Brilon. Wirtschaftsminister Pinkwart will wegen des russischen Angriffskriegs Fracking zur Gasförderung prüfen. Brilon liegt in einer Förderzone.
Wer Anfang März an der Börse für fünf Cent pro Aktie bei der Kolibri Global Energy Inc. in großem Stil einstieg, konnte richtig gut Kasse machen. Innerhalb von vier Wochen trieb der Krieg in der Ukraine und die Diskussion um ein Gas- und Ölembargo den Kurs auf 20 Cent hoch. Kolibri Global Energy, das ist ein in den USA ansässiger internationaler Konzern, der sich - so ein Börsen-Info - „auf Ankauf, Untersuchung und Gewinnung von unkonventionellen Öl- und Erdgasreserven konzentriert“.
Spezialgebiet: die Förderung von Shale Gas. Shale Gas - das ist Fracking. Und das will NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) angesichts der unsicheren Zukunft des Russland-Geschäfts verstärkt anpacken. Industrie und Umweltschützer sind skeptisch. Und Landrat Dr. Schneider: Nicht im HSK.
Gegenüber der WP verweist Dr. Schneider auf einen Kreistagsbeschluss aus dem Jahr 2012. Damals hatte sich der HSK in einer Resolution deutlich gegen das Fracking ausgesprochen. Anlass: Der Antrag der BNK Deutschland GmbH großflächig die Förderung von Fracking-Gas zu untersuchen. Bei dem Unternehmen handelte es sich um eine Tochter der kanadischen BNK Petroleum Inc - und die wiederum ist im Jahr 2020 in eben jene Kolibri Global Energy Inc übergegangen.
Erdgeschichtliche Ablagerungen
Das Sauerland ist für Fracking rein erdgeschichtlich eine interessante Region. Als nordöstlicher Ausläufer des Rheinischen Schiefergebirges enthält die Region zwischen sogenannten Hangenden Alaunschiefer. Diese schwarzen, häufig aus Algen aufgebauten Ablagerungen enthalten große Mengen organischen Kohlenstoff und eine ausreichend hohe Inkohlung „um sie als Schiefergaslagerstätten interessant zu machen“, wie es in einem im Jahr 2012 vom NRW-Umweltministerium in Auftrag gegebenen Gutachten heißt. Damals hatte das Land rund 20.300 Quadratkilometer - rund 60 Prozent der NRW-Fläche - als sog. Aufsuchungsfelder genehmigt. Darunter auch die beiden BNK-Felder „Falke South“ und „Adler“ sowie das sich westlich anschließende Feld „Ruhr“ der Wintershall Dea AG.
Jede Menge Chemie im Spiel
Beim Fracking wird unter großem Druck mit Chemikalien versetztes Wasser tief ins Gestein gepresst.Dabei entstehen im Gestein Risse, aus denen die darin gebundenen Gase oder Öle heraustreten und ausgeschwemmt werden.Das Umweltbundesamt hatte von bis zu 1000 Tonnen Chemikalien pro Bohrplatz gesprochen.Befürchtet wurde, dass große Teile davon mit dem Prozesswasser wieder an die Oberfläche bzw. ins Grundwasser gelangen.
Vor allem der karbonische Schiefer des Arnsberger Waldes und des Forstes Bredelar nebst den sich südlich anschließenden Kieselschiefer- und Kalkstandorten galten damals als potentiell ergiebig. Der mit dem Fracking verbundene bautechnische Aufwand - pro Bohrung sollten zwei bis sieben Hektar beansprucht werden - und der Flächenverbrauch würden, so seinerzeit die Untere Landschaftsbehörde, die betroffenen Landschaftsteile ökologisch und als Wohn- und Erholungsumfeld weitgehend entwerten.
Ex-MdB Sensburg: Reinheit des Grundwassers nicht aufs Spiel setzen
Ein vom Umweltbundesamt 2012 in Auftrag gegebenes Gutachten hatte die Empfehlung ausgesprochen, wegen des beim Fracking erforderlichen Chemie-Einsatzes in Trinkwasserschutzgebieten grundsätzlich auf Fracking zu verzichten. Im Hochsauerland dürfe es „kein Risiko für die Reinheit des Grundwassers geben“, so der damalige CDU-MdB Patrick Sensburg.
Und auch die Hochsauerlandwasser hatte sich damals im Verbund mit der Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Ruhr (AWWR) gegen das Fracking ausgesprochen - und erneuert dieses Veto auch angesichts der aktuellen Energie-Diskussion und des Vorstoßes von Wirtschaftsminister Pinkwart.
Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes erforderlich
Auf eine Anfrage der WP teilt die Hochsauerlandwasser mit, dass damals eine Studie gezeigt habe, dass nur auf weniger als drei Prozent der Fläche der genehmigten Felder ein Aufsuchung möglich wäre: Vor diesem Hintergrund halte man „allein schon eine Deckung des Gasbedarfs von zwei Jahren in Deutschland mittels Fracking aus unkonventionellen Lagerstätten für höchst fragwürdig.“
Zudem würde es angesichts der Gesetzes- und Genehmigungslage lange dauern, bis das erste Gas ströme würde. Wie die Bezirksregierung auf Anfrage der WP sagte, sind die Genehmigung für die damaligen Aufsuchungsfelder im HSK 2014 aufgehoben worden. Das 2017 in Kraft getretene Wasserhaushaltsgesetz schließe das „Aufbrechen von Gestein zur gewerblichen Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas“ in unkonventionellen Lagerstätten aus. Folglich müsse erst das Wasserhaushaltsgesetz geändert werden.
Regenerative Energien ausbauen
HSW-Sprecher Jörg Fröhling: „Fracking ist keine tragbare Lösung für das aktuelle Energieproblem und stellt für die Trinkwasserversorgung eine nicht hinnehmbare Gefährdung dar.“ Das sieht auch Landrat Dr. Schneider angesichts des FDP-Vorstoßes so: „Meine Haltung dazu hat sich nicht geändert.“
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Neu nachdenken könne man aber über die Nutzung von Wäldern bzw. der Borkenkäfer-Kahlflächen für die Windkraft. Großes Potenzial habe das Hochsauerland auch bei der Solarenergie. Allerdings dürften dazu angesichts der Welternährungslage keine landwirtschaftlichen Flächen in Solarparks umgewandelt werden. Auch böte sich die Region zum Ausbau der Wasserkraft an. Der Ruhrverband betreibt an Ruhr und Möhne 15 Wasserkraftwerke.