Brilon. In einigen Briloner Wohngebieten sind im Boden erhöhte Werte von Schwermetallen nachgewiesen worden. Das Kreisgesundheitsamt hat gestern eine erste Untersuchungsaktion gestartet. Bislang haben sich 152 Briloner gemeldet, die ihr Blut auf eine mögliche Bleikonzentration untersuchen lassen möchten.
Annemarie Gruß ist die Erste. Gemeinsam mit ihrem Sohn ist die 62-Jährige gestern Nachmittag ins Kreisgesundheitsamt gekommen. Sie ist eine von bislang 152 Brilonern und Brilonerinnen, die wissen wollen, ob es einen erhöhten Bleiwert in ihrem Blut gibt. Nach und nach füllt sich der Warteraum vor den Untersuchungszimmern, wo die Kreismediziner Dr. Klaus Schmidt und Dr. Markus Piatzer auf die Bürger warten. Zum Piksen und zum persönlichen Gespräch.
Vor einigen Wochen war bekannt geworden, dass es in den Wohngebieten Derkerborn/Kalvarienberg und im Bereich Hoppecker Straße, Hohlweg, Am Renzelsberg und Ludwig-Wolker-Straße erhöhte, naturbedingte Schwermetallbelastungen gibt. Vor allem wurden hohe Bleiwerte nachgewiesen, aber auch leicht erhöhte Gehalte an Arsen, Cadmium und Zink. Auch wenn der Kreis mehrfach betont hat, dass für die Anwohner keine unmittelbare Gesundheitsgefährdungen bestehe, wollen die Leute Klarheit. 72 Briloner sind gestern an der Reihe, ein zweiter Termin ist kommende Woche. Und wer will, kann sich auch jetzt noch zur Blutentnahme beim Kreis anmelden.
Annemarie Gruß, die seit 1979 im Amselweg wohnt, hat das schon vorher getan: „Ich habe in der Zeitung davon gelesen. Beunruhigt bin ich nicht. In unserem Garten baue ich Kohlraben, Porree, Möhren und Sellerie an. Man kann sich auch selbst verrückt machen“, winkt sie ab. Wenn sie noch kleine Kinder hätte, wäre das vielleicht anders. „Aber meine sind groß und gehen regelmäßig zur Blutspende.“
Dennoch möchte sie selbst auf Nummer sicher gehen. Sohn Stephan hilft ihr, einen anonymen Fragebogen auszufüllen. Die Fachleute wollen neben Alter, Geschlecht und Straßenname u.a. wissen, ob Frau Gruß einen Garten hat, wie lange sie sich dort aufhält, welche Arbeiten sie dort verrichtet und ob sie ihr Gemüse selbst isst.
„Sicher sein, dass da nichts anbrennt“, will auch Peter Walter, der seit 32 Jahren im Glockengießerweg wohnt. Und Ulrich Keuthen sieht das Ganze eher pragmatisch. „Wenn eine solche Untersuchung zur weiteren Aufklärung beiträgt, dann sollte man mitmachen.“
Zu spät informiert
Stellvertretend für ihre Familie ist Melanie Neuß aus der Alfred-Delp-Straße ins Kreisgesundheitsamt gekommen, wo auch die Leute vom Fernsehen und vom Radio ihre Kameras und Mikrophone aufgebaut haben. Die 38-Jährige ist eher skeptisch und ist mit der bisherigen Aufarbeitung der ganzen Sache nicht zufrieden. Ihre viereinhalbjährige Tochter verstarb unlängst an einem angeborenen Herzfehler, die neunjährige Schwester hat seit vier Jahren Diabetes. „Ich bin mir sicher, dass das in keinem kausalen Zusammenhang steht. Aber man ist einfach sensibel für so etwas.“ Ihrer Meinung nach sei der Info-Abend viel zu kurzfristig anberaumt worden. Falls man schon vor der Erschließung des Baugebietes etwas gewusst habe, hätte man Bauwillige vorher informieren müssen, sagt sie. Dass der Boden jetzt nur stichprobenhaft untersucht werde, sei nicht befriedigend. Ein Spielplatz sei bei ihr gegenüber und ein Kindergarten werde gebaut. Sie hat sich einem Nachbarn angeschlossen, der seinen Boden privat untersuchen lässt. „Jeder muss doch Klarheit haben, da müssen die Verantwortlichen jetzt auch zu stehen.“
Die Blutentnahme selbst dauert nur wenige Minuten. Zwei Treppen weiter oben steht Thomas Ungermann vor einer großen Planskizze. Er ist stv. Leiter der Unteren Bodenschutzbehörde des HSK und erklärt den Brilonern auf Wunsch, für welche Parzellen bislang Untersuchungsergebnisse vorliegen. Das sind längst nicht alle. Und vor allem können die Werte für die Bodenbelastung auf sehr kurze Entfernung schon wieder ganz anders ausfallen. Es habe u.a. bei Baumaßnahmen am Bahnhof und beim Straßenbau viele Einzelfunde mit unterschiedlicher Bodenbelastung gegeben, was schließlich dazu geführt hätte, dass genauer hingeschaut worden sei.
Flächendeckende Belastung
Ungermann: „Wir gehen davon aus, dass eine gewisse Belastung in Brilon flächendeckend vorhanden ist.“ Deshalb laufen zurzeit Bestrebungen, eine 80-prozentige Landesförderung zu bekommen, um ein engmaschigeres Netz von aussagekräftigen Bodenbelastungsproben zu erstellen. Rund 270 000 Euro würde das kosten.
Anfang Februar sollen die Ergebnisse der Befragung und der Blutanalyse noch einmal zusammengefasst und vorgestellt werden. Vier bis fünf Wochen wird es dauern, bis jeder Teilnehmer sein Blutergebnisse und seinen Befund per Post zugeschickt bekommt. Dann herrscht etwas mehr Klarheit - nicht nur für Annemarie Gruß.