Winterberg. Finn Luis Tielke hat die Coworking-Lounge gegründet und arbeitet hart. „Aber meine Haltung zur Arbeit ist anders als die meiner Eltern“, sagt er.

Flexibel, mobil und trotzdem komfortabel arbeiten – für alle, deren wichtigstes Arbeitsgerät der Computer ist. Das ist die Idee hinter der Coworking-Lounge in Winterberg. Seit ziemlich genau einem Jahr führt der inzwischen 16-Jährige Finn Luis Tielke dieses Unternehmen und hat dabei bereits Höhen und Tiefen erlebt.

In der Coworking Lounge gibt es verschiedene Büros, Konferenzräume und gemütliche Sitzgelegenheiten.
In der Coworking Lounge gibt es verschiedene Büros, Konferenzräume und gemütliche Sitzgelegenheiten. © Firma NetzpePper/Coworking Lounge

In den hellen Räumen finden auch Teams gute Arbeitsbedingungen (Foto vor Corona aufgenommen).
In den hellen Räumen finden auch Teams gute Arbeitsbedingungen (Foto vor Corona aufgenommen). © Firma NetzpePper/Coworking Lounge

Nach einem gelungenen Start sei die Lounge bereits im November 2019 ausgebucht gewesen. Große Pläne wurden geschmiedet: Kooperationen mit Eventagenturen und der Fachhochschule Südwestfalen sollten mit Gründerevents und anderen Veranstaltungen die Räume zusätzlich beleben. „Weil ich sportbedingt im Winter sehr viel unterwegs bin, hatte ich viele Pläne für den Frühling“, sagt der erfolgreiche Biathlet.

Aufschwung nach Corona-Flaute

Bloß, dass im Frühling plötzlich neue Regeln galten: Die Corona-Beschränkungen schlugen zu – schlagartig war die Lounge leer. Alle Mieter kündigten, bis auf einen. „Bis Juni war alles sehr leer. Aber danach stieg die Nachfrage wieder; sogar ohne Werbung kamen Anfragen.“ Das zumindest war der Stand der Dinge im Spätsommer.

Zur Person: Finn Luis Tielke

Finn Luis Tielke ist 16 Jahre alt und Schülersprecher des Geschwister-Scholl-Gymnasiums.

Neben seinen schulischen Pflichten und seinem eigenen Unternehmen ist er erfolgreicher Biathlet: In der Altersklasse J17 gehört er als Kaderathlet zu den Leistungsträgern am Bundesstützpunkt Winterberg/Willingen. Er bestreitet im Durchschnitt 14 bis 16 Wettkämpfe pro Saison.

In der vergangenen Saison war Finn Luis in seiner Altersklasse der beste männliche Athlet des Stützpunkts und erreichte im Deutschlandpokal Platz 6.

Sein Vereinstrainer André Schüller lobt Finn Luis’ Disziplin und Durchhaltevermögen.

Entmutigt hatte Tielke das tiefe Tal nicht. Im Gegenteil, sagt er: „Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken.“ Anfangs sei alles so schnell gegangen. Bevor die zweite Corona-Welle zuschlug, hatte der Jungunternehmer klare Pläne: nach dem turbulenten Start Kontinuität ins Geschäft bringen, Kooperationen ausbauen und... erweitern. Zu den bisher sieben Arbeitsplätzen sollten innerhalb der nächsten Monate drei bis vier weitere hinzukommen. Mittelfristig sollen es bis zu 14 Arbeitsplätze werden.

Diese Pläne liegen nun auf Eis, vorerst gibt es keine Erweiterung. Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass sich die Lounge erneut deutlich geleert hat - auch Gründer Tobias Gamm (s. Foto und kleiner Text) ist ausgezogen.

Generell aber dürfen Kunden mit fest gemietetem Arbeitsplatz weiter arbeiten. Eine Person pro Büro ist erlaubt, wie Finn Luis Tielke gestern berichtete. Wer nur tageweise in der Lounge arbeiten will, muss derzeit draußen bleiben.

Ebenso wandelbar wie die Lounge selbst sind ihre Kunden. Anfangs seien eher dauerhafte Mieter aus Winterberg gekommen: ein Import-/Export-Unternehmen, eine Vermögensberatung und Firmen aus der IT- und Sicherheitsbranche. Im Spätsommer 2020 gab es viele Anfragen von Start-ups aus dem Bereich IT und Digitalisierung.

Aber auch Touristen, die stundenweise im Urlaub arbeiten, gehören – außerhalb von Pandemiezeiten – zu den Kunden; außerdem Menschen, die nur einige Tage im Monat einen Arbeitsplatz buchen wollen oder die mit dem Placet ihres Chefs von Winterberg aus arbeiten und so einen Heimatbesuch verlängern können.

Balance zwischen Arbeit und Freizeit

Ob der junge Gründer sich vorstellen kann, selbst eines Tages so örtlich flexibel zu arbeiten? „Auf jeden Fall. Aufs Jahr gesehen schlafe ich schon heute jede siebte Nacht in Hotels, wegen des Sports. Ich finde das Rumkommen gut.“ Gern würde er sich später auch drei Monate im Jahr aus dem Arbeitsleben herausziehen und andere lohnende Dinge tun. Im Bulli durch Norwegen reisen zum Beispiel.

Finn Luis Tielkes Generation wird gern als Generation Z bezeichnet – diese ist mit digitalen Medien und schnellem Wandel groß geworden und legt angeblich besonders viel Wert auf Freude am Leben, persönliche Freiheit und Selbstverwirklichung. Tielke will das aber nicht verallgemeinern. „Ich glaube, viele in meinem Alter machen sich noch gar keine ernsthaften Gedanken über ihr späteres Leben. Aber von denen, die sich schon Gedanken machen, denken viele so ähnlich wie ich. Wir sind bereit, beim Geld Abstriche zu machen, um mehr Zeit zu haben.“

Diese Betrachtungsweise von Arbeit ist älteren Generationen oft sehr fremd. Seine Eltern seien ebenfalls skeptisch, sagt Tielke. „Aber“, sagt er, „diese Generationen haben schließlich auch anders gelebt als ihre eigenen Eltern.“

Flexibles Arbeiten für Firmengründer

Was Finn Luis Tielke schon angestoßen hat, will Tobias Gamm noch erreichen: ein eigenes, erfolgreiches Unternehmen aufbauen. Zusammen mit einem Freund hat der junge Maschinenbau-Absolvent eine Innovationsplattform gegründet. Dort sollen kleine und mittlere Unternehmen ohne eigene Innovationsabteilung Aufgaben auslagern können. „Wir sind dabei, dafür einen Pool an Talenten aufzubauen, zum Beispiel Studenten, Freiberufliche und Ruheständler“, sagt Gamm.

Mobiles Arbeite gefragt

Einige Monate lang arbeitete er von der Coworking-Lounge aus – bis vor Kurzem sein Stipendium auslief. Seither ist auch dieser Arbeitsplatz in der Lounge wieder frei.

Im Gespräch mit der WP zeigte sich Gamm von der Idee der Coworking-Lounge begeistert. Sie bot seinem Start-up nicht nur ein präsentables Büro und Besprechungsräume ohne langfristigen Mietvertrag, sondern hatte dem gebürtigen Winterberger auch ermöglicht, wieder in der Heimat zu leben. „Ich war positiv überrascht, als unser Betreuer sagte, dass es hier in der Gegend so etwas gibt. Es ist sehr flexibel und daher ideal, wenn man wie wir eine Geschäftsidee erst einmal erproben will. Ich hoffe, dass mobiles Arbeiten generell häufiger wird“, sagte Gamm.

Die Idee zu seiner Firmengründung entstand in Workshops; der Start wird über das EU-/NRW-Förderprogramm Stream Up gefördert, an dem unter anderem die Fachhochschule Südwestfalen beteiligt ist. Mit dieser würde auch Finn Luis Tielke gern noch enger zusammenarbeiten, um weitere Gründer wie Tobias Gamm (zurück) nach Winterberg zu locken und ihnen dort ein Leben zu ermöglichen.

Vorerst aber ist das Leben des 16-Jährigen mit Arbeit ziemlich ausgefüllt. Die Schule besucht der Schülersprecher derzeit in Quarantäne von zu Hause aus, das normalerweise tägliche mehrstündige Training ruht verletzungsbedingt. Geschätzt rund zehn Stunden Arbeit pro Woche steckt er zudem in sein Unternehmen. Anfragen beantworten, Rechnungen schreiben, Prognosen erstellen und Zahlen jonglieren – vieles erledigt er weitgehend eigenständig. Die durch den Sport geübte Selbstdisziplin hilft dabei.

Alle Folgen der Serie „Schöne neue Arbeitswelt“ gibt es auf www.wp.de/arbeitswelt