Winterberg. Seit 100 Tagen ist Michael Beckmann Bürgermeister von Winterberg. So zieht er Bilanz über den Start in die Amtszeit.

Ganz genau am Montag (7.2.) sei es gewesen, sagt Michael Beckmann, dass die ersten 100 Tage als Bürgermeister vorbei waren. Zeit für eine erste Zwischenbilanz mit dem neuen CDU-Rathauschef – per Videokonferenz.

Wie würden Sie Ihre ersten 100 Tage im Amt in drei Wörtern zusammenfassen?

Michael Beckmann: Fordernd, aufregend, herzlich aufgenommen.

Hatten Sie sich das Amt so vorgestellt?

Ja, es war mir ja nicht alles unbekannt. Der Fokus ist aber jetzt wesentlich breiter als früher, als ich für Tourismus, Wirtschaft und Stadtmarketing verantwortlich war. Dazu kommen jetzt soziale Angelegenheiten, Ordnungsamt, Schulen… Das ist spannend, eine neue Welt, und macht riesig Spaß.

Gab es sonst noch große Umstellungen vom Amt des Tourismusdirektors zu dem des Bürgermeisters?

Keine Umstellung gibt es auf jeden Fall bei der zeitlichen Beanspruchung und bei den Abendterminen. Aber das bin ich gewohnt. In viele Themen muss man sich erst einfinden; der Haushaltsplan einer Kommune ist auch etwas ganz anderes als der Wirtschaftsplan eines Betriebes wie der WTW. Aber ich weiß ein motiviertes, engagiertes und kompetentes Team hinter mir, auf das ich mich verlassen kann.

Welche realistischen Erwartungen haben Sie an den Corona-Gipfel von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten am Mittwoch (10.2.)?

Auf Initiative von Winterberg richten sechs wintersportgeprägte Orte – Oberwiesenthal, St.Blasien, Oberstdorf, Braunlage, Willingen und wir – zum Gipfel ein Schreiben an die Ministerpräsidenten „unserer“ Bundesländer, die Bundeskanzlerin und entscheidende Ministerien. Darin legen wir dar, dass unsere Orte eine Überbrückungs- oder Infrastrukturhilfe brauchen. Unsere gesamte Wertschöpfungskette hängt am Tourismus, deshalb halten wir diese Forderung für berechtigt und nachvollziehbar. Es geht nicht um Extrawünsche, sondern darum, dass zum Beispiel Winterberg über Gebühr durch den Lockdown belastet wird. Die Industrie hat weit weniger Probleme als der Tourismus. Im Frühling planen wir einen Appell noch einmal deutlich größer, mit Tourismusorten von Sylt bis Oberstdorf. Zum Gipfel selbst: Ich denke, der harte Lockdown wird verlängert. Wir fahren auf Sicht. Trotzdem braucht es eine Öffnungsstrategie für Betriebe, Schulen und Kitas. Denn ich bekomme viele Rückmeldungen, dass die Belastung der Menschen steigt.

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Was wäre jetzt Ihr Hauptthema, wenn es nicht Corona wäre? Digitalisierung? Stadtentwicklung? Der Zustand des Waldes?

Von den genannten Dingen vor allem die Digitalisierung an unseren Schulen. Corona ist wie ein Brennglas auf das, was deutschlandweit lange hintanstehen musste. Alle zwei bis drei Wochen treffe ich die Schulleiter, um zum Beispiel gemeinsam zu überlegen, was noch geht und woher wir noch Mittel bekommen können. Sehr wichtig ist aber auch die künftige medizinische Versorgung, Stichwort Krankenhaus, niedergelassene Ärzte und Pflegedienste, sowie der Klimawandel, von dem uns der Schnee draußen nicht ablenken darf. Und das Ehrenamt und die Vereine, mit denen ich mich ebenfalls in den nächsten Wochen digital treffe.

Sie haben verschiedene digitale Bürgerdiskussionen angestoßen, unter anderen auch zu den städtischen Finanzen. Wie sinnvoll ist das, gemessen daran, dass die finanziellen Spielräume in den kommenden Jahren sehr eng werden dürften?

Es geht darum, zu präsentieren, was man plant; es geht um Feedback der Bürger und darum, hinzuschauen, ob die Dinge, die wir sehen, von den Bürgern auch als relevant angesehen werden. Wir machen transparent: Woher kommt das Geld, wohin geht es? Das baut Verständnis auf. Klar, die kommunalen Haushalte haben heute wenig Spielraum. Aber hier und dort gibt dennoch Möglichkeiten, zum Beispiel beim Handlungskonzept Wohnen, das in Arbeit ist: Wie sieht der Bedarf an qualitativem und quantitativem Wohnraum in der Zukunft aus? Wollen wir für bezahlbaren Wohnraum eine eigene Genossenschaft gründen oder auf eine bestehende zurückgreifen?

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Winterberg hat – Stand 2020 – über 50 Millionen Euro Schulden. Wird Ihnen bei solchen Zahlen nicht manchmal angst und bange?

Ja, das kann man auch nicht schönreden. Es wäre unrealistisch zu glauben, dass wir in zehn Jahren davon herunterkommen können. Unsere Aufgabe ist es, die Infrastruktur zu schaffen, damit die Menschen heute und in Zukunft trotzdem gern in ihrer Stadt leben. Dafür arbeiten wir jeden Tag und ich bin sicher, das wird uns gelingen.

Sie haben das Stichwort Krankenhaus erwähnt: Seit 15 Monaten dauert das Insolvenzverfahren an. Bei wem liegt Ihrer Meinung nach momentan der Ball?

Ich frage nicht, bei wem der Ball liegt, sondern wie wir den Betroffenen, vor allem den Mitarbeitern, zur Seite stehen können. Und was es braucht, um das Krankenhaus und damit die medizinische Versorgung in unserer Stadt zu sichern. Hier werden wir noch einmal auf das Land NRW zugehen, das für die Krankenhausversorgung verantwortlich ist.

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Nochmal zurück zu Corona: Sie haben eine öffentlichkeitswirksame Licht-aus-Aktion angekündigt, sollte der harte Lockdown am Mittwoch verlängert werden. Wann findet diese statt und wie wird sie aussehen? Bleiben nachts die Straßen Winterbergs dunkel?

Das haben wir tatsächlich prüfen lassen, allerdings ist es aufgrund von Verkehrssicherungspflichten nicht möglich. Die Licht-aus- wird deshalb zu einer Licht-an-Aktion werden, ähnlich wie kürzlich bei den Friseuren. Wann und wie genau sie stattfinden wird, kann ich aber noch nicht sagen, das stimmen wir mit den Liftbetreibern und Einzelhändlern ab. Erstmal warten wir auf die Ergebnisse des Gipfels am Mittwoch.

Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass es eines Tages wieder aufwärts geht?

Das ist mein Grundoptimismus, der mich nie verlassen hat. (lacht) Es ist nicht die erste, wenn auch die schwerste Krise, die wir erlebt haben. So optimistisch muss ich auch vorangehen – stellen Sie sich vor, ausgerechnet der Bürgermeister verliert den Mut. Das wird es nicht geben. Nach diesem Winter werden ein Frühling und ein Sommer kommen, die werden anders sein als die im vergangenen Jahr, aber wieder sehr gut besucht. Dafür bereiten wir alles vor. Die Stärke unserer Stadt war immer, dass wir Dinge gemeinschaftlich angegangen sind. Die Vereine sind digital kreativ, die Nachbarschaftshilfe aktiv, obwohl die Lage sehr belastend ist. Das alles beeindruckt mich sehr.