Arnsberg. . 1958 ging vor dem Arnsberger Landgericht der Prozess zum Massaker an Fremdarbeitern bei Warstein zu Ende. Jetzt gibt es eine Veranstaltung dazu.

Vor 74 Jahren, im März 1945, kam es im Arnsberger Wald im Raum Warstein-Suttrop-Eversberg zu einem beispiellosen Verbrechen des NS-Regimes. In einem Massaker wurden 208 polnische und russische Fremdarbeiter in einer „Nacht-und-Nebel“-Aktion ermordet und in Massengräbern verscharrt (wir berichteten).

Es folgte später ein bundesweit aufsehenerregender Prozess vor dem Landgericht Arnsberg. Als Beitrag zur umfassenden Erinnerungskultur über die Schandtaten des Nationalsozialismus lädt das Landgericht nun zu einer Vortragsveranstaltung ein (siehe Infobox).

SS-General Kammler erteilt den Mordbefehl

Es war 1945. Der Krieg neigte sich dem Ende zu, die Wehrmacht sah einer Niederlage entgegen, die Alliierten waren auf dem Vormarsch. Die „Endphase“ hatte begonnen und die Nazis setzten alles daran, „in letzter Eile unerwünschte Elemente zu vernichten“.

Bilder der Angeklagten Wolfgang Wetzling und Ernst Moritz Klönne in der Westfalenpost.
Bilder der Angeklagten Wolfgang Wetzling und Ernst Moritz Klönne in der Westfalenpost. © Maximilian Dolle

So kam es auf Befehl von Waffen-SS-General Hans Kammler im März zu einem Massaker, das im Sauerland seinesgleichen sucht.

Mörder wüten drei Tage

Innerhalb von drei Tagen exekutierten SS-Angehörige und Wehrmachtsoldaten große Gruppen von Zwangsarbeitern und verscharrten sie im und um den Arnsberger Wald.

Die „Angelegenheit“ sollte unter strenger Geheimhaltung stehen, doch blieben die Hinrichtungen nicht lange unentdeckt. Als einige Zeit vergangen war und die Staatsanwaltschaft über Jahre Beweise zusammengetragen hatte, begann 1957 der Prozess vor dem Landgericht Arnsberg. Dieser fand überregionale Beachtung.

Die Angeklagten plädieren auf nicht schuldig

Die sechs Angeklagten – Wolfgang Wetzling, Ernst Moritz Klönne, Bernhard Anhalt, Heinz Zeuner, Helmut Gaedt und Johann Miesel – waren an dem Massaker wesentlich beteiligt, wie sich im Laufe des Prozesses herausstellte. Sie hatten sich für alle 208 ermordeten Zwangsarbeiter zu verantworten. Und alle sechs plädierten auf nicht schuldig im Sinne der Anklage.

Was daraufhin – 12 Jahre nach den Verbrechen – jenem Auftakt des Prozesses im November 1957 folgte, war eine Zusammenschau von Schuldzurückweisungen, Schilderungen der grausigen Verbrechen in teils klinischer Weise, Widersprüchen und noch immer fest verwurzelter NS-Ideologie:

Nazi-Jargon auch nach Kriegsende beibehalten

Begriffe aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“ wie etwa „Fangschuss“ oder „Dezimierung der erheblichen Massierung“ drückten aus, wie selbstverständlich diese NS-Schergen noch lange nach Untergang des Dritten Reichs in abwertenden NS-Kategorien dachten.

Der Prozess zog sich bis zum Februar 1958. Nach 21 Verhandlungstagen fiel am 12. Februar 1958 das Urteil. Das Volk hatte Gerechtigkeit erhofft. Und die Zeitungen hatten zumindest eine symbolische Vergeltung für etwas erwartet, für das es niemals eine angemessene Strafe geben konnte.

Der Befehlserteiler entzieht sich durch Selbstmord

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Als das Ergebnis feststand, fasste die lokale Presse es so zusammen: „208 Tote mit 6 ½ Jahren Gefängnis gesühnt“. Und zwar fünf Jahre für Wetzling, eineinhalb Jahre für Klönne, Verfahrenseinstellung im Fall Miesel. Freispruch für Gaedt, Anhalt und Zeuner.

Hans Kammler konnte für seine Taten nicht mehr bestraft werden. Er hatte sich 1945 durch Selbstmord der Verantwortung feige entzogen.

Politik sieht in Urteil einen „Mord am Recht“

Die Meinungen zum Urteilsspruch fielen größtenteils negativ aus. Zeitungen sprachen von einem „milden Urteil“. Einige waren bestürzt, der Rechtsausschuss des Bundestages sah einen „Mord am Recht“.

Der damalige Landgerichtsdirektor Niklas verteidigte jedoch das Ergebnis: Da Struktur und Zusammensetzung der Gerichte vom Gesetzgeber vorgegeben sei, müsse man auch den von diesen Gerichten gefällten Urteilen sachlichen Respekt entgegenbringen.

Bundesgerichtshof hebt die Arnsberger Urteile auf

Zeitungsartikel der Westfälischen Rundschau zum NS-Prozess vor dem Landgericht Arnsberg.
Zeitungsartikel der Westfälischen Rundschau zum NS-Prozess vor dem Landgericht Arnsberg. © Maximilian Dolle

Dennoch gingen sowohl Anklage als auch Verteidigung in Revision. Schließlich hob der Bundesgerichtshof die Urteile auf. Es folgte 1959 ein zweiter „Fremdarbeiter-Prozess“ vor dem Landgericht Hagen. Dieser Prozess fand in der Öffentlichkeit weitaus weniger Beachtung, am Ende aber deutlich härtere Strafen für die drei Hauptangeklagten:

Wetzling erhielt lebenslängliches Zuchthaus, Klönne sechs Jahre, Miesel wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Für Gaedt, Anhalt und Zeuner blieb die Gültigkeit der Arnsberger Urteile erhalten.

In Hagen erfolgen Verurteilungen wegen Mordes

Ein wesentlicher Unterschied der beiden Prozesse lag in der Beurteilung und Einordnung der Taten. Vor dem Arnsberger Landgericht wurden Wetzling und seine Handlanger für Totschlag oder Beihilfe zum Totschlag verurteilt.

In Hagen konnte die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung wegen Mordes erreichen. Auch wurden die Befehlsnotstände, auf die sich die Angeklagten beriefen, verschieden stark angerechnet.

Landgericht lädt am 21. März zu Veranstaltung ein

Das Landgericht Arnsberg lädt zu einem Vortrag zur Erinnerung an den „Fremdarbeiter-Prozess“ ein - am kommenden Donnerstag, 21. März. Dazu drei Fragen an den Präsidenten des Landgerichts, Peter Clemen.

1 Warum erinnert das Landgericht an den damaligen Prozess?

Wir möchten damit zur Auseinandersetzung mit den damaligen Ereignissen beitragen. Ein aktueller Anlass dazu ergibt sich auch vor dem Hintergrund, dass der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) seit 2017 das Verbrechen und seine Geschichte erforscht. In diesem Zusammenhang fanden aktuell auch Ausgrabungen an den Tatorten statt.

2 Das Urteil des Arnsberger Landgerichtes wurde damals von der Öffentlichkeit und der Presse als zu milde kritisiert. Wie schätzt das Landgericht heute die eigenen Urteile von damals ein?

Peter Clemen, Präsident des Landgerichts Arnsberg.
Peter Clemen, Präsident des Landgerichts Arnsberg. © Fotografie Anneser

Aus dem Urteil ergibt sich eindeutig, dass die zeitnahe Vergangenheitsbewältigung nicht funktioniert hat. Das Urteil war zu Recht angreifbar und ist letztendlich auch durch den Bundesgerichtshof und das Landgericht Hagen korrigiert worden.

Unsere Aufgabe ist es, das nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, sondern achtsam für die Zukunft zu sein und aus dieser Zeit zu lernen. Wir leben in einem Rechtsstaat mit gut funktionierender dritter Gewalt, die sich seit 70 Jahren gefestigt hat.

Trotzdem muss man auch heute Angriffen auf Demokratie und Rechtsstaat entschieden begegnen. Und dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit.

3 Was ist für die Veranstaltung geplant?

Eine Einführung in die Thematik in Form eines Vortrages vom Leiter der Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalismus“, Stephan Wilms. Danach befasst sich Dr. Markus Weidner (LWL) mit dem Verbrechen und dem Strafprozess.

Im Anschluss stellt Archäologe Dr. Manuel Zeiler die Ausgrabungen vor. Begleitend zur Vortragsveranstaltung sollen einzelne Funde sowie Zeitungsartikel, die das Strafverfahren reflektieren, bis zum 11. April im Landgericht ausgestellt werden.