Arnsberg. Das bekannte Stück „Die 12 Geschworenen“ hatten sich die Spielwerker für 2020 ausgesucht. Und ihre Adaption kam ganz hervorragend an im Publikum.
Zwölf Geschworene sitzen an einem großen Tisch in Arnsberg und müssen über schuldig oder nichtschuldig entscheiden.
Die Szene spielt aber nicht im Landgericht, sondern auf der Bühne der Kulturschmiede. Ein junger Puerto-Ricaner soll seinen Vater erstochen haben. Der Stoff ist bekannt, es ist das auch verfilmte Bühnenstück von Reginald Rose aus den 50er Jahren, aufgegriffen von der Arnsberger Theaterspielgruppe „Spielwerk“. Und so viel vorweg: Die Premiere am Donnerstagabend ist absolut gelungen.
Und plötzlich erhebt sich eine Gegenstimme
Die Stimmung der zwölf Geschworenen ist leutselig und zeigt leichte Erschöpfung nach den langen Gerichtsverhandlungen. Der Fall ist wohl klar: schuldig. Worte wie „Untermensch“ und „geborener Verbrecher“ machen die Runde.
Doch bei der Abstimmung erhebt sich plötzlich eine Gegenstimme: „Wir schulden dem Jungen ein paar Worte“, sagt eine der Geschworenen.
Das Publikum kann das Geschehen hautnah verfolgen
Da nimmt das Schauspiel Fahrt auf. Wenn man diese Frau nicht umstimmt und zur Einstimmigkeit kommt, ist der Junge freigesprochen. Mit ungeheurer Dynamik lösen die Schauspieler nun die Zwölfergruppe in unterschiedlichste Einzelcharaktere und Temperamente auf.
Eine aufgeheizte Stimmung aus Vorurteilen, Boshaftigkeit, Intoleranz, Besserwisserei, Gleichgültigkeit, Ungeduld, aber auch bissigem Humor ergießt sich auf das Publikum, das das Spiel von beiden Seiten der Bühne hautnah verfolgt. Mit permanent steigender Spannung.
Das perfekte Spiel lässt schnell vergessen, dass man in einem Theater sitzt
Die Regie lässt die Akteure aufspringen, im Raum gestikulierend herumlaufen und in den Saal hinein argumentieren, so dass das Publikum angesprochen und einbezogen wird. Neue Beweisketten und Ungereimtheiten der Prozessführung werden aufgespürt und im jeweiligen Rollenverständnissen meist aggressiv vorgetragen, so dass sich die Stimmung zunehmend aufheizt. Unmittelbar vor der Pause kommt es sogar zu Handgreiflichkeiten.
Das Spiel der Laiendarsteller in der intimen Atmosphäre ist so perfekt, dass man schnell vergisst, im Theater zu sein, vielmehr einer echten Geschworenenversammlung beiwohnt, wenn diese öffentlich wäre.
Hoch interessant ist es, die überzeugend gespielte Vehemenz der Beweggründe und Argumentationen zu verfolgen, die einige der Geschworenen nach und nach dazu bringt, sich der Auffassung der Frau mit der Gegenstimme anzuschließen.
Die Regisseurinnen setzen die Dramatik vor bewusst dezenten Kulissen um
Nach der Pause greift Ratlosigkeit um sich. Die Schauspieler schauen, sich isolierend, ins Leere, als der Scharfmacher der Gruppe mit seiner Schuldig-Stimme wutschäumend alleine übrig bleibt. Schließlich zerfleischen ihn sein Hass und die Erkenntnis seines eigenen widersprüchlichen Daseins und er knickt am Boden zerstört ein. Freispruch für den Jungen.
Die Regisseurinnen Susanne Gieseke und Gaby Renner haben sich weitgehend an den Original-Text gehalten und es verstanden, dessen Dramatik vor den bewusst dezenten Kulissen und Requisiten von Michael Hahne schauspielerisch umzusetzen.
„Das Stück hält auch heute noch der Gesellschaft einen Spiegel vor“, betont Susanne Gieseke, „Meinungen auch zu vertreten, wenn andere zunächst dagegen sind. Man muss den Mut zum Zweifeln haben“.
Mut zum Zweifel - „Die 12 Geschworenen“ haben auch eine wichtige Botschaft
Die zwölf Schauspieler konnten diese Botschaft perfekt in ihren unterschiedlichen Rollen demonstrieren. Dass sie über zwei Stunden diese riesige, recht komplizierte Textmenge perfekt beherrschten, ist einfach nur bewundernswert.
Wenn Susanne Gieseke antwortet: „Ich auch“, zollt auch sie dieser grandiosen schauspielerischen Leistung ihren Respekt, an der sie als Regisseurin mit Gaby Renner zusammen in zahlreichen wöchentlichen Proben teilhat.