Arnsberg. . Ein Gespräch mit dem Arnsberger Stadtarchivar Michael Gosmann über bewegende Zeitzeugen, die Tücken des Erinnerns und alte Adressbücher.

Er hütet persönliche Erinnerungen einer ganzen Stadt: Michael Gosmann leitet das Stadtarchiv Arnsberg und damit eine Sammlung von hunderten Nachlässen, Frontbriefen, Poesiealben, Filmen und Fotos aus dem näheren Umfeld. Anknüpfend an die Serie „Unsere Jahrzehnte“ haben wir mit ihm über Erinnerungskultur gesprochen. Ein Gespräch über bewegende Zeitzeugen, die Tücken des Erinnerns und alte Adressbücher.

Berichte der Kriegsgeneration

Wer im Hochsauerland nach Erlebnissen und Eindrücken von früher fragt, dem begegnet eine Vielzahl von Perspektiven auf die Geschichte der Region.

Für Stadtarchivar Michael Gosmann ist es besonders eine Bevölkerungsgruppe, die fasziniert: „Die Kriegsgeneration ist schon ein Phänomen“, so der Stadtarchivar. „Ich glaube, diese Generation hat noch nicht den Stellenwert erreicht, den sie haben sollte.“ Gosmann spricht dabei aus engster Erfahrung, war seine Mutter doch als Rot-Kreuz-Schwester ebenso an der Front des Zweiten Weltkriegs, wie sein Vater als Soldat der Wehrmacht. „Man kann nicht sagen, dass einen die Schilderungen persönlich nicht geprägt haben.“

Regale auf mehr als zwei Kilometern

Insgesamt 2,5 Kilometer misst die komplette Regallänge im Stadtarchiv Arnsberg.

Die Sammlung reicht von Urkunden aus dem Jahr 1360 bis zu Verwaltungsakten von 2018.

Die Erinnerungskultur im Hochsauerlandkreis wird vornehmlich von privaten Heimatforschern, Vereinen wie dem Sauerländer Heimatbund sowie Museen und Heimatstuben gepflegt.

Einen Überblick der Museen im HSK liefert die Museumslandschaft HSK unter: hochsauerlandkreis.de/museumslandschaft

Da die Zahl der Zeitzeugen abnimmt, sei es umso wichtiger, die Erinnerungen aus erster Hand zu bewahren. In größeren Teams hat Gosmann bereits in einigen Geschichtswerkstätten mitgewirkt, die den Blick auf verschiedene Aspekte der NS-Diktatur lenkten, wie etwa auf Juden in Arnsberg und auf Zwangsarbeiter. „Das war ein vollkommen weißer Fleck“, seien diese Arbeiten ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung. Zurzeit forsche zudem eine Studentin im Stadtarchiv zu der Frage, wie Hitlerjugend und der Bund deutscher Mädel (BDM) in Arnsberg gewirkt haben. Ein schwieriges Terrain.

„Vieles wurde damals unter den Teppich gekehrt, weil man sich damit nach dem Krieg nicht schmücken konnte.“ So gebe es kaum Literatur über den Alltag von Jugendlichen in der Hitlerjugend in der Region – anders etwa als Berichte über katholische Jugendbewegungen, die sich der NS-Diktatur verweigert haben. „Es ist ganz wichtig, solche Themen aufzuarbeiten – ob man persönlich betroffen ist oder nicht.“

Kontroverse Themen

Gerade bei kontroversen Themen sei es umso menschlicher, dass unangenehme Erlebnisse verdrängt und bessere bestehen bleiben – allein aus Selbstschutz. „Die Erinnerung schmerzt häufig, aber sie befreit“, ist Gosmann überzeugt. So mache es den Menschen aus, dass er Erinnerungen eben nicht nur weitergeben kann, sondern auch selbst davon zehrt und im Rückblick daraus lernt. „Es gibt Fakten, die lassen sich nicht widerlegen. Wer das versteht, wird ein bisschen stabiler und wehrhafter gegen Hetzkampagnen.“

Erinnerung verblasst

Mit Blick auf die Zukunft müsse man heute auch darauf achten, für künftige Generationen erforschbar zu bleiben. Dies gilt umso mehr für eine Welt, in der eine Vielzahl von Erinnerungen nur im digitalen Raum gespeichert wird. Massenhaft digitale Daten könnten langfristig verschwinden, die Erinnerung an Familienangehörige verblassen.

So habe es früher Adressbücher gegeben, die wichtige Quelle zur Ahnenforschung sind. 1980 sind diese Bücher aus Datenschutzgründen eingestellt worden. „Ob wir in hundert Jahren noch nachvollziehen können, wie der Alltag heutzutage ausgesehen hat? Ich bin da skeptisch.“