Arnsberg. . Holocaust-Überlebender Sally Perel berichtet Arnsberger Schülern von seinem Überleben und warnt vor neuer Hetze.

Selten dürfte ein Saal mit hunderten Schülern über zwei Stunden lang so still gewesen sein. Vor ihnen auf der Bühne des Sauerland-Theaters sitzt Sally Perel an einem Tisch, vor sich ein Mikro und eine Thermoskanne mit Kräutertee. Er ist ein kleiner Mann, 91 Jahre ist er schon alt, doch mit dem ersten Wort aus seinem Mund nimmt er den gesamten Raum ein.

Perel ist nach Arnsberg gekommen, um Schülern des Gymnasiums Laurentianum seine Geschichte zu erzählen. „Ich war Hitlerjunge Salomon“ heißt seine 1992 veröffentlichte Autobiografie, die Filmversion bekam einen Golden Globe. Seine Erlebnisse als Jude inmitten der Hitlerjugend bewegten und bewegen abertausende Leser und Zuschauer. Hier im Sauerland-Theater werden sie ganz unmittelbar greifbar, wenn Salomon Perel ruhig, auch gerne mal mit Witz, zu den Oberstufenschülern spricht.

Einer der letzten Zeitzeugen

Er ist einer der immer weniger werdenden Zeitzeugen, ein Holocaust-Überlebender, der durch die ganze Welt reist, um eins zu verhindern: „Dass ihr jungen Leute nicht noch einmal in so eine Katastrophe, in so ein Verderben geworfen werdet, wie meine Generation.“

 Sally Perel
Sally Perel © WP Ted Jones

Sally Perel war 8 Jahre alt, als Hitler 1933 an die Macht kam. Er lebte mit seiner Familie im niedersächsischen Peine. Sein Vater war Rabbiner. Er erzählt von einer glücklichen Kindheit, und ihrem abrupten Ende mit den Nürnberger Rassegesetzen im Jahre 1935. Seine Familie flüchtete ins polnische Lodz, wo es bald nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 zur Trennung kam: Sally Perel war damals 14, als seine Eltern ihn wegschickten, um ihm das Leben im Ghetto zu ersparen. Noch heute erkennt man den Schmerz in Perels Gesicht, wenn er von diesem Abschied ohne Wiedersehen erzählt: „Meine Mutter sagte zu mir: ,Du sollst Leben!’ Diese drei Worte haben mich gerettet.“

Der 14-jährige Sally ging mit seinem Bruder in den von Russland besetzten Osten Polens. Mit der „Operation Barbarossa“ begann die deutsche Invasion Russlands, und Perel flüchtete abermals, nach Minsk. Hier empfing ihn jedoch die Wehrmacht. „Wir mussten uns in einem Feld in langen Reihen aufstellen – der deutschen Gefangenschaft übergeben. Die Wehrmacht sortierte aus. Wer Jude war, wurde in den Wald geführt und von der SS erschossen.“

Als der Soldat Sally frage, ob er Jude sei, konnte der die Worte seiner Mutter hören. „Du sollst leben!“ Also log er, der Soldat glaubte ihm. Perel wurde in die Reihen der Volksmacht aufgenommen - und war fortan nicht mehr Salomon, sondern Josef „Jupp“.

„Das habe ich bis heute nicht überwunden“

Mit 16 Jahren wurde er auf ein Internat der Hitlerjugend geschickt. „Wir in der Hitlerjugend wurden zum Hass erzogen. Und die Hakenkreuze meiner Uniform haben sich auch bei mir bald verinnerlicht. Ich war Jude und Nazi in einem Körper. Eine Spaltung der Seele, die ich bis heute nicht überwunden habe“, sagt der 91-Jährige, der in Israel lebt.

Sally Perel, Autor des Buches „Ich war Hitlerjunge Salomon
Sally Perel, Autor des Buches „Ich war Hitlerjunge Salomon", hielt im Sauerlandtheater einen Vortrag für Oberstufenschüler des Gymnasium Laurentianum. © WP

Er erlebte, wie mitreißend die Ideologie der Nazis sein konnte, wie begeistert Kinder, Jugendliche, ein ganzes Volk zum Völkermord ziehen kann. „Als vollkommen normale Menschen waren die Deutschen damals zu solchen Verbrechen fähig“, mahnt Sally Perel, „Die Menschlichkeit hat in Deutschland versagt!“

Als er sich zum Abschluss seiner persönlichen Geschichte direkt an die Schüler wendet, tut er dies mit einem konkreten Auftrag: „Ich bin einer der letzten Zeitzeugen, hört mich noch. Ich wünsche mir, dass ich, nachdem ich gehe, in euch neue Zeitzeugen geschaffen habe. Die Wahrheit über den Holocaust muss wachgehalten werden, bis in die letzte Generation. Ihr sollt euch nicht schuldig fühlen, für das, was damals passierte. Ihr sollt euch dafür verantwortlich fühlen, dass so etwas nie wieder passiert!“

Die Jugend von heute muss wachsam sein

In seinem Vortrag greift Sally Perel auch die aktuelle Situation in Deutschland auf. „Der Geist Hitlers wird wieder lebendig in den Straßen Deutschlands“, mahnt der 91-Jährige. „Neonazis haben den Hass, der damals die Ideologie der Nationalsozialisten ausmachte, übernommen, als hätten sie die Geschichte vergessen.“

Wer diesen Hass lebe, der begebe sich schnell in den Bereich der Verbrechen. Sally Perel warnt davor, sich von Angst leiten zu lassen, die Welt nur schwarz und weiß zu sehen. Kritisches Denken schon bei Jugendlichen, das könne die Welt vor vielen Kriegen und Tragödien bewahren, ist er sicher.

Als ein Schüler ihn auf seine Meinung zu AfD und Pegida anspricht, antwortet Salomon Perel: „Mit ihren Parolen bringen sie dem Deutschland von heute Schande. Wenn diese Menschen auf die Straße gehen, müsst ihr auch auf die Straße gehen und noch lauter rufen „Wir sind das Volk!“ Mit Blick auf brennende Flüchtlingsheime sieht Sally Perel alle Jugendlichen in der Verantwortung, sich gegen eine „erneute braune Gefahr, die da heute so frech mit den alten Parolen wieder auflebt“ zu wehren.