Brilon. Pfarrer Uwe Steinmann aus Medebach sieht in der Corona-Krise eine Chance für die Kirche und einen neu erweckten Glauben.
Medebach. Corona sorgt für ein Ausnahme-Fest: Die Evangelische Kirche hat entschieden, die Gottesdienste in Westfalen an den Feiertagen abzusagen. Für viele Menschen bricht eine wichtige und langgelebte Tradition am Heiligabend weg. Pfarrer Uwe J. Steinmann aus Medebach ist enttäuscht, betont im Interview aber, dass er die Entscheidung für richtig hält.
Der Weihnachtsgottesdienst fällt aus. Wie fühlen Sie sich persönlich mit dieser Entscheidung?
Uwe Steinmann: Tja, das ist schon ein grenzwertiges Gefühl. Neben Ostern ist Weihnachten das höchste Fest im Jahr und der Weihnachtsgottesdienst ist für mich der schönste von allen. Natürlich bieten wir Alternativ-Gottesdienste an, aber die Freude durch den direkten Kontakt mit den Menschen bleibt aus. Sonst steht man eingerahmt von der Gemeinde und wenn der Weihnachtsgottesdienst beginnt, beginnt auch das Weihnachtsgefühl in einem selbst. Als wäre der Gottesdienst der Anfang des Weihnachtsfestes. Es wird also sehr ungewohnt und komisch, ohne Gottesdienst. Andersherum wird dieses Fest außergewöhnlich ruhig, weil man Zuhause die Füße hochlegen kann, statt einen Gottesdienst nach dem andern zu halten. Dennoch denke ich, besonders an Heiligabend wird es sehr traurig werden. Es ist aber alles noch sehr irreal und bei mir nicht so richtig angekommen.
Was hatten Sie eigentlich geplant für Heiligabend?
Wir wollten einen ökumenischen Gottesdienst veranstalten – auf dem Marktplatz in Medebach vor dem großen Weihnachtsbaum. Im Freien und mit genügend Abstand und einem Krippenspiel. Aber auch diese Idee wäre nicht ganz ohne Gefahr gewesen. Was wäre gewesen, wenn ungewöhnlich viele Menschen dieses Angebot wahrgenommen hätten, auch, weil es etwas anderes ist. Es wäre ein zweischneidiges Schwert – ich hätte mich zwar gefreut, aber wer weiß ob wir die Schutzmaßnahmen hätten einhalten können und es wäre viel Sorge dabei gewesen. Wir fahren sozusagen nur auf Sicht und Armin Laschet drängt weiterhin darauf, alle Gottesdienste abzusagen, auch die katholischen. Es ist etwas schwierig, wir haben ja in NRW drei evangelische Kirchen. Die Westfälische, die Rheinische und die Lippische. Jede regelt das anders. Ganz zu schweigen von Kirchen in andern Bundesländern. Allein in Hessen, nur wenige Minuten von uns entfernt, dürfen Gottesdienste stattfinden.
Glauben Sie, dass einige aus Medebach nach Hessen fahren werden?
Unwahrscheinlich. Weihnachten ist stark als Familienfest etabliert und da wollen die Leute nicht in eine fremde Kirche fahren. Aber dadurch, dass sich die Regelungen zwischen den Bundesländern und den Kirchen untereinander so stark unterscheiden, sind die Maßnahmen zum Schutz teils schwer vermittelbar.
Wie wichtig ist ein Weihnachtsgottesdienst für die Menschen?
Die Zahlen sprechen für sich. Wir versuchen händeringend über das ganze Jahr hinweg, dass die Menschen zu uns in die Kirche kommen. Und an Heiligabend platzen die Kirchen aus allen Nähten. Manche Kreise in den Kirchen kritisieren dieses Verhalten. Ich finde – mit einem Augenzwinkern – einmal im Jahr in die Kirche zu gehen ist auch ein regelmäßiger Gottesdienstbesuch. Wir erfüllen an diesem Fest offenkundig ein Bedürfnis der Menschen und wir müssen uns fragen, wieso die Kirche das nicht das ganze Jahr über schafft. Wir sollten den Heiligabend-Gottesdienst nicht als romantisches Sahnehäubchen abtun. Weihnachten ist so fest verankert und berührt eine der tiefsten Schichten in uns Menschen. Wir bedienen mit dem Gottesdienst anscheinend eine Sehnsucht nach etwas nicht-weltlichem, die wir an Weihnachten mehr spüren als sonst.
Aber ist Weihnachten nicht eigentlich ein sehr weltliches Fest, wenn man bedenkt, dass wir an keinem Fest so viel konsumieren?
Konsum ist auch nur ein schwacher Versuch, eine Sehnsucht zu erfüllen. In Sehnsucht steckt das Wort Sucht. Um unsere tiefere Sehnsucht zu erfüllen, glauben viele Menschen, das durch oberflächlichen Konsumieren kompensieren zu können – teils können sich daraus Süchte entwickeln. Der Weihnachtsgottesdienst zeigt aber, dass es wichtigeres gibt als Feiern und Geschenke. Und Corona kann eine Chance sein zu erkennen, was wichtig ist, jetzt, wo vieles nicht stattfinden kann. Wo viele nicht mal ihre ganze Familie an den Feiertagen sehen können. Wir bekommen ein neues Bewusstsein dafür, was wesentlich ist.
Glauben Sie denn, Corona könnte für mehr Menschen in der Kirche sorgen?
Das wäre natürlich mein Wunsch, ob dem so ist, kann ich nicht voraussagen. Wir haben immer sehr sicher und behütet gelebt, aber jedem muss jetzt bewusst werden, dass wir auf andere Mächte und Kräfte angewiesen sind. Viele glauben an den Impfstoff, aber dieser ist meiner Meinung nach nur ein Werkzeug. Gott wird uns aus der Pandemie herausführen. Alles, was wir Menschen in Krisenzeiten geschafft haben, war ein Geschenk von oben. Ich hoffe, dass die Pandemie viele Menschen zum Nachdenken bringt und sich einige an Gott wenden, weil sie verstehen, dass wir das alleine nicht schaffen können und wir ohne himmlischen Beistand kopf- und orientierungslos diese Krise zu meistern versuchen, wie die letzten Monate deutlich gezeigt haben.
Wie reagieren die Menschen auf den ausgefallenen Weihnachtsgottesdienst?
Allgemein mit großem Verständnis und positiv bezüglich des Gesundheitsaspektes. Viele Menschen haben ohnehin vorher schon entschieden, nicht zum Gottesdienst gehen zu wollen – aus Angst vor einer Infektion. Aber ich bekomme auch Anrufe, dass es traurig ist, dass die Gottesdienste ausfallen müssen und etwas Entscheidendes fehlen wird.
Wie bleiben Sie ansprechbar für die Gläubigen?
Als Seelsorger stehe ich auch während der Feiertage zur Verfügung. Ich mache zwar zurzeit keine Hausbesuche mehr, um die Menschen nicht zu gefährden, aber über Telefon und E-Mail bleibe ich in Verbindung und erreichbar. Zu Geburtstagen bringe ich kleine Grußkarten vorbei und lege sie kontaktlos in den Briefkasten. Unsere Kirche ist an Heiligabend geöffnet – sodass Menschen zur privaten Einkehr oder Gebet Zugang haben. Auch kleine Weihnachtsgeschenke liegen dort bereit, solang der Vorrat reicht. Natürlich weisen wir auch dabei darauf hin, Abstände einzuhalten oder gegebenenfalls draußen zu warten, wenn zu viele Menschen gleichzeitig da sein sollten. Aber das Angebot ist da. Außerdem gibt es ja auch Online-Gottesdienste unter www.evangelische-kirche-medebach.de und das Pfarrbüro ist 24 Stunden an 7 Tagen der Woche per Anrufbeantworter erreichbar.