Arnsberg. Lawrence Goodman, einer der Bomberpiloten, pflegt heute Freundschaften zu Arnsbergern. Und hält Krieg für kein Mittel der Auseinandersetzung.
Das Heulen der Luftalarmsirenen ist für die Arnsberger in den ersten Monaten des Jahres 1945 längst zur traurigen Alltäglichkeit geworden.
So eilen sie auch an jenem trüben, nasskalten 19. März, genau heute vor 75 Jahren, in die Bunker. Um ihr nacktes Leben zu retten. Denn im Anflug sind schwere britische Lancaster-Bomber der Squadron 617. Ihr Ziel – wieder einmal – das strategisch wichtige Arnsberger Eisenbahn-Viadukt. Dies mit Erfolg.
„Um 11.06 Uhr schwere Einschläge, einzeln, angeblich auf Viadukt“
Um 10.50 Uhr, notiert Rudolf Bietzker in seinem Tagebuch, fällt der erste Bombenteppich:
„Um 11.06 Uhr schwere Einschläge, einzeln, angeblich auf Viadukt, zwei Pfeiler gebrochen. Tatsache: Viadukt ein Pfeiler und zwei Bogen herausgebrochen. Tunnel in 8 m Tiefe von oben durchschlagen und verschüttet, westlich Viadukt großer Bombentrichter mitten im Bahndamm.“
Der Bomberverband hat damit den Auftrag des Strategischen Bomberkommandos erfüllt: Die wichtige Nachschub-Linie zwischen dem, was von der Rüstungskammer Ruhrgebiet noch geblieben ist, und der Ostfront ist unterbrochen.
Muffrika ist ein Trümmerfeld
Endlich unterbrochen, finden nicht wenige Arnsberger. Insgeheim, weil ein solcher Gedanke - laut ausgesprochen - den Kopf kosten kann. Denn die immer neuen Angriffe auf den Viadukt haben für viele Tote, Verwundete und zerstörte Häuser geführt, großes Leid über die Stadt in der Ruhrschleife gebracht.
Vor allem Muffrika - heute als ein Ort guter Nachbarschaft und guter Laune bekannt - ist völlig verwüstet. Ein apokalyptisches Trümmerfeld.
Bomberpilot Lawrence „Benny“ Goodman: Krieg produziert nur unsägliches Leid
Einer, der an jenem tristen Montag am Steuerhorn einer der Lancaster-Bomber sitzt, ist der damals 24-jährige Brite Lawrence „Benny“ Goodman. Heute erinnert sich der nun 99-Jährige, der seinen Lebensabend in einem Seniorenheim im Südosten Englands verbringt, nicht an etwa heroische Taten als Soldat, sondern er denkt an das unsägliche Leid, das dieser sinnlose und verheerende Krieg über die Menschen gebracht hat.
Der jungen Generation deutlich machen, dass ein Krieg nie sinnvoll ist
„Es wäre wichtig,“ sagt Goodman in einem Gespräch mit dem Arnsberger Heimatbund-Vorsitzenden Werner Bühner, „daraus zu lernen und den jungen Generationen deutlich zu machen, dass ein Krieg mit all seinem Hass und seinen Grausamkeiten niemals als sinnvoll angesehen werden darf.“
Ein Ziel, findet der bald 100-Jährige, dass seiner Ansicht nach leider manche Länder noch nicht erreicht hätten. Deshalb sein Appell. „Die Demokratie muss die Politik bestimmen, am besten im freundschaftlichen Zusammenleben.“
Freunde in Arnsberg gefunden
Keine leeren Worten eines Mannes, der seine Jugend im Sitz eines todbringenden Bombers und zwischen explodierenden Flakgeschossen und angreifenden Jagdflugzeugen verbringen muss. Denn Benny Goodman lebt diese Maxime auch vor:
Er schließt in den 1990er Jahren noch immer bestehende Freundschaften mit den Nachkommen jener Arnsberger, die auch vor den von ihm abgeworfenen Bomben in Kellern und Bunkern Schutz suchten, vielleicht ihr Leben verloren oder schwer verwundet wurden.
„Es ist wunderbar, sich an die Gesprächsrunden in fröhlicher Atmosphäre zu erinnern“
So besucht er in den 1999 sogar als ein ganz besonderer Gast unter anderem auch das Muffrikaner Schützenfest. Schließt dort neue Freundschaften und erlebt begeistert, wie ausgelassen und zwanglos in Arnsberg, in Muffrika gefeiert wird. „Es ist wunderbar, sich an die Gesprächsrunden in fröhlicher Atmosphäre zu erinnern,“ schwärmt der 99-Jährige.
Einer von diesen engen Freunden aus Arnsberg ist Heimatbund-Vorsitzender Werner Bühner, der Goodman bei Recherchen für einen Film des Heimatbundes kennengelernt hatte. Seitdem pflegen beide regelmäßigen Kontakt.
Werner Bühner: Auch heute noch den Blick auf das menschliche Leid richten
Für Werner Bühner, den langjähriger Leiter der Theodor-Heuss-Schule, selbst ist es sehr wichtig, „auch 75 Jahre nach diesen schrecklichen Ereignissen den Blick auf das menschliche Leid zu richten, das der Krieg damals anrichtete“.
So seien Aufnahmen vom zerstörten Viadukt sicherlich weniger bedeutsam, als die Bilder der auf dem Museumshof aufgestellten Särge kurz vor der Beisetzung in Mehrfachgräbern auf dem Eichholzfriedhof, die es nicht als Fotos, wohl aber fest im Gedächtnis vieler Zeitzeugen gebe.
„Solche Eindrücke“, sagt Bühner, „tragen dazu bei, die menschenverachtende Seite und die Sinnlosigkeit aller Kriege deutlich werden zu lassen. Es hilft uns dabei sehr, Freunde zu haben, die diese Ansicht teilen. Einer von ihnen ist Lawrence ,Benny‘ Goodman.“