Medebach/Niedersfeld/Hildfeld. Pfingsten 2020 starb eine junge Frau als Beifahrerin auf einem Quad. Jetzt musste ihr Mann wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht.

Es gibt Augenblicke, in denen sich Zeit verdichtet. In denen banale Situationen sich katastrophal zuspitzen und schlimmstenfalls Konsequenzen haben, die nie wieder gutzumachen sind.

Werden mehrere Personen Zeugen solch dramatischer Sekunden, behält jede ihr ganz eigenes Bild vom Geschehen im Gedächtnis, das völlig anders aussehen kann als das einer anderen. Viele subjektive Wahrheiten, die nicht zueinander passen – eine schwierige Aufgabe für Ermittler und Gerichte, Ablauf, Schuld und Unschuld zu bestimmen. Einen solchen Fall hatte das Amtsgericht Medebach jetzt zu verhandeln.

1. Juni 2020, die Landstraße von Hildfeld nach Niedersfeld: Es ist früher Nachmittag an diesem Pfingstmontag, viele Ausflügler sind unterwegs, darunter ein Ehepaar auf einem Quad. Die beiden stammen aus einem benachbarten Landkreis, wollen nach einem Ausflug übers lange Wochenende nach Hause.

Der 40-jährige Ehemann fährt, seine 32-jährige Frau sitzt hinter ihm. „Ich erinnere mich an den Ablauf bis zum Moment der Vollbremsung. Hinter einer Kurve stand plötzlich ein Auto“, sagt der Mann neun Monate später vor Gericht. Er ist mit dem Quad auf dieses Auto aufgefahren, seine Frau ist dabei gestorben und er nun angeklagt, fahrlässig ihren Tod verursacht zu haben.

„Wir müssen aufklären, was da passiert ist“, spricht ihn der Richter mit verständnisvoller Stimme an. „Wir müssen auf fürchterliche Weise einen Strich ziehen.“ Ein solcher Fall von fahrlässiger Tötung sei auch für das Gericht selten. Der Angeklagte antwortet auf Fragen nur nach langem sich Sammeln, schaut während der restlichen Verhandlung meist geradeaus. Nur einmal schließt er lange die Augen: als der Richter die Verletzungen vorliest, die die junge Frau erlitt und die sie unmöglich überleben konnte.

Radfahrerinnen leisteten erste Hilfe

Doch warum bremste der Fahrer des Pkw, bevor das Quad auffuhr? Wohl deshalb, weil ihm auf seiner Spur ein anderes Auto entgegenkam, das gerade zwei Radfahrerinnen überholt hatte oder dabei war. Die beiden Radlerinnen schilderten übereinstimmend, wie sie die Situation erlebt hatten. Von einem Überholmanöver oder -versuch unmittelbar vor dem Unfall hätten sie nichts bemerkt und auf den Gegenverkehr erst geachtet, als dort ein blaues Fahrzeug plötzlich gebremst, es geknallt habe und „etwas Schwarzes über das Auto geflogen“ sei. Es war der Fahrer des Quads.

Die beiden Frauen warfen ihre Räder an den Straßenrand, riefen den Rettungsdienst und versuchten, zu helfen – zunächst dem Quadfahrer, der schwer verletzt im Graben lag. Dass unter dem blauen Pkw ein weiteres Opfer lag, hätten sie erst kurze Zeit später festgestellt.

Der Mann am Steuer des blauen Pkw schilderte die Situation aus der umgekehrten Blickrichtung: Zwei Fahrzeuge hätten in der Gegenrichtung zum Überholen der Radfahrerinnen angesetzt, ein schwarzes und ein weißes. Das weiße habe den Versuch abgebrochen, das schwarze hingegen habe überholt und sei dann „mit der Front auf seiner und dem Heck auf meiner Fahrspur“ gewesen. Deshalb habe er stark gebremst, dann sei das Quad auf ihn aufgefahren.

Am nebulösesten waren die Erinnerungen des Fahrers des schwarzen Pkws: Sein vorsichtiges Überholen der Radfahrerinnen sei abgeschlossen gewesen, erst danach habe er Bremsen gehört. Er sei weitergefahren, kurze Zeit später umgekehrt und zur Unfallstelle zurückgefahren. An mehr könne er sich nicht erinnern.

Abstand war zu gering

Ob und wie viele andere Fahrzeuge möglicherweise noch in der Nähe waren, wie weit die zu überschauende Strecke war, ob der Fahrer des blauen Autos noch Zeit hatte, dem des schwarzen Lichthupe und Mittelfinger zu zeigen – in diesen Punkten gingen die Erinnerungen der Zeugen und des Angeklagten teils massiv auseinander.

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Objektivität brachte der Bericht des Unfallsachverständigen. Das Quad sei vor der Vollbremsung 80 bis 90 km/h schnell gewesen, beim Aufprall noch 50 bis 60 km/h. Die Kurve sei nicht scharf, die Sichtweite betrage über 100 Meter. Das blaue Auto habe beim Crash definitiv nicht gestanden, sondern sei noch langsam gefahren. Obwohl mehrere Personen am Unfall beteiligt waren und einen Anteil an der Vorgeschichte haben, blieb für den Fachmann die klare Erkenntnis: Hätte der Quadfahrer genug Sicherheitsabstand gehalten, wäre der Unfall nicht passiert.

Welche Strafe hat der Mann dafür verdient? Aus Sicht des Gerichts am Ende der Verhandlung: keine. Er sei in der Kette der Ereignisse der letzte gewesen, der reagieren konnte; seine Schuld sei gering und auch eine Schuld anderer stehe im Raum. Das Verfahren könne eingestellt werden. Und so war die Angelegenheit plötzlich zu Ende. Zumindest für die Justiz.