Bochum/Brilon. Eine Bochumerin wird Opfer des Enkeltricks. Ein Briloner Anwalt verklagt die Postbank. Nach einem Vergleich könnte es für Banken brenzlig werden
Tragen Geldinstitute eine Mitverantwortung, wenn Kundinnen und Kunden Opfer von Trickbetrügern werden? Der Briloner Rechtsanwalt Oliver Brock glaubt daran und kämpft für das Recht seiner Mandantin. Die Gerichtsverhandlung vor dem Bochumer Landgericht könnte als Präzedenzfall weitreichende Wirkung haben. Es geht um 27.000 Euro. Die beklagte Postbank will in Kürze entscheiden, ob sie einem Vergleichsvorschlag zustimmt.
Seniorin ist nach dem Anruf der Betrüger wie in einem Tunnel
Maria Plempe kann es immer noch nicht fassen. „Ich war in einem Tunnel“, erinnert sich die 85-Jährige an jene beiden Tage im Mai 2021, in denen sie ihr nahezu gesamtes, in Jahrzehnten angespartes Vermögen verloren hat. Sie schildert den Vorfall noch einmal vor dem Landgericht in Bochum. An einem Morgen im Jahr 2021 erhält die Seniorin einen Anruf. Ein angeblicher Staatsanwalt schildert, dass ihre Tochter Martina Schletter daheim in Brilon eine schwangere Fußgängerin angefahren habe. Das ungeborene Baby sei gestorben. Ihre Tochter sitze im Gefängnis (im Hintergrund ist ein Schluchzen zu hören). Gegen eine Kaution von 19.500 Euro könne sie aber freikommen. Maria Plempe ist schockiert. „Ich hatte nur noch Sorge um Martina“, sagt sie. Ihre Tochter selbst anzurufen, ihren Mann oder ihren Sohn zu informieren, „das ist mir einfach nicht in den Sinn gekommen“.
Bei der Sparkasse hebt sie 25.000 Euro von ihrem Sparbuch ab. Gestückelt, in verschiedenen Filialen, weil sie überall nur maximal 5000 Euro ausgezahlt bekommt. Eine Mitarbeiterin fragt, wofür sie so viel Geld brauche. „Meine Tochter hat neue Möbel gekauft“, lügt Maria Plempe, ganz so, wie es ihr die Betrüger aufgetragen haben. Der „Staatsanwalt“ erhöht seine Forderung. Auf einem weiteren Sparbuch bei der Postbank liegen 28.000 Euro. Davon hebt sie 27.000 Euro ab. Der Bankmitarbeiter habe zwar ihren Ausweis sehen wollen, sonst aber keinerlei Fragen gestellt, schildert die Seniorin vor Gericht. Insgesamt 52.000 Euro übergibt Maria Plempe einem vermeintlichen „Gerichtsdiener Luka“ bei zwei Treffen vor ihrem Wohnhaus. Die Familie weiß davon nichts – bis klar wird, dass der Unfall der Tochter niemals passiert ist und die 85-Jährige wie schon Tausende weitere, meist ältere Opfer auf den sogenannten Enkeltrick hereingefallen ist.
Briloner Tochter will den Betrug nicht hinnehmen und geht zum Anwalt
Das will Martina Schletter nicht einfach hinnehmen. In ihrer Heimatstadt Brilon hat sie Rechtsanwalt Oliver Brock eingeschaltet. Er hat die Postbank verklagt. „Grob fahrlässig“ nennt er das Verhalten des Mitarbeiters. „Er hätte in einem solchen Fall unbedingt nachfragen müssen, zumal eine Auszahlung vertraglich auf 2000 Euro beschränkt ist. Er verstieß gegen die Warn- und Hinweispflicht in den Compliance-Regeln der Bank“, meint Brock.
Eine Postbank-Anwältin wies das bei der Güteverhandlung am Donnerstag zurück. Formal sei die Abhebung völlig korrekt gewesen. Das Abheben größerer Summen sei gerade bei älteren Kunden nicht ungewöhnlich. Der Mitarbeiter beteuere, auch diese Kundin befragt zu haben. Maria Plempe bestreitet das, sagt jedoch: „Selbst wenn er gefragt hätte, hätte ich auch ihn anlügen müssen.“ Die Betrüger hätten per Dauer-Handyempfang alles mitgehört und klare Anweisungen erteilt.
Postbank-Anwältin zeigt sich gesprächsbereit
Die Familie besteht auf Zahlung der kompletten 27.000 Euro, zeigt sich aber „gesprächsbereit“ – ebenso wie die Postbank-Anwältin, die zwar jegliche Pflichtverletzung und Mitverantwortung für den Betrug zurückweist, jedoch eine „Kulanz gerade gegenüber langjährigen Kunden“ in Aussicht stellt.
Vorsitzende Richterin Katja Nagel berücksichtigte in ihrem Vergleichsvorschlag beide Positionen. Die Postbank soll 20 bis 25 Prozent der Schadenssumme zahlen (das wären zwischen 5400 und 6700 Euro). Damit könne man wohl leben, so die erste Reaktion von Mutter und Tochter, während die Postbank-Anwältin eine zeitnahe Antwort in Aussicht stellte. Auch die Postbank habe Interesse an einer schnellen Lösung.
Weißer Ring ist sehr interessiert an dem Ausgang des Prozesses
Stimmt die Postbank dem Vergleich zu, würde das auch weitere Opfer von Enkeltrick-Betrügern ermutigen, juristisch gegen ihre Geldinstitute vorzugehen, sagt Ingo Friedrich von der Opferschutzorganisation „Weißer Ring“. „Die Zahl der Betrugsfälle steigt. Die Banken haben eine Mitverantwortung. Dies ist das erste Mal, dass ein Opfer die Initiative ergreift. Gut so!“