Hochsauerland/München. Er ist einer der bekanntesten Strafverteidiger. Bald kommt Stephan Lucas wieder ins TV. Ein Kapitel seines neuen Buches spielt im Sauerland:

Wann schafft der das alles? Stephan Lucas ist einer der bekanntesten Strafverteidiger Deutschlands. Er ist außerdem Schauspieler, Buchautor, zweifacher Familienvater und Bühnenkünstler. Seine Kanzlei hat er in München. Tätig ist er bundesweit. Oft bei spektakulären und medien-präsenten Fällen.

Aber die Sauerländer, die ihn nicht aus den TV-Shows „Richter Alexander Hold“ oder „Im Namen der Gerechtigkeit“ kennen, dürften den 50-Jährigen und seine sehr spezielle Gangart aus der WP-Berichterstattung über einen Prozess um eine zehnfache Mutter aus dem Großraum Winterberg kennengelernt haben. Es ging um ein totes und ein fast verhungertes Kleinkind. Und eben dieser Fall findet sich auch unter verklausuliertem Namen in Lucas neuem Buch wieder „Täter und Opfer“ im dritten Kapitel mit dem Titel „Blonder Engel“.

Stephan Lucas hat ein Buch über „Täter und Opfer“ geschrieben.
Stephan Lucas hat ein Buch über „Täter und Opfer“ geschrieben. © WP | WP

Wie gerät man eigentlich an einen Star-Anwalt?

In einem Strafprozess erfährt man in der Regel nichts darüber, wie Mandant und Verteidiger zueinander gefunden haben. In Lucas Buch ist das anders. Der Hilferuf einer Frau aus dem Sauerland per Mail klingt für den Strafverteidiger nach einem schlechten Scherz: „Bisweilen schreiben mich vermeintlich Beschuldigte mit den abstrusesten Geschichten an. Bei einem Rückruf outen sich diese Menschen dann oftmals als respektlose Scherzkekse“, schreibt Lucas. Und daher leitet er damals die Mail an seine Kollegen weiter: „Wer von Euch will sich’s antun?“ Versehentlich hat Lucas aber auf „antworten“ statt auf „weiterleiten“ geklickt. Die hilfesuchende Mutter reagiert enttäuscht, der Anwalt beschämt. Er ruft sie zurück: Lucas erstes Mandat vor dem Schwurgericht in Arnsberg. Dort am Landgericht ist nach wie vor ein Verfahren gegen den Ex-Lebensgefährten anhängig. Aber das ist eine andere Geschichte.

Viele solcher (wahren) menschlichen Geschichten finden sich in dem Buch wieder. „True Crime aus dem Blickwinkel der Opfer“, nennt der Fachanwalt für Strafrecht sein e wahren Geschichten. Aus manchem juristischen Fach-Chinesisch hat Lucas allgemein verständliche Texte gemacht, die sich darüber hinaus auch noch sehr spannend lesen. Und was zwischen verstaubten Aktendeckeln mitunter schwerfällig atmet, wird hier zu menschlichen Schicksalen. Zwischen den Zeilen seines Buches wird eines deutlich: Wie schnell kann man mitunter selber Täter und/oder Opfer werden.

Für Lucas wird das Mandat in Arnsberg mehr als nur eine Sauerland-Episode bleiben: „Dass hier ein Kind sterben musste, vollkommen unschuldig, lässt mich nicht los. Sein Tod war absolut vermeidbar. Und das ist genau der Punkt. Vom Strafrecht völlig unabhängig wird sich die Mutter jene Vermeidbarkeit tagtäglich persönlich vorwerfen. Ein Leben lang. Und das muss unerträglich sein. Das strafrechtliche Urteil gab es hierzu sozusagen ,on top’. Die ursprünglich von der Staatsanwaltschaft angenommene, fahrlässige Tötung erschien mir korrekt. Der letztlich vom Gericht in seinem Urteil erhobene Vorwurf, diese Mutter habe ihr Kind vorsätzlich leiden lassen und hierdurch den Tod bewirkt, ist nach meiner Überzeugung hingegen falsch. Dieser Vorwurf wird der Tragik und der ganz persönlichen Tragweite dieses Falles nicht gerecht. Ich habe das Strafrecht und auch mich beim Umgang mit dem, was passiert ist, ohnmächtig erlebt.“

Wahre Geschichten rund um „Täter und Opfer“

Noch heute stehen Anwalt und Mandantin in regelmäßigem Kontakt. Seine Aufträge als Strafverteidiger – es waren über 4000 in den vergangenen 25 Jahren – hätten kein Verfallsdatum, sagt er.

Immer wieder wird in dem Buch „Täter und Opfer“ klar, dass Recht haben und Recht bekommen zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Lucas: „Ich erzähle meinen Lesern, meistens juristische Laien, wahre Geschichten, ordne sie an den richtigen Stellen juristisch ein und erkläre meine Weichenstellungen als Strafverteidiger oder Nebenkläger. Die im Strafrecht zu findenden Urteile sind - anders als bei einem gut gemachten Krimi - oft unbefriedigend. Recht haben ist eine Tatsache, die aber erst noch zu beweisen ist. Viel zu oft bekommt der Recht-Habende nicht recht. Denn es gilt aus guten Gründen: Im Zweifel für den Angeklagten.“

Für den viel beschäftigen Lucas ist das Schreiben von Büchern zu einer Art Gegenwarts-Reflektion geworden: „Mein Beruf hat nie einen Anfang und nie ein Ende. Ich bin immer auch der Strafrechtler. Rund um die Uhr. Und als dieser gestalte ich nicht nur unzählige Strafverfahren mit, ich schreibe als Strafrechtler Bücher, unterhalte als Rechtsanwalt seit vielen Jahren die Menschen mit meinen Bühnenprogrammen, und seit Juli habe ich auch meinen eigenen Podcast bei Podimo. Ab August trete ich bei RTL nach langer Zeit wieder in einer TV-Gerichtsshow als ,Staatsanwalt‘ auf.“ Über die Jahre sei es ihm gelungen, eine ideale Balance zu finden. „Meine Mandanten kommen nie wegen meiner anderweitigen Projekte zu kurz, bekommen dafür aber einen in sich ruhenden, ausgeglichenen Anwalt zur Seite gestellt. Und - unfassbar - für die Familie bleibt auch noch viel Zeit, obwohl meine Woche auch nur 168 Stunden hat.“

Kritik an Haftbedingungen während Corona

In den Hochphasen der Corona-Pandemie hat sich Lucas öffentlich zu Haftbedingungen und Kontaktverboten in Justizvollzugsanstalten zu Wort gemeldet. Seiner Meinung nach muss sich in den JVAs einiges ändern: „Wir alle haben in den vergangenen zwei Jahren unsere Päckchen zu tragen gehabt. Da ist es für viele meist wenig attraktiv, wenn ich hierbei ausgerechnet die Gefangenen als eine besonders bemerkenswerte Gruppe herauszustellen versuche. Der Punkt ist, dass zugegebenermaßen zwar überall Rechte eingeschränkt wurden, die Beschränkungen aber kaum irgendwo dermaßen lange bestehen blieben wie in den JVAs, und das mit zugleich ganz besonders einschneidenden Folgen. So kam es immer wieder, zum Teil Monate lang zu Besuchsverboten, d. h. Kinder konnten in diesen Zeitabschnitten nicht ihre inhaftierten Mütter oder ihren Vater sehen. Gefangene, die bald zu entlassen waren, konnten nicht resozialisiert werden. Über Monate durften viele von ihnen nicht draußen arbeiten und auch keine Familienbesuche vornehmen.“

Seit wenigen Wochen sind zwar keine der Gefangenenrechte mehr beschränkt. Trotzdem kommen seiner Meinung nach viele Häftlinge noch immer nicht zu ihren Rechten, weil sich beim Nachholen alles staut. Lucas. „Und wenn es nach den Forderungen mancher Politiker gehen sollte, könnte es bald schon wieder heißen: Nach den Beschränkungen ist vor den Beschränkungen.“