Marsberg. Von einem „Dioxin-Skandal“ war die Rede. Sport- und Spielplätze wurden gesperrt. Der Grund: eine Kupferschlacke aus Marsberg

„Das ist ein herber Schlag für unsere Stadt.“ Nein, es geht nicht um die 2,5 Millionen Euro, die Marsberg bei der Greensillbank angelegt und vermutlich in den Sand gesetzt hat. Der Satz stammt vom damaligen Stadtdirektor Hans-Otto Hille. Vor genau 30 Jahren bekam die Stadt an der Diemel ganz andere Sorgen. Damals wurde bekannt, dass in den 50-er und 60-er Jahren von Marsberg aus mindestens eine Million, wenn nicht gar fünf Millionen Tonnen dioxinverseuchter Kupferschlacke nach ganz Deutschland und sogar nach Dänemark, Frankreich und Belgien verkauft worden waren. Allein 300 Flächen in 220 Städten der ganzen Republik waren mit dem sogenannten Kieselrot kontaminiert.

Vergleiche mit Seveso

Marsberg wurde in einem Atemzug mit dem norditalienischen Seveso genannt. Den „Dioxin-Skandal“ brachte damals eine Bremer Umweltsenatorin ins Rollen. Bei Routine-Messungen auf Bolz- und Spielplätzen war man dort auf hohe Werte des Giftstoffes gestoßen. Und rasch war mit der Kupferhütte in Marsberg der Verursacher dafür gefunden. Bundesweit sorgte das Thema für Schlagzeilen. Die Giftkonzentration im Kieselrot war enorm hoch: Von 50.000 bis 100.000 Nanogramm (ng) pro Kilo Trockensubstanz war die Rede. Für Kinderspielplätze hatte das Bundesgesundheitsamt damals einen Richtwert von maximal 100 ng festgelegt.

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In ganz Deutschland wurden Akten gewälzt; viele Unterlagen waren nicht mehr auffindbar. Aber zahlreiche Kommunen stellten fest, dass bei ihnen Kieselrot verbaut worden war. Sportplätze wurden gesperrt, Vereine mussten auf andere Plätze ausweichen und auf vielen Spielplätzen stand das Schild „Betreten verboten!“ Der Image-Schaden für die Stadt war enorm.

Umweltminister vor Ort

Im April kam der damalige Landesumweltminister Klaus Matthiesen nach Marsberg und schaut sich den „Hüttenschiss“, wie das Material im Volksmund genannt wird, an. Er verkündete: Ausgewählte Marsberger sollten ihr Blut auf erhöhte Dioxin-Belastungen testen lassen. Auch Boden und Pflanzen wurden untersucht. Das Thema beschäftigte auch Bundesumweltminister Klaus Töpfer, der damals persönlich nach Marsberg reiste und der Stadt versprach, sie mit dem Problem nicht allein zu lassen.

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Töpfer betonte: Man möge nicht von einem Skandal reden. Ein Skandal sei etwas, das ans Licht komme und das man habe vertuschen wollen. Das sei hier nicht der Fall. Er sagte zu, dass Bund und Länder gemeinsame Sanierungskonzepte für die betroffenen Flächen entwickeln.

Nach 30 Jahren noch nicht vom Tisch

Auch 30 Jahre danach ist das Thema noch nicht vom Tisch. Das zeigt eine Anfrage unserer Zeitung ans Landesumweltministerium: „Die beaufschlagten Flächen wurden und werden im Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Kreise und kreisfreien Städte saniert“, so das Ministerium. Mit Stand vom 31. Dezember 2020 wurden demnach allein in NRW insgesamt 140 Flächen mit Landesmitteln saniert. Das Land weiter: „Aktuell werden zwar keine belasteten Sportplätze mehr bespielt. Aber im Zuge von Nutzungsänderungen kann auch heute noch Sanierungsbedarf bestehen. Für diese Maßnahmen ist grundsätzlich auch heute noch eine Förderung mit einem Fördersatz von 80 Prozent möglich. Für das Antragsverfahren sind die Bezirksregierungen zuständig.“

Hohe Kosten

Das Thema „Kieselrot“ und seine Folgen hat Unsummen an Kosten verursacht: Bis Ende 2020 wurden 140 Maßnahmen mit Landesmitteln in Höhe von 27.211.821,00 Euro bei einer Landesbeteiligung in Höhe von 80 Prozent gefördert. Das sind Gesamtkosten von rund 34 Millionen Euro. Das Kieselrot lagerte in Marsberg auf einer Fläche von etwa 4,7 Hektar. Im Rahmen der Sanierung wurden allein dort insgesamt rund 37.000 Kubikmeter des Materials umgelagert. Der Schacht, über den die Flugstäube unterirdisch abgegeben wurden, musste abgebrochen und die hoch belasteten Stäube mussten separiert werden.

Von einer Materialprüfungsanstalt war Kieselrot in früheren Jahren als unbedenklich eingestuft worden. Dioxine und Furane konnte man damals vermutlich noch nicht messen. Der Betriebsleiter der Marsberger Kupferhütte soll aber schon 1939 Befürchtungen geäußert haben: Wenn der Konzern die Rückstände der Produktion nicht ordentlich beseitigen lasse, werde die hiesige Gegend verarmen.

Viel Staub aufgewirbelt

Im Prospekt eines Gartenbauarchitekten hieß es in den 50-er Jahren: Sowohl im Wegebau als auch auf Laufbahnen, Sport- und Platzanlagen ist der Erfolg ausgezeichnet. Kieselrot aus Naturgestein ist dauerhaft, schmiert und staubt nicht“. Das kann man so und so sehen. Vor 30 Jahren hat das Thema jedenfalls eine Menge Staub aufgewirbelt.