Neheim. . Moderne Generation von Tatoo- und Piercing-Studios wie Neheimer „Zone“ setzt auf Beratung. Hinter jedem Tattoo steckt Geschichte eines Menschen.

Sie ist eine Künstlerin. Eine, die zuhören muss. Sie hört Geschichten und Beweggründe, nimmt sich dann einen Stift zur Hand und zeichnet los. Tatjana da Rocha Lourenco ist Tätowiererin im „Zone“ in Neheim. Nach Schablone will die 33-Jährige nicht arbeiten. Ehe sie die farbgetränkten Nadeln zur Kunst am Körper ansetzt, möchte sie die Menschen kennenlernen.

Tipps rund um das Thema Piercing und Tattoo

Die Betreiber des Studios „Zone“ in Neheim geben Interessierten Tipps rund um das Thema Piercen und Tätowieren:

Grundsätzlich sollte in beiden Fällen vorher ein Beratungsgespräch geführt werden. Piercing können aber auch ohne Termine gemacht werden.

Das erste Tattoo sollte etwas sehr Persönliches sein. Es kann Sinn machen, Motiv und Aussage des Tattoos mit seinem Umfeld (Familie, Freunden, Partner etc.) zu besprechen.

Genau prüfen und hinterfragen, ob sich das gewünschte Tattoo oder Piercing mit seinen Freizeitinteressen oder auch beruflichen Plänen vereinbaren lässt.

Weniger kann manchmal mehr sein“ - zu viele Tattoos und Piercings wirken nicht zwangsläufig besser.

Pflegehinweise einfordern und auch auf die Pflege achten – sowohl direkt nach den Tattoo-und Piercing-Behandlungen als auch bei bestehenden Piercings.

Beratung ist dem Team in der „Zone“, dem Tattoo- und Piercingstudio in der Langen Wende, wichtig. Inhaber ist Marco Lourenco. Seit 20 Jahren ist der Krankenpfleger auf einer Dialysestation nebenberuflich als Piercer tätig. Seit acht Jahren betreibt er das Studio, das im April 2018 am jetzigen Standort neu eröffnet wurde. Es lädt ein mit Sitzecken - zum Warten, zum Sprechen. Ein Hauch indogen, ansprechend und offen. Hinterzimmer-Klischees werden hier nicht bedient.

Ein achtköpfiges Team arbeitet im Studio. Im Verkauf, bei der Kundenberatung und beim „Handwerk“. Marco Lourenco zeigt seinen Raum. Dieser erinnert eher an ein Behandlungszimmer einer stylischen Arztpraxis. Nicht ohne Grund: Beim Piercing ist Hygiene wichtig. Der 40-Jährige legt Wert auf steriles Arbeitsgerät, wenn er Löcher an allen nur denkbaren Körperstellen sticht, um dort Ringe, Perlen oder sonstigen Schmuck an die Frau oder den Mann zu bringen.

Nix von Hinterzimmer-Klischee: Tattoostudio „Zone“ in Neheim.
Nix von Hinterzimmer-Klischee: Tattoostudio „Zone“ in Neheim. © privat

Kunden werden aufgeklärt, unterschreiben eine Einwilligungserklärung. Das schnelle Protest-Piercing eines Pubertierenden geht im „Zone“ wie in anderen verantwortungsvoll arbeitenden Studios nicht. Möglich ist das Piercen hier erst ab 14 Jahren - aber nur mit Einwilligungserklärung und auch Anwesenheit eines Erziehungsberechtigten. „Die Eltern sind oft kritisch“, weiß Marco, „und das ist auch in Ordnung so!“. Bei den Tattoos gibt es keine Schnellschüsse: Unter 18-Jährige werden im „Zone“ nicht tätowiert. „Wir wollen, dass sich jeder gut überlegt, ob, wo und wie er sich tätowieren lässt“, sagt Tatjana.

Marco Lourenco setzt auf steriles Arbeitsgerät beim Piercing.
Marco Lourenco setzt auf steriles Arbeitsgerät beim Piercing. © Martin Haselhorst

Beide sind als Kunden anderer Studios zur eigenen Geschäftsidee gekommen. Tatjana selber trägt Tattoos, sicht- und darüber hinaus erahnbar, aber nicht aufdringlich. Auch Marco zeigt für jedermann einsehbar farbige Kunstwerke auf den Armen. Große Ringe schmücken seine Ohrläppchen. „Das alles ist Körperschmuck“, sagt er. Und daher immer eine Frage der Ästhetik und des Geschmacks. „Wir versuchen jungen Menschen auszureden, sich zu viel Metall ins Gesicht zu packen“, so Lourenco. Alles solle wirken können und für sich ein Blickfang sein können. Wissen wollen Marco und Tatjana auch, ob der Schmuck zu Freizeitinteressen oder Beruf passt. „Und dann empfehlen wir jemanden auch schon einmal, sich die Handoberfläche nicht tätowieren zu lassen“, sagt Tatjana. Das Neheimer Geschäft wolle „die normalen Kunden und nicht die Extremen ansprechen“. Tattoos mit radikaler politischer oder menschenverachtender Botschaft sind Tabu.

Kunstwerk für Ewigkeit auf die Haut

Das Kunstwerk für die Ewigkeit auf der Haut ist Ergebnis vieler Nadelstiche. Aus Töpfchen wird zertifizierte Farbe aufgenommen, die Nadel dringt in die Haut und hinterlässt Farbpartikel. Zum Schutz aller Beteiligten wird auch hier auf Sterilität Wert gelegt. Jeder Nadelstich ist eine kleine Verletzung. „Das kann auch wehtun“, weiß Tatjana.

Und kostet auch: Unter 50 Euro ist kein Tattoo zu kriegen – Beratung, Entwurf in reiner Handarbeit und Ausführung inklusive. Ein rundum tätowierter Arm kann allein schon je nach Motiv 15 bis 30 Stunden reine Stechzeit beanspruchen und ist nicht mit einer Sitzung zu machen. Der Preis für das gute Stück kann dann auch schnell zwischen 1500 und 3000 Euro liegen.

Die Branche ist gesellschaftsfähig geworden, hat sich gewandelt – und mit ihr die Trends: Wiederkehrende Motive und Themen bei den Tattoos sind Kinder oder Freundschaften. „Oft hilft ein Tattoo auch zum Abschluss nach Trennung und Tod“, erzählt Tatjana. In Vorgesprächen hört sie dann „krasse Geschichten“, die sich hinter dem Tattoowunsch verbergen. „Manchmal bin ich auch Therapeutin“, weiß sie. In Ihrem Tattoo-Raum hängen an einer Wand gezeichnete Entwürfe, jeder erzählt vom Leben eines Menschen.

Tätowierer ist kein Ausbildungsberuf

Die Arbeit der Tätowierer ist umgangssprachlich auch ein Handwerk. „Aber nicht im Sinne des Gesetzes“, sagt Markus Kluft, Sprecher der Handwerkskammer Südwestfalen. Anders als Frisöre oder Kosmetiker haben Tätowierer und Piercer nicht das System einer geregelten Ausbildung zum Gesellen oder Meister. „Für uns war das noch nie ein Thema“, so Kluft.

Marco Lourenco hingegen würde sich verbindliche Regeln und Kontrollen für das Piercing-Gewerbe wünschen. Ebenso seine Frau Tatjana: „Tätowieren sollte ein richtiger Ausbildungsberuf werden“, sagt sie. Sie selber tätowiert seit acht Jahren und lernte bei einem anderen Tätowierer. Die Kunst lag ihr.

„Ich habe immer gerne gezeichnet“, sagt die 33-Jährige. Sie kreiert die Entwürfe selbst. Weder dabei noch beim Stechen der Tattoos helfen Maschinen oder Computerprogramme. Alles ist Handarbeit.

Aber kein Handwerk. Frisöre und Kosmetiker, so Markus Kluft, würden „rein dekorative Tätigkeiten in körperlicher Unversehrtheit“ ausüben. Tätowieren und Piercing würde Kluft dem medizinischen Bereich zuordnen. Grundsätzlich findet er gut, dass von den Studios der Wunsch kommt, dass Arbeitsweise, Standards und Qualität verlässlich im Sinne von Kunden und Betrieben geregelt werden. Er gibt den Tipp: „Dann sollten sich Betreiber an heimische Bundestagsabgeordnete wenden, damit die so ein Thema auf die Tagesordnung bringen.“