Hallenberg. In der Nacht vom 10. auf den 11. November 1938 starten die Nazis auch in Hallenberg die Jagd auf Juden. Ein dunkles Kapitel der Stadtgeschichte.

Reichspogromnacht“. Zerstörte Wohnungen, geplünderte Geschäfte, brennende Synagogen. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 nutzten die Nationalsozialisten den Übergriff des 17-jährigen Herschel Grünspan auf einen Diplomaten in Paris, um in ganz Deutschland ihren Judenhass auf einen vorläufigen Höhepunkt zu treiben. Mit einem Tag Verspätung erreichte diese Welle auch Hallenberg. Gut 350 Jahre hatten nichtjüdische und jüdische Einwohner hier bis dahin miteinander gelebt, gelacht, gelernt, gearbeitet, gefeiert, pflegten einige Unterschiede, aber noch mehr Gemeinsamkeiten mit ihren Nachbarn. Mit der Machtergreifung der Nazis schlug die harmonische Stimmung ab 1933 um. Der Druck nahm zu, die jüdischen Familien wurden immer mehr ins Abseits gedrängt. Hallenberg hatte zudem ab 1937 einen Amtsbürgermeister und NSDAP-Ortsgruppenleiter, der sich als fanatisch und menschenverachtend erwies und die jüdischen Einwohner drangsalierte, wo er nur konnte.

Hetzrede von Joseph Goebbels

Reichspropagandaminister Joseph Goebbels rief in einer Hetzrede am 9. November 1938 dazu auf, alle Juden kollektiv für das Pariser Attentat verantwortlich zu machen. Von der Gestapo kamen per Funk verklausulierte Anweisungen über die Staatspolizei in alle Ortschaften, die Geschäfte und Wohnungen von Juden zu plündern, nicht polizeilich einzugreifen und alle Männer zwischen 14 und 70 Jahren festzunehmen. Es sollte jedoch so aussehen, als ginge die Aktion vom Volk und nicht von der Partei aus. In Hallenberg traf der Funkspruch am späten Vormittag des 10. November ein.

Der Reisepass von Karl Oppenheimer mit dem markanten J.
Der Reisepass von Karl Oppenheimer mit dem markanten J. © Stadtarchiv | Stadtarchiv

Der Amtsbürgermeister rief daher die Bürger, zusammen mit dem SA-Sturmführer aus Braunshausen, für den Abend zu einer Kundgebung auf dem Sportplatz auf. Beide peitschten die Anwesenden mit Reden so sehr auf, dass sich anschließend mehrere Gruppen zu vier bis fünf Leuten unter auswärtiger SA-Führung bildeten. Diese zogen gegen 22 Uhr in Richtung Marktplatz und von da weiter zu den sechs jüdischen Wohnhäusern in der Altstadt, um in blinder Wut „alles zu demolieren“ und „die Bude und die Möbel strackzusetzen“, wie Augenzeugen später den mündlichen Befehl schilderten. Fenster wurden eingeschlagen, Möbel, Geschirr, Federbetten, Lebensmittel und Kleidung flogen auf die Straßen. Einige der Häuser, die bis auf eins bis heute stehen, wurden mehrfach überfallen und geplündert, weil sich die SA-Leute in Hallenberg nicht genau auskannten und nicht alle ortskundige Schläger dabei hatten. Weil am Vormittag bereits die jüdischen Männer festgenommen und im Rathaus inhaftiert worden waren, sahen sich die Frauen und Kinder den Vandalen allein und schutzlos ausgesetzt. Es sollen zwar nur wenige Einheimische aktiv an den Krawallen beteiligt gewesen sein, tatkräftige Hilfe oder gar Verteidigung fanden die jüdischen Nachbarn jedoch auch nicht.

Die Hallenberger Synagoge wurde 1938 angesteckt.
Die Hallenberger Synagoge wurde 1938 angesteckt. © Stadtarchiv | Stadtarchiv

Gegen 3 Uhr nachts brannte die kleine Synagoge ab, ein Gebetsraum hinter einem Fachwerkhaus, das an der Stelle der heutigen Volksbank stand. Die darin befindlichen Gebetsmäntel und Thorarollen wurden dabei unwiederbringlich vernichtet. Am folgenden Morgen wurden acht jüdische Hallenberger erst nach Dortmund und dann weiter ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, aus dem sie erst Wochen später unter dem Druck, so bald wie möglich auszuwandern, entlassen wurden. Der Amtsbürgermeister lud sie regelmäßig vor, um ihnen zu drohen.

Rigorose Verfolgung

Nach der „Reichskristallnacht“ im November 1938 setzten sich auch in Hallenberg die rigorose Verfolgung der Juden und die komplette Verbannung aus dem Alltag fort. Bis 1939 wurden alle jüdischen Betriebe stillgelegt und den Menschen damit ihre letzte Lebensgrundlage entzogen. Von 49 Hallenbergern, die 1933 noch in ihrer Heimat lebten, gelang 16 die Auswanderung, sieben starben eines natürlichen Todes. 24 wurden deportiert, das Schicksal von zweien ist nicht bekannt. Morgens am 28. April 1942 wurden die letzten acht Hallenberger Juden abgeholt. Erst standen „nur“ fünf auf der Liste, doch der Amtsbürgermeister erreichte den Abtransport auch der anderen drei: „damit Hallenberg judenrein wäre.“ Es überlebte keiner von ihnen.

Der so führertreue Amtsbürgermeister starb im März 1946 nach dem Zweiten Weltkrieg in Kornwestheim. Dort befand sich eines der speziellen Kriegsgefangenenlager, in denen die Alliierten mutmaßliche NS-Aktivisten festsetzten. Dem SA-Sturmführer aus Braunshausen und einem weiteren SA-Mann wurde gut zehn Jahre nach der Reichskristallnacht vor dem Schwurgericht in Arnsberg der Prozess gemacht. Die beiden versuchten zu leugnen und sich herauszureden, sie hätten ihren Leuten nur befohlen, in den jüdischen Häusern nach staatsfeindlichen Schriften zu suchen. Die Sachbeschädigungen seien eine „spontane Volksempörung“ gewesen, wie die Presse damals berichtete. Doch durch Dokumente und Zeugenberichte belegte das Gericht, dass die Aktion geplant und angeordnet war und dass die Angeklagten sich aktiv beteiligt hatten. Sie wurden im Februar 1949 wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit und Landfriedensbruch zu acht bzw. vier Monaten Haft verurteilt. In der Urteilsbegründung heißt es: „Die Vorgänge in der berüchtigten Kristallnacht waren ein Ausbruch des Rassenhasses und der politischen Barbarei. Sie bleiben für immer eine Kulturschande und haben dem Ansehen des deutschen Volkes […] unendlich geschadet.“