Medebach. Ihre Schülerinnen sitzen im fernen Brasilien und werden von Medebach aus unterrichtet. Bärbel Ingeborg Zimber betreibt eine Schulen fürs Sticken:

Mit Nadel und Faden ein Gewebe durchpiksen. Eine Tischdecke oder ein Kissen mit buntem Garn, Motiven oder Verzierungen bemustern. Viele kennen Sticken von früher. Kann jeder. Hat jeder schon mal gemacht. Sticken ist stigmatisierte Heimeligkeit, gilt als Inbegriff des Hausfrauentums, ist deshalb heutzutage uncool. Bei Bärbel Ingeborg Zimber stellen sich die Nackenhaare auf, wenn sie diese Vorurteile hört. All das stimmt nicht. Denn Sticken – das ist für die Neu-Sauerländerin Lebenselixier. Das ist Kunst, Handwerk, Können, Therapie.

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In Medebach hat die 66-Jährige das „House of Textile Arts“ (Internationales Haus für Textile Kunst) eröffnet. Dort an der Bahnhofstraße, wo früher Natursteine bearbeitet und verkauft wurden, vermittelt sie ihr Können, stellt selbst mit ihrem Mann Thomas Garne und Stoffe her und sorgt dafür, dass Sticken wieder bekannter und beliebter wird.

Köln als gesticktes Gemälde - eine Arbeit aus der School for Textile Arts.
Köln als gesticktes Gemälde - eine Arbeit aus der School for Textile Arts. © WP | Thomas Winterberg

Drei ihrer Studentinnen sitzen in Brasilien; andere in Frankfurt oder in der Schweiz. Mehrere Jahre lang drücken sie in ihrer Heimat die Schulbank und werden von Bärbel Ingeborg Zimber in die hohe Kunst des Stickens eingeweiht. Es geht um Materialkunde, um Technik, um Geschichte, um Pflege wertvoller Stickereien. Jedes Semester gibt es für die Studenten seitenweise Anleitungen und für die Dozentin im Gegenzug seitenweise Dokumentationen über das, was ihre Schüler/innen in der Ferne in Handarbeit herstellen. „Natürlich kann ich ihnen nicht direkt über die Schultern schauen; aber am Endprodukt sehe ich, was richtig und wo vielleicht etwas falsch gemacht wurde.“ Und nicht ganz ohne Stolz fügt sie hinzu: „Angeblich bin ich die beste Schule in Europa. Man hat mir gesagt: es gäbe niemanden, der so gründlich ausbildet.“ Ein Gesellenstück steht am Ende der Ausbildung: ein gesticktes Märchen, eine Legende, eine Tarot-Karte: Nadelmalerei auf Stoff, wo sich zehn verschiedene Nadelgrößen auf engstem Raum treffen und miteinander um den Platz buhlen.

Bärbel Ingeborg Zimber und ihr Mann Thomas sind auch in der Deutschen Stickgilde aktiv.
Bärbel Ingeborg Zimber und ihr Mann Thomas sind auch in der Deutschen Stickgilde aktiv. © WP | Thomas Winterberg

Der Weg zur Fachfrau für Nadel und Faden war steinig. Seit der Kindheit in einem kreativen Elternhaus hat Bärbel Ingeborg Zimber gestickt. Nach dem Abitur muss sie jedoch feststellen, „dass in Deutschland die Möglichkeiten hierzu eher begrenzt sind und es nur wenige Alternativen gibt“: Und so kommen u.a. ein Studium Sozialwesen, eine Lehre als Speditionskauffrau oder an der Hotelrezeption dazwischen, bevor die Fachfrau fünfmal ihren Job verliert und zuletzt für eine 960-Euro-Stelle auch noch Italienisch lernen soll. „Da war das Maß voll. Ich mag es nicht, mich immer nur klein machen zu lassen.“

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Bärbel Ingeborg Zimber – auf ihrer Homepage nennt sie sich kurz BIZ – macht schließlich in England eine Ausbildung zur zertifizierten Stickerin und erhält 1995 in einer feierlichen Zeremonie beim Londoner Auktionshaus Christies ihr Diplom. Dafür ist sie ein Jahr lang einmal die Woche nach London geflogen und hat nebenbei in Deutschland gearbeitet. Weitere Fachseminare an der Royal School of Needlework in London folgen. „Inzwischen kann ich endlich das machen, wonach sich mein Herz schon immer gesehnt hat. Heute bin ich froh, dass es so gelaufen ist. Man muss wissen, man wird mit der Handstickerei kaum Anerkennung erfahren und damit nicht viel verdienen – aber es ist mir eine Herzensangelegenheit.“ Apropos: Den Partner fürs Leben findet sie in einem gebürtigen Essener, der mit 15 Jahren nach Medebach kam, ein Fachmann für Lagerverwaltung, seit 2014 glücklich mit BIZ verheiratet ist und sein Wissen in den Familienbetrieb einbringt.

Von der Lehrtätigkeit kann das Ehepaar aber nicht leben. Haupterwerb ist die Herstellung und der Vertrieb von handgefärbten Garnen und Stoffen. „Wolle, Baumwolle, Leinen oder Viskose aus Indien, Frankreich, Österreich oder Tschechien sowie Garne unterschiedlicher Stärken kommen unbehandelt nach Medebach, wo sie nach einer eigenen Technik umweltfreundlich eingefärbt werden. 30 bis 40 Farbtöne tragen die Namen berühmter Künstler wie Chagall, Macke, Klee oder Kandinsky und sind in der ganzen Welt gefragt. „70 Prozent gehen nach Amerika, wo ein richtiges Vertriebsnetz besteht, zwei Vertriebe sitzen in Korea und natürlich kann jeder online bestellen. Ein Röllchen Garn, das etwa 20 Meter Faden aufgespult hat, kostet zwischen vier und sieben Euro.

Bildungsprojekt

Durch die Mitgliedschaft in der Deutschen Stickgilde (www.deutschestickgilde.de) kann Bärbel-Ingeborg Zimber die Kunst von Nadel und Faden auch noch für andere Zwecke nutzen. Zum wiederholten Male bietet sie über das Erasmus-Bildungswerk einen geförderten Berufsintegrationskurs an.

Teilnehmende, die aus verschiedenen Gründen (arbeitslos, Erziehungsurlaub, Flüchtling, neu in Deutschland) das Lernen und den Schritt in die Berufswelt neu lernen müssen, werden über die Stickerei aufs Berufsleben vorbereitet. Dazu gehört das Sticken als Basistechnik. Darüberhinaus wird das, was die Teilnehmer mit Nadel und Faden lernen, aber auch in Word oder Excel dokumentiert. Das ist praxisbezogenes Lernen.

Viele Infos gibt es auch unter www.textilkunstschule.de

Selbst sticken, anderen zeigen, wie es geht, Stoffe und Garne herstellen und vertreiben – das ist schon jede Menge Stickerei. Aber das Ehepaar engagiert sich auch in der Deutschen Stickgilde, wo BIZ Vorsitzende ist: 1998 wurde die Gilde von einer kleinen Gruppe von Enthusiasten gegründet, um dieses alte, aber nicht altmodische Handwerk zum Beispiel auf Kreativ-Messen zu präsentieren. Dort informiert die Zunft auch immer über den Beruf Textilgestalter/in im Handwerk, der 2011 die ehemaligen Ausbildungsberufe Sticker, Stricker und Weber ersetzte und zusätzlich zu diesen drei Fachbereichen noch mit dem Filzen, Klöppeln und Posamentieren ergänzt wurde.

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Sticken sei etwas „sinnlos Schönes“, hat ein Kursteilnehmer der 66-Jährigen einmal gesagt. Und das trifft es wohl. Für Bärbel-Ingeborg Zimber hat es etwas Meditatives, das helfen kann, den „roten Faden im Leben“ zu finden, die Alltagssorgen zu vergessen und um Depressionen zu entkommen. „Sticken hat mein Leben gerettet“, sagt sie. Auch eine angehende Psychotherapeutin lernt übrigens gerade bei BIZ: Sticken ist sogar Therapie.