Hochsauerland. Vogel-Inventur: Bei der „Stunde der Wintervögel“ wurden auch im HSK Vögel gezählt. Aber ist die Hit-Liste repräsentativ und aussagekräftig?

„Alle Vögel sind schon da, alle Vögel alle!“ Wer Anfang des Jahres bei der „Stunde der Wintervögel“ mitgemacht hat, dürfte im Bundesdurchschnitt 8,7 unterschiedliche Vogelarten beobachtet haben. Das zeigt das Endergebnis Deutschlands größter Zählaktion. Federführend hatte der Naturschutzbund Deutschland schon zum zwölften Mal zur winterlichen Vogel-Inventur eingeladen. Rund 176.00 Menschen haben mitgemacht und von über 120.000 Beobachtungspunkten wie Gärten, Parks und Balkonen über 4,2 Millionen Vögel gezählt.

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Der Haussperling macht das Rennen

Im Hochsauerlandkreis ging die Zahl der Beobachter und dadurch vermutlich auch die Zahl der Vögel zurück. Diesmal wurden kreisweit in 350 Gärten 13.027 Vögel gezählt. 527 Vogelfreunde nahmen teil. 2021 wurden noch in 465 Gärten 18.163 Vögel gezählt. 665 Beobachter meldeten ihre Daten. Nach wie vor war demnach im HSK der Haussperling (wie seit 2019) auf Platz 1. Von seiner Sorte streiten sich im Schnitt 5,41 Vögel rund um Sonnenblumenkerne, Nüsse und Co. Zum Vergleich: Beim Rotkehlchen waren es kreisweit nur 1,09 Exemplare.

Werner Schubert, Leiter der Biologischen Station des HSK mit Sitz in Brilon, findet die „Stunde der Wintervögel“ generell gut. „Sie fördert das Naturbeobachten und weckt das Interesse daran.“ Allerdings hat er an der Aussagekraft der Zahlen gewisse Bedenken und mahnt zur Relativierung. „Die Zahlen sagen ja lediglich aus, welche Vögel an der Futterstelle zu sehen waren. Das müssen aber nicht zwangsläufig auch die am häufigsten vorkommenden Vogelarten in der jeweiligen Region sein.“

Buchfink ist der eigentliche King

Nach seinen Zahlen gibt es bundesweit zum Beispiel 7,5 bis 9 Millionen Buchfinken-Brutpaare und nur 4,1 bis 6 Millionen Haussperlinge. Er ist davon überzeugt, dass auch bei uns im HSK der Buchfink die Hitliste anführt, obwohl er in der NABU-Auflistung für den HSK nur auf Rang 8 kommt Auch vom Rotkehlchen sind bundesweit 3,4 Millionen Brutpaare nachgewiesen; es macht sich aber an den Futterstellen auffällig rar. Schubert: „Das liegt ganz einfach daran, dass das Rotkehlchen ein Weichfutterfresser ist und häufig nur Sonnenblumenkerne verfüttert werden. Der Buchfink ist von Natur aus eher zurückhaltend, was sein Erscheinen an Futterstellen anbelangt. Hinzu kommt, dass die Weibchen im Winter oft in frostfreie Gebiete ziehen und die Männchen hier überwintern.“

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Schutz seltener Vogelarten

Die vermeintlich so hohe Population der Haussperlinge stellt Werner Schubert sehr in Frage: „Früher gab es einfach mehr naturnahe Hausgärten und eine andere Form der Landwirtschaft. Die Zahl der Sperlinge hat nach unseren Erkenntnissen massiv abgenommen, weil manche Dörfer in puncto Naturnähe eher Vorstadtorten gleichen.“

Die milden Winter, so der Fachmann weiter, würden generell dazu führen, dass manche Vogelarten gar nicht mehr gen Süden ziehen. Schubert: „Vogelzug ist gefährlich. Viele Vögel sind Opportunisten. Wenn es nicht zwingend nötig ist, minimieren sie den Vogelzug und überwintern in näheren Zonen. Das gilt für einige Kraniche, die an der Ostsee bleiben, aber auch zum Beispiel für die Mönchsgrasmücke. Durch den Klimawandel hat sich von ihrer Art eine eigene Überwinterungs-Population gegründet, die statt im Mittelmeer in Irland überwintert.“ Beim Rotmilan habe es auch schon Einzelbeobachtungen gegeben, dass er hier bleibe. Nach wie vor gebe es aber auch sogenannte Langstreckenzieher, die von einer tiefen Zugunruhe getrieben immer im Herbst die Koffer packen. Dazu zählen zum Beispiel Schwalben und Mauersegler.

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Generell nahm auch bei uns an den Futterstellen im HSK die Zahl der typischen Waldarten wie Kernbeißer (+56 Prozent im HSK), Kleiber (+35 Prozent), Eichelhäher (+121 Prozent) oder Buntspecht (+ 61 Prozent) zu. Ursache dafür, so der NABU, könnten weniger Baumfrüchte in den Wäldern als in anderen Wintern sein. Werner Schubert: „Das mag sein, das kann aber auch einfach Zufall sein.“

Für zwei andere Vogelarten – Raubwürger und Neuntöter – stellt der HSK einen landesweiten Verbreitungsschwerpunkt dar. Nicht zuletzt wegen ihres Vorkommens (in freier Natur, nicht an Futterhäuschen) ist die Region als EU-weit besonders schützenswerte Zone eingestuft. Vom Raubwürger gibt es kreisweit etwa 60 Brutpaare u.a. in der Medebacher Bucht und im Raum Brilon/Marsberg. Schubert: „Das klingt wenig. Aber damit ist der Hochsauerlandkreis deutschlandweit eines der wenigen Zentren für Raubwürger überhaupt.“

Nur 60 Raubwürger-Paare

Weite Verbreitung im HSK hat auch der Neuntöter. Die Ornithologische Arbeitsgemeinschaft des Vereins für Natur- und Vogelschutz (VNV) gibt 1000 Brutpaare an. Schubert: „Der profitiert zurzeit von den Kalamitätsflächen in den Wäldern, wo er auf brachliegenden Gebieten ein üppiges Nahrungsangebot vorfindet.“ Das kann sich aber auch in zehn Jahren schon wieder ändern, wenn die vom Borkenkäfer befallenen Wälder wieder ganz anders aussehen.

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Um zum Beispiel den Raubwürger oder den Neuntöter sowie andere seltene Arten zu schützen, diskutieren die Räte der drei Städte Hallenberg, Medebach und Winterberg momentan über einen „Biotopverbund Medebacher Bucht mit Teilen der Winterberger Hochfläche“. Dabei geht es nicht um zusätzliche Unterschutzstellungen von Gebieten, sondern darum, bereits unter Schutz gestellte Bereiche im Naturschutzgroßprojekt weiter zu erhalten und mit zusätzlichen Maßnahmen zu pflegen und zu entwickeln. Schubert: „Bereits jetzt arbeiten die Landwirte in der Medebacher Bucht gemeinsam mit der Biologischen Station an der Umsetzung des Vogelschutzmaßnahmenplans, um dort die sogenannten Charakterarten zu fördern.“