, in einem Segelflugzeug sitzt ein einzelner Mensch. Der durfte aber nicht starten, weil nach unseren Behörden ein Segelflugplatz eine Sportstätte ist. Das macht keinen Sinn. Das hilft nicht, um Akzeptanz zu schaffen. Im Gegenteil, es frustriert die Leute – und dann fällt es umso schwerer, sie später bei sinnvollen und wirksamen Maßnahmen mitzunehmen. Insofern haben wir immer darauf gedrungen, dass es verhältnismäßig sein muss. Und das ist dann der Fall, wenn Maßnahmen notwendig sind, wirksam sind und auch milde genug, also angemessen.

Könnte die FDP in einer Koalition mit den Grünen zusammenarbeiten oder haben Sie da persönliche Schwierigkeiten?

Nein, ich persönlich überhaupt nicht und auch die FDP nicht. Und wir haben immer gesagt, Koalitionen sind möglich mit den drei anderen demokratischen Parteien in der Mitte des Spektrums. Da zählen die Grünen zu, die SPD und die Union sowieso. Und es wird in jedem Fall eine neue Regierungskonstellation geben. Und deswegen stehen wir ein Stück weit auch vor einer historischen Wahl. Noch nie hatten die Deutschen nicht die Möglichkeit, den amtierenden Kanzler oder die amtierende Kanzlerin wieder zu wählen. Und noch nie hat es eine Dreierkonstellation als Regierungskoalition gegeben. Also wir haben da wirklich eine spannende, historische Wahl vor uns. Der Auftrag, eine Regierung zu bilden, liegt am Ende bei demjenigen Kanzlerkandidaten, der als Erster durchs Ziel läuft. Da sieht es im Moment danach aus, dass es Armin Laschet sein wird. Und der wird sicher Christian Lindner ansprechen. Und dann werden wir in Gespräche eintreten.

Die Grünen fordern ein Klimaschutzministerium. Würden Sie da inhaltlich mitgehen – oder welche Maßnahmen sind in den kommenden Jahren notwendig, um der Klimakrise zu begegnen?

Ein Klimaministerium zähle ich nicht dazu. Für mich ist erfolgreiche Klimapolitik Energiepolitik und deswegen wünsche ich mir ein viel stärkeres Eingreifen seitens des Bundeswirtschaftsministeriums. Wir haben ein Umweltministerium, das sich um Klimaschutz kümmert. Dabei steht aber oft gerade die Umweltpolitik einer erfolgreichen Klimapolitik im Wege, weil Umweltpolitik immer lokal denkt, Klima aber global gedacht werden muss. Wenn wir jetzt neben Wirtschaftsministerium mit der Zuständigkeit für Energie und dem Umweltministerium, was vorläufig die Zuständigkeit für Klima hat, aber immer für alle anderen umweltpolitischen Fragen zuständig bleiben wird, wenn wir diesen beiden Ministerien ein drittes Ministerium zur Seite stellen, kommen wir sicherlich nicht weiter. Was ich – auch aus grundsätzlichen Erwägungen – für außerordentlich problematisch halte, ist, dass ein Ministerium mit Sonderrechten wie einem Vetorecht ausgestattet wird. Das lehne ich ganz sicher ab. Also was wir brauchen für eine erfolgreiche Klimapolitik, das ist eine kluge Energiepolitik. Steuerentlastungen, Innovationen fördern, Technologie, Offenheit und vor allen auch marktwirtschaftliche Instrumente. Nur die Kosten in die Höhe zu treiben, nutzt dem Klima erst einmal nichts.

Wo steht der Hochsauerlandkreis in Sachen Digitalisierung heute?

Wir sind vorangekommen. Ich habe mich auch oft in Meschede, auch in Soest ausgetauscht. Die Lücken werden geschlossen, wir kommen voran. Es ist also Hoffnung, dass wir die Lücken schließen. Aber es bleibt viel zu tun, wenn man daran denkt, dass wir eine sehr starke industrielle Basis haben, mit Fabriken in allen Tälern, in allen Ortschaften, die sich immer weiter vernetzen werden. Wenn man daran denkt, dass die Forstwirtschaft bei uns eine wichtige Rolle spielt und gerade auch die Arbeit im Wald zukünftig immer weiter digitalisiert werden wird, auch in der Landwirtschaft, dann können wir uns keine Funklöcher mehr erlauben. Dann können wir uns keine langsamen Datenautobahnen mehr erlauben. Die FDP ist nach wie vor der Auffassung, dass wir uns von Post- und Telekom-Aktien trennen können, das mobilisiert einige Milliarden, die wir dann in den weiteren Ausbau der Infrastruktur investieren können und wollen.

Sie haben bei ihrer Radtour durch den Wahlkreis viele Menschen getroffen und gesprochen. Womit treffen Sie mit Ihren Themen den Nerv der Sauerländer?

Es war eine tolle Woche, einmal mehr. Man bekommt viel Feedback, viel Anregungen, und das ist ein ganz, ganz wichtiger Input für die Arbeit in Berlin. Da ist ein drängendes Thema gewesen in der letzten Woche: Es war noch mehr als sonst Bürokratie, das kann ich auch verstehen. Bürokratie war immer schon nervig und hat das Wertvoll­ste gekostet, was wir haben, nämlich Lebenszeit. Seit Corona ist eine neue Dimension dazugekommen. Bürokratie kann existenzbedrohend sein, wenn man denkt, dass so mancher Lockdown zu lang war, dass so mancher Lockdown willkürlich war. Und noch was. Beim Hochwasser habe ich gespürt, wie groß die Solidarität sein kann. Und die Menschen wollen anpacken. Sie können auch anpacken. Die schaffen ganz, ganz viel. Solidarität bekommt man nicht hin qua Gesetz. Das kann man nicht verordnen, aber man kann es fördern. Doch das fördert man nicht, sondern man bremst es aus, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sie vom Staat gegängelt werden. Ich würde nie sagen, dass ist böser Wille. Aber ich würde immer sagen, unser Rechtssystem stammt aus vor-digitaler Zeit. Das ist noch nicht eingestellt auf hohe Geschwindigkeit, differenzierte Betrachtung, modernen digitalen Datenaustausch. Da müssen wir anpacken. Dann lösen wir nicht nur viele Probleme im ganzen Land, sondern wir fördern auch Ehrenamt und kleine und mittlere Unternehmen bei uns im Sauerland. Das ist ein ganz klarer Auftrag, den ich aus der vergangenen Woche mitgenommen habe.

Wir haben alle die Bilder aus Kabul gesehen, nach der Machtergreifung der Taliban. Die FDP tritt dort gerade stark als ganz großer Kritiker der Bundesregierung auf. Wie beurteilen Sie die Lage?

Der Afghanistan-Einsatz, auch der der Bundeswehr, ist nicht in Gänze gescheitert – im Gegenteil. Das er­ste und wichtigste Ziel des Einsatzes in Afghanistan war, dafür Sorge zu tragen, dass keine terroristischen Gefahren mehr ausgehen von Afghanistan. Der Versuch, in Afghanistan einen Staat zu errichten, mit Verwaltung und demokratischer Struktur, wie wir es uns wünschen. Das war eine glatte Überforderung der Militärs. Das ist die bittere Erkenntnis des gesamten Einsatzes. So, jetzt aber zu dem Scheitern und zu dem Desaster, was die Bundesregierung zu verantworten hat. Ich bin erschüttert, dass die Obleute im Auswärtigen Ausschuss noch am Freitag, dem 13., also nachdem die Amerikaner angefangen hatten, ihre Leute zu evakuieren, noch vom Auswärtigen Amt bestätigt wurde, Kabul fällt nicht und falls Kabul fällt, dann wird das erst in Monaten der Fall sein. Es hat nicht Monate gedauert, sondern ungefähr einen Tag. Krasse Fehleinschätzungen. Ich möchte jetzt aber nicht mit Rücktrittsforderungen kommen. Jetzt geht es allein darum, möglichst schnell möglichst viele Menschen in Sicherheit zu bringen, die um ihr Leben fürchten müssen. Hinterher wird man schauen müssen, wer hat jetzt politische Verantwortung zu übernehmen? Man muss gucken, ob man einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzt, um noch mal nachzuvollziehen, was getan werden muss, damit hinterher nicht nur die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, sondern auch, dass ein solches Desaster sich nicht wiederholt.

Sehen Sie auch die Herausforderung einer neuen Flüchtlingsbewegung?

Ehrlich gesagt – nein. Natürlich könnte es eine Flüchtlingsbewegung geben, aber nicht in einem riesigen Umfang und vor allen Dingen nicht jetzt, nicht so schnell. Ich fand es unverantwortlich, dass der Bundesinnenminister da Ängste geschürt hat. Und wir fordern als FDP tatsächlich auch die Organisation von Aufnahmelagern in der Nähe der afghanischen Grenze in den benachbarten Staaten – Tadschikistan, Usbekistan sind da vorneweg zu erwähnen. Da werden auch Geberkonferenzen nötig sein.

Ist Europa besser vorbereitet als 2015?

Nicht wirklich. Das ist ein großes Sorgenkind. Wir haben es nicht geschafft, in diesen Jahren eine europäische Asylpolitik zu implementieren. Wir haben nicht wirklich eine Strategie für den Umgang mit den Menschen, die an der EU-Außengrenze anklopfen und in die EU einreisen wollen. Ein europäisches Asylrecht wäre eine wichtige Aufgabe, die wir lösen sollten in den nächsten Jahren.