Arnsberg. Eva Hagedorny berät seit ca. 30 Jahren Zugewanderte. „Im Gespräch“ schildert sie ihre vielfältigen Aufgaben beim Caritasverband Arnsberg-Sundern.

Am heutigen Mittwoch, 30. Juni, ist bundesweiter Aktionstag der „MBE“, der Migrationsberatung für Erwachsene. Da ist es beinahe schon „Pflicht“, unser Mittwochs-Interview „Im Gespräch“ diesem Thema zu widmen. Und in die Ferne schweifen braucht man dafür nicht: Schon seit 2005 hilft der Caritasverband Arnsberg-Sundern Zugewanderten, deren Aufenthaltsstatus bereits geklärt ist, – die aber in vielen Bereichen noch Unterstützung benötigen – ihren Alltag besser zu meistern. Eva Hagedorny, die im Raum Arnsberg zuständig ist, berichtet über ihre Arbeit – und über ihre Schützlinge.

MBE – Migrationsberatung für Erwachsene, seit wann gibt es dieses Angebot in Arnsberg/im HSK?

Eva Hagedorny 2005 hat der Bund die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) installiert. Bundesweit gibt es heute 1460 Beratungsstellen, deren Träger die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege (Caritas, AWO, Paritätischer, DRK, Diakonie, ZWST) sind. Die MBE in Arnsberg ist von Anfang an dabei und beim Caritasverband Arnsberg- Sundern e.V. angesiedelt. Das Beratungsspektrum zielt darauf ab, zugewanderte Personen bei ihrer sprachlichen, beruflichen und sozialen Integration zu unterstützen und Migranten zu selbstständigem Handeln in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens zu befähigen. Das speziell auf neu Zugewanderte zugeschnittene, kostenlose Beratungsangebot ist vor allem für Migranten vorgesehen, die noch nicht länger als drei Jahre in Deutschland sind. Auf HSK-Ebene gibt es inzwischen MBE-Beratungsstellen in Brilon (CV) und Meschede (DRK). Wir bilden ein aktives Netzwerk und kooperieren eng miteinander.

„Steckbrief“ Eva Hagedorny

Studium der Geschichte (Lehramt) an der Universität Wroclaw (Breslau) / Master Lehrerin in Polen; 1988 Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland.

1989 bis 1991 Dozentin in einem Deutschkursus für Spätaussiedler; seit 1992 beim Caritasverband Arnsberg-Sundern als Beraterin für Geflüchtete und Migranten tätig.

Eva Hagedorny hat zwei erwachsene Kinder; als Hobbys nennt sie Lesen, Reisen, Musik, Kino, Architektur, Garten, Reiten, Fremdsprachen, Politik und internationale Küche.

Info zu Aktionen der bald startenden „Inter­kulturellen Wochen“ auf Facebook, unter https://www.facebook.com/groups/375746657159683

Welchen Stellenwert hat der Aktionstag für Ihre tägliche Arbeit?

Der MBE-Aktionstag soll auf die Wichtigkeit und Notwendigkeit der sozialpädagogischen Arbeit für und mit Migranten hinweisen. Es ist wichtig zu wissen, dass man in Deutschland ein gut funktionierendes Netz von Beratungsstellen aufgebaut hat, die den Zuwanderern eine qualifizierte Unterstützung anbieten. Solche Information ist nützlich – sowohl für die Hilfesuchenden selbst, als auch für Ehrenamtliche und unterschiedliche Netzwerkpartner auf kommunaler und regionaler Ebene.

Stichwort „tägliche Arbeit“ – wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus / wie die Struktur vor Ort?

Unsere MBE-Beratungsstellen sind für Hilfesuchende gut und täglich erreichbar – in den Caritashäusern in Arnsberg (Clemens-August Straße 15, 02931-5450516), in Neheim (Schulstraße 10, 02932-8055575) und in Sundern (Hauptstraße 111, 02933-98379515). Das Beratungsangebot wird sehr gern wahrgenommen. Vor Corona hatte man teilweise vier bis fünf Beratungsgespräche pro Tag, die Termine waren im Voraus ausgebucht. Während der Corona-Zeit und nach dem Lockdown bieten wir drei Termine pro Tag an – unter Einhaltung aller Hygienevorschriften (Maske, Spuckschutz, Coronatest). Die Nachfrage ist wieder stark gestiegen. Neben der Einzel- und Familienberatung der Migranten ist die MBE auch in integrative Projekte vor Ort involviert. Momentan sind wir dabei, mehrere Aktionen für die ‘Interkulturelle Woche’ in Arnsberg zu starten. Über die Facebook Gruppe „Arnsberg interkulturell“ kann man sich informieren und an den Aktionen teilnehmen.

Das MBE-Team im HSK (von links): Heike Feldege (MBE des DRK Meschede), Simone Geck (MBE Caritasverband Brilon), Elke Polzer (Schulcoach des JMD im HSK), Eva Hagedorny (MBE des Caritasverbandes Arnsberg-Sundern) und Afrodita Kotthoff (MBE des DRK Meschede).
Das MBE-Team im HSK (von links): Heike Feldege (MBE des DRK Meschede), Simone Geck (MBE Caritasverband Brilon), Elke Polzer (Schulcoach des JMD im HSK), Eva Hagedorny (MBE des Caritasverbandes Arnsberg-Sundern) und Afrodita Kotthoff (MBE des DRK Meschede). © WP | CV Arnsberg-Sundern

Welche Menschen kommen in der Regel zu Ihnen?

Wie man so schön sagt, zur Caritas kommen alle, die Hilfe suchen. Zu mir kommen natürlich auch Menschen, die einen Rat, Unterstützung oder Information benötigen. Es sind bleibeberechtigte Zuwanderer aus der ganzen Welt, die eine kurze Frage (selten) oder einen Koffer voller Themen / Fragen mitbringen (meistens). In 2020 habe ich knapp 540 Fälle bearbeitet. Trotz Corona überwiegt die Präsenzberatung, gefolgt von Video-, Telefon- und Online-Beratung. Zum Gespräch kommen Einzelpersonen, Ehepaare, öfter auch ein Elternteil mit Kind(ern). Die meisten meiner Klienten kommen aus Syrien, Irak, Afghanistan, Iran, Eri­trea, Pakistan, EU-Staaten, Türkei, Somalia, Kosovo. Die MBE begleitet laut Vorgaben des Bundes hauptsächlich Personen, die sich noch nicht länger als drei Jahre in Deutschland aufhalten. Die Praxis zeigt jedoch, dass Integration ein längerer Prozess ist und es fast unmöglich ist, innerhalb von drei Jahren solche sprachlichen und beruflichen Erfolge zu erzielen, dass man von sich sagt, „ich bin hier gut integriert“.

Welche Probleme müssen Sie lösen, wo drückt am häufigsten der Schuh?

Das Themenspektrum in der MBE ist riesig. Wir begleiten die Zuwanderer in Arnsberg und Sundern bei allen Fragen und Schwierigkeiten: Wie finde ich Arbeit? Wo kann ich Deutsch lernen? Wo gibt es ein Betreuungsangebot für meine Kinder? Warum finde ich hier keine Freunde? In den ersten Wochen, Monaten, Jahren in Deutschland erscheint Vieles fremd und andersartig. Was im Herkunftsland selbstverständlich und einfach war, funktioniert hier möglicherweise nach anderen Regeln. Dutzende Anträge und Formulare, langwieriger Familiennachzug der Angehörigen, der oft zwei, drei Jahre dauert, Schwierigkeiten der Kinder in der Schule, Verschuldung, Gesundheitsvorsorge, Anpassungsschwierigkeiten, Familien- , Ehe, Generationsprobleme usw., auch Diskriminierungserfahrungen – all dies sind Themen, die zu Überforderung führen können.

Wie genau bringen Sie sich ein?

Als Beraterin versuche ich, gemeinsam mit den Hilfesuchenden Wege zu finden und vorhandene Probleme zu lösen. Sehr oft greift man auf das vorhandene Netzwerk aus den Institutionen und Behörden bzw. anderen Regeldiensten zurück, da die Problematiken sehr komplex und vielschichtig sind. Die Beratungssprache ist Deutsch – und das funktioniert erstaunlich gut. Bei einem Teil der Klienten muss natürlich das Gespräch auf Englisch, Französisch, Russisch oder Polnisch geführt werden. Bei komplizierten Themen sorgen wir dafür, dass ein Übersetzer dabei ist.

Die Coronakrise hat das Thema Zuwanderung – wie so vieles andere auch – in den Hintergrund gerückt – belastet das Ihre Arbeit?

Die Corona-Krise hat viele Themen in den Hintergrund gerückt. Zuwanderung war auch davor kein bequemes Sujet. Mir ist das schon immer bewusst gewesen, aber es hat mich trotzdem in den 30 Jahren meiner Tätigkeit nicht ermüdet. Ich bleibe gelassen nach dem Motto: „Bei fast 200 Ländern auf der Welt ist die Chance enorm groß, Ausländer zu sein“ (Pascal Lachenmeier, Schweizer Jurist). Die Auswirkung der Coronakrise auf meine Arbeit merkt(e) man vor allem durch die starke Eingrenzung der Beratungspräsenz. Insbesondere in der Lockdown-Zeit zwischen November 2020 und Mai 2021 blieben die Beratungsstellen geschlossen und der persönliche Kontakt zu der Klientel musste durch Telefonate, Onlineaustausch, Walk&Talk-Termine im Freien oder Videokonferenzen ersetzt werden. Beratungsprozesse haben sich dadurch spürbar verlängert, und die Erledigung sogar einfacher Themen gestaltete sich schwierig. Zum Glück sind unsere Büros wieder geöffnet, und ich merke selbst, wie diese Entwicklung sowohl mich als auch die Klienten zufrieden stellt. Gerade im sozialen Bereich und speziell in der Arbeit mit Zuwanderern sind persönliche, vertrauliche Gespräche sehr wichtig. Als Mitarbeiterin des Fachdienstes für Integration und Migration bin ich auch deswegen erleichtert, weil man mehr Spielraum bekommt, um wichtige integrative Projekte auf kommunaler Ebene durchzuführen. Ich setze mich mit Rassismus, Antisemitismus und Ausgrenzung auseinander; im Rahmen meines Dienstes zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen wollen wir auf das Thema Zuwanderung, Migration, Umgang mit Geflüchteten hinweisen.

Blicken Sie mal in die Zukunft – wie geht es mit der MBE weiter?

Die MBE-Beratungsstellen sind ein sehr wichtiger Faktor des Beratungsangebots für Zuwanderer in Deutschland. Laut Statistik für 2020 gab es 305.000 Beratungsgespräche bundesweit. Das sind weitaus mehr als angesichts der Lockdown-Situation zu erwarten wären. Der Beratungsbedarf ist sehr hoch und wird es auch bleiben. Wir hoffen, dass die MBE auch weiterhin vom Bund gefördert wird. Wir tun unser Bestes, die Integration vor unserer Haustür auch weiterhin gut zu begleiten und zu gestalten.