Brilon. . André Ventrone ist Stormchaser: Er deutet Wolken und sagt voraus, wann Sturm im Altkreis Brilon aufzieht. Wir haben ihn bei einer Tour begleitet.
Prüfender Blick, die Augen zusammengekniffen. „Ist Ihr Auto versichert?“, fragt Andre Ventrone, Hobbymeteorologe, Stormchaser, 24 Stunden am Tag auf der Jagd nach dem nächsten Tornado. Wir jagen heute mit. Hinter uns unser Mitsubishi. Kein Sturmauto. Klein, alt und bei der nächsten starken Böe fast weggeweht. Ein Schlucken von uns. Was soll mit dem Auto schon passieren? Wir warten nur auf ein bisschen Regen. Andre Ventrone zieht verschmitzt einen Mundwinkel nach oben. „Hagelschaden ist da noch das geringste Problem.“
Seine Hartefälle
In Mainz erlebte der 32-jährige Mann seinen bisher schlimmsten Sturm in Deutschland. Mit 100 bis 150 km/h fegte dieser über die Felder hinweg. Mittendrin Andre Ventrone. Er ist auf der Landstraße unterwegs mit „80 bis 100 auf dem Tacho“, als die Fallböe sein Auto erfasst. Blitzartig kippt es zur Seite: linkes Vorder- und Hinterrad schweben in der Luft – den sonst eher furchtlosen Andre Ventrone packt die Angst. „Ich dachte einfach nur noch: Es darf nicht umkippen. Das war wirklich knapp!“
Ebenfalls in Mainz donnerte dem erfahrenen Spotter ein Ast in die Windschutzscheibe. Der Sturm hatte ihn plötzlich durch die Luft gewirbelt. Glücklicherweise wurde dabei niemand verletzt. „Besonders heftig waren auch die Hagelkörner in Reutlingen 2013. Die waren 13 cm groß.“
Seine Leidenschaft
Mit seinem sonnengelben T-Shirt ist Andre Ventrone der einzige Farbfleck vor dem grauen Himmel. Der Wind hier oben auf den Feldern zwischen Brilon und Thülen wird stärker und kühler. Adrenalinjunkie – „das passt schon“, sagt der Sturmjäger. Andere fahren Achterbahn, holen sich so den Kick. Er fährt in den Sturm hinein, Blitze schlagen nur wenige Meter neben ihm ein. Dann sieht er den Boden qualmen. „Früher hatte ich tierische Angst vor Gewittern.“ Kaum zu glauben jetzt, als er vor der grauen Wolkenwand steht, ganz ruhig, erzählt: „Im Haus neben unserem schlug ein Blitz ein, das hat so laut gescheppert.“
Irgendwann, mit 13 Jahren, zeltete er mit einer Bekannten. Mit dabei ihr kleiner Bruder. In der Nacht dann der Donner, die Blitze. „Der Junge hatte Angst, hat nur geweint. Ich habe ihn beruhigt. Meine Angst habe ich dadurch verloren.“ Seit mehr als zehn Jahren beschäftigt er sich mit dem Wetter, brachte sich Fachwörter selbst bei, las Bücher, sah DVDs, wurde zum Experten.
Sein Verein
Seit 2016gibt es die Stormchaser. Andre Ventrones Kollegen sind überall verteilt. Warstein, Lüdenscheid, das ganze Sauerland. Sie alle arbeiten ehrenamtlich. „Wir wollen nur, dass die Sauerländer sicher heim kommen.“
Seine Familie
Andre Ventrone hat sieben Kinder, ist glücklicher Familienvater. „Meine Familie weiß, was ich mache und akzeptiert das.“ Seiner Frau macht seine Einsatzbereitschaft nichts aus. Seinen Sohn hat er schon mit dem Stormchaser-Gefühl „infiziert“. Der Große, wie ihn Andre Ventrone nennt, ist zehn Jahre alt. „Er sagt immer zu mir: Papa, wenn du wieder was richtig großes Spektakuläres hast, dann komme ich mit.“
Sein Alltag
Das Handy vibriert. Der Stormchaser checkt, was seine Kollegen schreiben. Ist ein Sturm auf dem Radar abzusehen, geht es raus. In den Regen, durch dunkle Wolken. Im Auto die Dashcam, das Tablet, Handys und Kameras. Voll ausgerüstet. Ist ein Kollege unterwegs, schickt er Nachrichten. „Bin in Warstein, die Front zieht jetzt zu dir rüber.“
Andre Ventrone schaut durch die Kamera. Bei unserem Sturm entwickelt sich die Zelle nur langsam. Durch die Kamera kann er die Wolken besser beobachten. Weiß er, was sich entwickelt, gibt er die Meldungen raus, auf der Website, für die Sauerländer. Manchmal rufen Bauern ihn an. „Die wollen dann wissen, was da auf sie zukommt.“ Spontan kann er überall hinfahren. Weil seine Gesundheit nicht mehr mitspielt, kann er seinem Job nicht mehr nachgehen. Sein Hobby ist sein Ausgleich. Es nieselt. Wir holen den Schirm aus dem Auto. „Fehler!“, sagt Andre Ventrone und grinst.
Seine Tipps fürs Gewitter:
Drei große Fehler sollte man bei Gewittern dringend vermeiden, sagt er.
- Fehler 1: Im Freibad oder See im Wasser bleiben. „Man muss sofort raus. Wasser zieht Windhosen und Blitze an. Das ist sehr gefährlich“, sagt Andre Ventrone.
- Fehler 2: Mit dem Regenschirm auf dem Feldweg laufen. „Das sollte man auf keinen Fall tun. Egal, wie nass man wird, man sollte lieber in Schutzstellung gehen bei einem Gewitter.“
- Fehler 3: Im Auto mit offenen Scheiben sitzen, wenn es donnert und blitzt. „Mein Tipp ist: auf jeden Fall die Scheiben zu schließen.“ Das liege daran, dass das Auto den Blitz wegleiten würde und dadurch sicher sei.
>>> SERVICE: DAS KLEINE WETTER-ABC
Andre Ventrone hat sich Fachwörter und Erklärungen selbst beigebracht. Hier ein paar der wichtigsten Begriffe rund ums Wetter zusammengefasst:
Böenfront: Wolkengebilde, das einer umgekehrten Welle ähnelt. Es entsteht, wenn eine Kaltfront in ein warmes Tiefdruckgebiet vordringt.
Fallböe, Downburst: starke, abwärts gerichtete Luftströmungen, also starke Abwinde. Sie können extreme Schäden verursachen.
Funnel: ähnelt einem Tornado, jedoch reicht der Luftwirbel nicht bis zum Boden.
Stormchaser: auch Sturmjäger genannt. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, Unwetter aufzuspüren, zu beobachten, zu verfolgen und zu dokumentieren.
Shelf Cloud: eine Gewitterfront, die vierstöckig aufgebaut ist – ähnlich wie bei einer Treppe.
Spotter: bezeichnet eine Person, die sich mit dem gezielten Beobachten von Phänomenen beschäftigt.
Tornado: ein Luftwirbel, der sich senkrecht zur Erdoberfläche aufbaut und den Erdboden berührt.
Zelle: bezeichnet eine Gewitterzelle, die aus einer Wolke besteht, in der Auf- und Abwinde auftreten. Häufig schließen sich bei einem Gewitter oder Sturm mehrere Zellen zusammen.