Diskussion um die Rolle Maria Kahle.

Man darf Welt, Menschen und Geschichte nicht nur schwarz-weiß sehen, es gibt auch Grauzonen und Farben. Man darf Unrecht nicht mit neuem Unrecht vergelten, nicht durch Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit die Welt besser machen wollen.

Rad eines Wagens gewesen zu sein, der am Ende in falsche Richtung fuhr, hat bei einer so intellektuellen Frau wie Maria Kahle doch nicht das Erkennen von Schuld und den offiziellen Absprung durch das rebellierende Gewissen verhindert.

Es ist absolut unwahr (Downloads P. Bürger), dass Maria Kahle „so etwas wie Reue nie öffentlich hat erkennen lassen!“ Laut P. Bürger in „dorfinfo.de Sundern“ vom 22. März, „konnte Maria Kahle eine NSDAP-Mitgliedschaft nicht nachgewiesen werden.“

Die Aufarbeitung der alten Kahle-Handschriften in den Nachlässen Westfälischer Archive, von denen eine riesige Anzahl vorhanden ist, hat schon und wird noch viele Mosaiksteinchen auf das Konto der Wahrheit bringen. Es ist zeitraubende Sisyphusarbeit in einem jahrelangen Lebensbericht alte Sütterlin-Handschrift und Stenografie zu übersetzen.

Nach Maria Kahles anfänglicher Begeisterung für die zuerst Hoffnung gebende Führerperson Adolf Hitler war das Deutschtum ihre Triebfeder auf den Vortragsreisen, daher auch ihre Bemühungen um die Auslandsdeutschen und Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten. Sie beteiligte sich aktiv an der Wohnraumbeschaffung für Vertriebene in der Nachkriegszeit – hatte ein freundschaftliches Verhältnis zum damaligen Bürgermeister Fritz Lenze, dem die Vertriebenen auch sehr am Herzen lagen – und überließ viele Jahre vertriebenen Familien Wohnraum im eigenen Hause.

Die Durchschrift eines zur Veröffentlichung geschriebenen Artikels an einen zurzeit noch unbekannten Empfänger, vermutlich in den Jahren ihrer schweren Krankheit 1941 bis 1949 geschrieben, zeigt die schwere Last, an der Maria Kahle getragen hat (Archiv: Hans-Martin Köster, Olsberg).

„In den ersten Jahren nach der Katastrophe litt ich unsagbar beim Gedanken an die Auslandsdeutschen, die durch Schuld des Reiches in das entsetzliche Unglück der Verschleppung oder gar Vertreibung, des Blutens und Sterbens mit hineingerissen sind.

Nur zu gut kann ich es verstehen, wie sehr der Egoismus, die Genusssucht und die kaltherzige Oberflächlichkeit vieler Deutscher in unseren Tagen gerade Auslandsdeutsche abstößt, die mit so vielen romantischen Vorstellungen einmal ins Reich gekommen sind. Ich war bis zum bitteren Ende der gleichen Neigung verfallen, die typisch für die Auslandsdeutschen gewesen ist: das Bild Deutschlands und des deutschen Volkes zu idealisieren. In den sieben Jahren, die ich von 1913 bis 1920 in Brasilien zubrachte, war mir dieser Glaube in Fleisch und Geist eingewurzelt: dass alles Gute, Schöne, Große in Deutschland beheimatet sei. Dies war kein primitiver Nationalismus, noch weniger war es Überheblichkeit, die uns so glauben ließ: es war die Sehnsucht nach dem uns Zugehörigen, nach dem Ursprungsland, die das Bild von der Ferne aus überhöhte.

Umso grauenhafter war dann das Erwachen aus der Illusion.

Solange wir leben, tragen wir an dem Schandmal. Nur vergessen dürfen wir nicht, dürfen nicht unseren Alltag wuchern lassen über oberflächlich verdeckten Abgründen, dürfen nicht leben, als ob das Furchtbare nie geschehen wäre. Wir dürfen unser Leid, unsere Scham nicht verraten an ein billiges Sich-Abfinden, an ein Weiterleben, als ob der Boden unter unseren Füßen nicht aufgerissen wäre und eine grauenhafte Tiefe unter uns gähnte. Wir dürfen den Stachel nicht aus der Wunde in unserem Herzen ziehen; er soll bleiben, soll uns quälen und beunruhigen.“

Forschung – Aufklärung von Persönlichkeiten – darf nicht böswillig sein oder zur Hexenjagd entarten, sollte objektiv sein und die Ganzheit dieser Person zeigen, sonst ist diese Forschung nichts wert! Die Initiatoren haben erreicht, was sie wollten: Maria Kahle ist „entehrt“!


Ursula Cordes,
Olsberg