Medebach. Anklage: Ehemann soll seine Frau massiv verletzt und bedroht haben. Doch seine Verteidigung findet Schwachstellen in der Anklage.

Einmal quer durchs Strafgesetzbuch reichten die Vorwürfe, die Staatsanwalt Balkenhol am Donnerstag (22.4.) vor dem Amtsgericht Medebach gegen einen Mann aus dem Südkreis vorbrachte.

Von gefährlicher Körperverletzung über Freiheitsberaubung und sexuelle Belästigung bis zu Bedrohung soll der ehemalige Schützenkönig zwischen Dezember 2018 und Juni 2019 fünfmal gegen seine Ehefrau gewalttätig geworden sein – meist nach dem gemeinsamen Besuch von Festen.

Beim ersten Fall soll der begeisterte Schütze und Jäger nach einer Handgreiflichkeit seine vor ihm flüchtende Frau ins Ankleidezimmer verfolgt und ihr eine Schusswaffe an den Kopf gehalten haben. Beim zweiten Mal soll er sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und später aufgefordert haben, mit ihm in den Keller zu gehen, um beide zu erschießen.

Zweiter Termin

Zu einem ersten Hauptverhandlungstermin im November 2020 waren der Angeklagte und sein damaliger Anwalt nicht erschienen; es erging ein Strafbefehl über sieben Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung, 6000 Euro Geldstrafe, die Einziehung der mutmaßlich zur Bedrohung eingesetzten Schusswaffe und Übernahme der Kosten der Nebenklage. Dagegen legte der Angeklagte Widerspruch ein; so kam es zum neuen Verhandlungstermin.

Bei einem weiteren Vorfall soll er mit einem Griff ins Gesicht der wiederum flüchtenden Frau eine blutende Wunde zugefügt haben. Ende Juni 2019 soll sie bei einem Streit aus Furcht um Hilfe gerufen haben, daraufhin soll er sie von hinten gegen eine Tür gestoßen haben.

Mit Folgen: Diagnostiziert wurden später ein Nasenbeinbruch, ein Schleudertrauma und eine Schädelprellung. Jener Abend beendete die Partnerschaft: Sie habe auf sein Verlangen noch den verschmutzten Raum geputzt und ihren Mann danach verlassen, schilderte die Zeugin später.

Ehemann: „Vorwürfe sind erfunden“

„Völliger Mumpitz und an den Haaren herbeigezogen“, so beurteilte der Angeklagte die Vorwürfe. Rund eine halbe Stunde lang schilderte er seine Sicht auf jene Monate und die Ehe. Er habe sich auf ein schönes Jahr gefreut, auch zu Hause die Kinder gehütet, wenn seine Frau unterwegs gewesen sei. Sie hingegen habe sich zum Beispiel beim Kochen immer weniger Mühe gegeben.

Nachdem er von einer Affäre mit einem gemeinsamen Bekannten erfahren habe, habe er „alles getan, um ihr das Leben schöner zu machen“, und dazu auch Bücher mit Ehetipps gekauft, obwohl „meine Welt zusammengebrochen war“. Ihre Gewaltvorwürfe seien komplett erfunden – so habe es eine Schusswaffe im Ankleidezimmer gar nicht gegeben.

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Die erklärte Absicht seiner Frau, beim letzten Vorfall aus einem Fenster um Hilfe zu rufen, sei eine „sinnlose und provokante Aktion“ gewesen, bei der er nur zugegriffen habe, um sie und wichtige Unterlagen vor Schaden zu bewahren. Mehr noch: Mehr als einmal habe seine Frau ihm quasi gedroht, sie müsse bei der Polizei nur bestimmte Stichworte erwähnen, um ihn schlecht zu machen, und sogar gesagt: „Jetzt hau mich endlich, dann habe ich, was ich brauche.“ Ihr Motiv, ihm diese Taten vorzuwerfen, sei wohl, dass „sie und ihre Affäre wussten, dass sie ein Problem haben, wenn ihr Verhältnis bekannt wird. Deshalb haben sie vielleicht ein anderes Bauernopfer gesucht.“

Ehefrau schildert große Angst

Seine Noch-Ehefrau trat auch als Nebenklägerin auf. Sie beschrieb in ihrer über dreistündigen Vernehmung nicht nur die Vorfälle, sondern auch ihren Mann ganz anders. Zwar seien sie „ein eingespieltes Team“ gewesen, er habe aber schon aus geringfügigen Anlässen eifersüchtig reagiert und dazu geneigt, „wie aus dem Nichts“ aggressiv zu werden.

Übergriffig sei er früher nicht gewesen – zumindest sei ihr zum Beispiel ein gelegentlicher Schubs gegen einen Stuhl nicht dramatisch vorgekommen. Warum es ab Sommer 2018 schlimmer geworden sei, wisse sie nicht; mit der Affäre habe es noch nicht zu tun gehabt. Ab diesem Zeitpunkt habe sie sich oft vor ihm gefürchtet, bei den Angriffen mehrmals Todesangst gehabt. „Ich weiß bis heute nicht, wie weit er gehen würde.“

Nach den Taten habe es jeweils völlige Umschwünge gegeben: Sobald sie geblutet habe, sei er fürsorglich und erschrocken gewesen, habe ihre Wunden versorgt, reden wollen, ihr aber auch „theaterreife Vorführungen“ vorgeworfen und stets betont, alles sei auch ihre Schuld. Auch Zärtlichkeiten habe er dann meist gewollt. „Aber es ist schwer, jemanden zu umarmen, der einem eben noch Angst und Schmerzen zugefügt hat.“

Warum sie das alles ertragen habe? Sie habe in der Hoffnung gelebt, den Frieden wiederherzustellen, auch wegen der Kinder. Sogar ein von ihm verlangtes Entschuldigungsschreiben wegen ihrer Affäre habe sie verfasst. „Wegen des eigenen Mannes die Polizei zu rufen, ist nicht so leicht, wie man denkt.“

Rechtsanwalt David Mühlberger aus München, einer der beiden Verteidiger, suchte und fand Angriffspunkte in diesen Schilderungen. Nein, die Schusswaffe konnte die Frau nicht beschreiben und hatte sie im entscheidenden Moment auch nicht gesehen. Verletzungen wurden nur nach dem letzten Vorfall verwertbar dokumentiert. An den meisten Tattagen war auf beiden Seiten viel Alkohol im Spiel.

Nach rund vier Stunden Verhandlungsdauer zogen sich alle Juristen zu einem Fachgespräch zurück. Und kamen darin anscheinend überein, dass die Vorwürfe nicht abschließend beweisbar seien. Die Folge: Alle Zeugen konnten wieder nach Hause gehen; das Verfahren wurde gegen Auflagen eingestellt. Der Angeklagte muss 2000 Euro Schmerzensgeld an seine Noch-Ehefrau zahlen, dazu 6000 Euro Geldstrafe an gemeinnützige Organisationen.