Sundern. . Die Nazizeit ist kein einfaches Thema, doch die Euthanasie in diesem Jahrzehnt ist noch mal etwas Besonderes. Rebecca Hünicke hat sich gestellt.
„Ich habe 30 Jahre gebraucht, um zu verstehen, was das Erlebnis meines Großvaters beinhaltete, obwohl mir Euthanasie schon lange ein Begriff war. Erst das Schreiben des Buches hat mir die Augen geöffnet.“ Das sagt Rebecca Hünicke, die vor einigen Wochen ihr drittes Buch „Ein Moment der Stille“ veröffentlicht hat. Das Thema, dem sich die 38-Jährige nun stellt, ist nicht einfach. Aber schon seit sie sechs Jahre war, erzählt die Autorin beim Redaktionsbesuch, habe sie sich mit den Begriffen wie Krieg und Nationalsozialismus beschäftigt. Angeregt durch Gespräche ihrer Großeltern.
Spurensuche in der Heimat
Nun, 32 Jahre später, hat sie sich auf Spurensuche begeben. Sie hat in der
Am Freitag Lesung im Hofcafé in der Röhre 22
Rebecca Hünicke, geb.Kapune, wuchs in Hagen auf. 2012 siedelte sie mit Mann und Kindern nach Norddeutschland um.
Dort leitete sie bis 2015 einen integrativen Kindergarten. Um mehr Zeit zum Schreiben zu haben, gab sie die Arbeit ganz auf und widmet sich ganz der Schriftstellerei.
Das neue 528 Seiten starke Buch ist im Reh-Verlag erschienen, in einem Anhang enthält es eine Zeittafel zur Euthanasie bei den Nazis. Dazu gibt es weiterführende Literatur und Quellen.
Am kommenden Freitag, 13. Juli, wird Rebecca Hünicke zu Gast in Sundern sein und aus ihrem Buch „Ein Moment der Stille“ im Rahmen des offenen Freitags im Hofcafé in der Röhre 22 lesen. Beginn ist um 19 Uhr. Anmeldung unter 0 29 33-90 95 80; info@das-hof-cafe.de
eigenen Familie geforscht, hat Konzentrationslager besucht, hat in Archiven zum Thema Euthanasie geforscht und Antworten auf ihre Fragen gefunden, die sie ihrem Großvater nicht mehr stellen konnte: „Es gab ein Gespräch, da hat er nur Andeutungen gemacht. Mehr nicht.“ Heute weiß Rebecca Hünicke, dass auch er damals nur knapp den Häschern der Nazis entgangen war, dass es auch in ihrer Familie wegen einer Erkrankungen Zwangssterilisierungen gegeben hat.
Handlung spielt in Rothwald
Im Roman spielt die Geschichte in einem fiktiven Dorf, es heißt Rothwald. Vor Augen hatte Rebecca Hünicke aber beim Schreiben immer ihr Heimatdorf, Hagen im Sorpetal: „Das Thema hat nichts mit Hagen zu tun, aber ich wollte eine geographische Vorlage, die ich gut kennen“, erklärt sie dazu.
Nach Rothwald kommt die 21-jährige Hanna zurück, sie hat es zu ihrem 18. Geburtstag Hals über Kopf verlassen und ist nach Hamburg geflüchtet. Zum Geburtstag bekommt sie von ihren Großeltern das Buch eines Jugendfreundes, des Fotografen Christian, geschenkt. Es ist zum 700-jährigen Bestehen des Dorfes herausgekommen. Eines der alten Bilder zeigt, wie Hanna vermutet, ihren Großvater. Doch der will nichts davon wissen. Dadurch angestachelt, beginnt Hanna nachzuforschen und sucht später mit Christian gezielt nach Informationen bei alten Rothwäldern über ihren Opa. Doch es gibt überall nur merkwürdige Reaktionen auf ihre Suche. Die Fragen führen für die Großeltern zur Konfrontation mit der Vergangenheit. „Die Wahrheit kann nicht mehr warten“, heißt es im Buch.
Flucht aus der Heimat
Herausgekommen ist eine spannende Geschichte, deren Handlung sich um den Großvater dreht, der als kleiner Junge die Ermordungen seiner beiden älteren Brüdern mit ansehen muss. Aber Rebecca Hünicke hat noch mehr in den Recherche-Roman eingebaut. So kommen sich auch bei den verschiedenen Nachforschungen Hanna und Christian näher, er träumt davon mit ihr aus Rothwald abermals zu fliehen und nach Hamburg zu gehen. Parallel anlegt gibt es immer wieder Rückblenden in die Nazizeit: So liest man gleich zu Anfang von der Ermordung der beiden Brüdern, das bis zum Ende als großes Geheimnis bestehen bleibt.
Geschehnisse in der Nazizeit
Insgesamt rollt die Autorin in dem Roman die Geschehnisse in der Zeit des Nationalsozialismus auf dem Dorfe aus: „Je älter ich werde, um so intensiver wird meine Auseinandersetzung mit dieser Zeit“, erzählt die Autorin. Erschreckend ist für den Leser, wie stark die Euthanasie auch im Sauerland vertreten war. Denn Rebecca Hünicke erzählt ja nicht nur eine fiktive Geschichte, sondern das, was viele erlebt haben: „Ich habe beim Schreiben eine große Wut entwickelt“, gesteht die Autorin angesichts von soviel grausamen und menschenverachtenden Ereignissen.
Das hat sie aber auch motiviert den Roman zu schreiben: „Für mich ist es unbegreiflich, dass unsere und andere Gesellschaften sich wieder auf dem Weg in diese Zeit befinden“, sagt sie. Sie fände es erschreckend, dass sich Menschen positiv mit dieser grausamen Zeit identifizieren würden. Wer das Buch liest, ist vielleicht gefeit gegen solche auflodernden Tendenzen.