Medebach. Mit einem riskanten Manöver überholte ein heute 19-Jähriger ein anderes Auto und bremste es aus. Es ging nur um Haaresbreite gut.
Am Ende nahm der Angeklagte die letzte mögliche Ausfahrt: Nach zweimaliger Beratung mit seinem Anwalt zog er den Einspruch gegen seinen Strafbefehl zurück. Trotz eindringlicher Appelle von Staatsanwalt und Richter hatte der 19-Jährige das zuvor abgelehnt – zu drastisch schienen ihm die drohenden Auswirkungen auf sein Portemonnaie und seine Fahrerlaubnis.
Doch am Ende behielten beide Juristen mit ihrer Vermutung Recht: Jedes weitere Wort und jeder weitere Zeuge machten die Sache für den jungen Winterberger nur schlimmer.
Denn schon nach dessen erster Schilderung der Tat hatte der Staatsanwalt sich laut gefragt, „was den Verfasser der Anklage geritten haben mag.“ Sollte in diesem Fall heißen: Die im Strafbefehl verhängte Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 30 Euro plus eine Führerschein-Sperrfrist von einem Jahr fand der Anklagevertreter im Licht der neuen Erkenntnisse äußerst mild.
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Dem Angeklagten hingegen war es zuviel. „Das sind 1500 Euro“, kombinierte er. „Ich hab das Geld nicht.“ Außerdem brauche er den Führerschein dringend: Drei Jobs habe er verloren oder nicht bekommen, weil kein Chef einen Maler und Lackierer ohne Fahrerlaubnis wolle. Jetzt sei er arbeitslos und habe hohe Schulden.
Die Geschichte mit dem Hasen
Für die Allgemeinheit wäre es allerdings besser, wenn der junge Mann vorerst kein Auto mehr fährt, fand der Staatsanwalt. Für ihn war der Vorfall vom Juni eine vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs – eine komplizierte Kiste, bei der zehn junge Leute, vier Autos und ein riskantes Überhol- und Bremsmanöver die Hauptrollen spielten.
Aus der Sicht des Angeklagten hatte sich die Sache so zugetragen: Wegen Streitigkeiten in der Gruppe sollte es Aussprachen auf einem Parkplatz bei Niedersfeld geben. Einige der Beteiligten hätten sich aber entzogen. Irgendwann fuhren dann alle vier Autos hintereinander auf der B480 Richtung Olsberg.
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Er selbst habe „keinen Bock mehr gehabt“ und das Fahrzeug vor sich – das vorderste der Kolonne – überholt. „Wir hatten alle locker 80, 90 Sachen drauf. Ich hab überholt und bin vor einer Kurve wieder eingeschert, einen oder zwei Meter vor dem anderen Auto. Beim Einscheren habe ich zehn oder 20 Meter vor mir einen Hasen gesehen, den ich nicht plattfahren wollte. Deshalb habe ich voll gebremst. Hinter mir quietschten auch Reifen, dadurch hat sich der Hase erschreckt und ist weggelatscht.“
Dass sich der Staatsanwalt zum Ende dieser Geschichte mit beiden Händen den Kopf festhielt, beeindruckte den Angeklagten nicht. Auch nach mehrfachem Nachfragen blieb er überzeugt, Geschwindigkeit, Bremsweg und Sicherheitsabstand seien untadelig gewesen. Richter: „Sie glauben, Sie können aus 80 bis 90 km/h innerhalb von zehn Metern anhalten?“ „Ja.“ Staatsanwalt: „Warum scheren Sie mit nur ein, zwei Metern Abstand ein?“ „Mein Golf passte rein.“ „Fahren Sie immer so?“ „Nö.“
Immerhin räumte der 19-Jährige ein, die Autos hätten nach seinem Manöver „verdammt nah beieinander gestanden“. Zu einem Unfall der mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen teilweise vollbesetzten vier Autos kam es nicht.
Der Staatsanwalt glaubte nicht an Hasenbeteiligung – aber daran, dass die riskante Fahrweise mit den persönlichen Querelen der Beteiligten zusammenhing. Der Angeklagte hoffte weiterhin auf ein Urteil, das milder wäre als der Strafbefehl. Also musste die Zeugenschar ran.
Erster Auftritt: Ein 20-Jähriger, der zur Verhandlung mit dem Auto gekommen sein wollte, aber kognitiv und sprachlich so verlangsamt war, dass seine Vernehmung nach kurzer Zeit abgebrochen werden musste. Es folgten ein 14-jähriger Junge und ein gleichaltriges Mädchen, die zusammenhängend erzählten, aber keine neuen Fakten zugunsten des Angeklagten lieferten.
Wann und wo es damals zu welchen Worten, Telefonaten und weiteren Bremsmanövern gekommen war, ab wann und wegen welches Verkehrsdelikts der Führerschein des Angeklagten überhaupt weg war, den „die Mama schon zur Polizei gebracht hat“ – viele Details blieben unklar, trugen aber auch wenig zur Sache bei.
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Nach der Vernehmung dieser drei Zeugen streikte der Staatsanwalt und kündigte an, dass nun die letzte Chance bestehe, den Einspruch gegen den Strafbefehl zurückzuziehen. Diese Chance ergriff der Angeklagte. Das Jahr ohne Führerschein will er nutzen, um sich auf eine Medizinisch-psychologische Untersuchung vorzubereiten.