Brilon. Obwohl die Kripo bei ihm rund 1,5 Kilo Marihuana sicherstellte, kam ein 30-Jähriger in Brilon vor Gericht mit einem blauen Auge davon.
Mit Pferdemist reichte es nur für ein paar kümmerliche Strünke im Blumentopf. Der Bio-Dünger verlieh den Marihuana-Pflanzen auf der Terrasse dagegen ordentlich Schub. Fast drei Meter hoch schossen die Stängel in die Höhe. Das blieb irgendwann nicht unbemerkt.
Auf einmal stand die Kripo bei dem 30-jährigen vor der Tür und Aus war es mit dem Cannabis-Anbau. Die 10 Pflanzen und rund 1457 Gramm Marihuana brachten den Mann aus dem nördlichen Altkreis jetzt in Brilon vor Gericht. Angeklagt war ein Verbrechen, heraus kam eine Geldstrafe. Und das aus einem besonderen Grund.
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Richter: „Sehr untypischer Fall“
Wir haben es hier mit einem sehr untypischen Fall zu tun“, sagte Vorsitzender Richter Neumann. Denn der 30-Jährige hatte aus medizinischen Gründen zum Hanf gegriffen. Bei einem schon lange zurückliegenden Verkehrsunfall hatte er sich erhebliche Verletzungen an der Wirbelsäule zugezogen, mehrere Bandscheibenvorfälle folgten. Lange Zeit nahm er Cortison und in hohen Dosen starke Schmerzmittel bis hin zu Opiaten ein - mit üblen Nebenwirkungen. Als 2017 Cannabis in Deutschland in bestimmten Fällen als Medikament zugelassen wurde, kontaktierte er sämtliche Ärzte, die seinen Leidensweg kannten, um sich dieses alternative Schmerzmittel verschreiben zu lassen. Ohne Erfolg: „Alle waren sehr vorsichtig, keiner wollte das machen.“
Mit verschiedenen Sorten experimentiert
Also las er sich Knowhow an und begann auf eigene Faust „zu experimentieren, was funktioniert“. Dazu besorgte er sich in den Niederlanden die beiden gängigsten Cannabis-Sorten: die THC-reiche Sativa und die überwiegend CBD-haltige Indica - stimulierend die erste, eher beruhigend die zweite. Und der allabendliche Joint entfaltete die erhoffte Wirkung. Der Angeklagte konnte auf die starken Medikamente verzichten und sich gleichwohl „fast beschwerdefrei bewegen“ und seinen Beruf ausüben. Den Nachteil nahm er in Kauf: Für ein paar Stunden war er durch das Kiffen spätabends ein wenig durch den Wind.
Jetzt Cannabis auf Rezept
Mittlerweile erhält der 30-Jährige Cannabis auf Rezept. 0,4 Gramm hat ihm ein Arzt als tägliche Dosis verordnet, die Hanfblüten aus der Apotheke haben mit einem THC-Gehalt von 25 Prozent die dreifache Stärke seiner eigenen - laut Staatsanwalt Dr. Christian Theis - „eher unterdurchschnittlichen“ Zuchtversuche. Rund 350 Euro kostet ihn das im Monat, sagte der Angeklagte, aber: „Wir kämpfen gerade mit der Krankenkasse, damit die das übernimmt.“
Strafrechtliches Problem: die „nicht geringe Menge“
Dass der 30-Jährige die Pflanzen ausschließlich wegen seiner Schmerzen und für sich selbst gezogen hatte, betonte nicht nur sein Verteidiger, Frank Maczula aus Bestwig, sondern war in der Verhandlung auch Staatsanwalt Dr. Christian Theis klar geworden. Laut Gutachten des Landeskriminalamtes lag die in den 1457 Gramm Marihuana enthaltene TCH-Menge bei 126 Gramm - das ist fast das 18-fache jener 7,5 Gramm, aber der strafrechtlich nicht mehr von einer „nicht geringen Menge“ ausgegangen wird. Zumindest im Normalfall.
An Bundesgerichtshof orientiert
Laut Bundesgerichtshof, so Richter Neumann, können selbst deutliche Überschreitungen dieses Grenzwertes noch als minderschwerer Fall gelte. Den nahm auch der Staatsanwalt in diesem Fall an. Gleichwohl sah er keine Möglichkeit, es bei einer Geldstrafe zu belassen, und so plädierte er auf eine neunmonatige, angesichts des bisher völlig straffreien Vorlebens zur Bewährung auszusetzende Freiheitsstrafe sowie die Zahlung von 6000 Euro.
§ 47 Strafgesetzbuch
Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen
(1) Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen.
2) Droht das Gesetz keine Geldstrafe an und kommt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber nicht in Betracht, so verhängt das Gericht eine Geldstrafe, wenn nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach Absatz 1 unerlässlich ist. Droht das Gesetz ein erhöhtes Mindestmaß der Freiheitsstrafe an, so bestimmt sich das Mindestmaß der Geldstrafe in den Fällen des Satzes 1 nach dem Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe; dabei entsprechen dreißig Tagessätze einem Monat Freiheitsstrafe.
Für Verteidiger Maczula war eine Geldstrafe in der von der Anklageseite geforderten Höhe
ausreichend. Schließlich sei ein Teil des sichergestellten Pflanzenmaterials bereits angeschimmelt und nicht mehr genießbar gewesen.
Die Forderung des Staatsanwalts überbot das Schöffengericht allerdings und verurteilte den 30-Jährigen zu 120 Tagessätzen zu je 60 Euro. Das, so Richter Neumann, entspreche einer „angemessenen“ Haftstrafe von vier Monaten. Da Freiheitsstrafen unter sechs Monaten jedoch nur in Ausnahmefällen verhängt werden sollen, war die Umwandlung in eine Geldstrafe möglich.
Urteil noch nicht rechtskräftig
Richter Neumann betonte, dass der Angeklagte die Pflanzen glaubhaft ausschließlich für die eigenen medikamentöse Anwendung gezüchtet habe, es ihm nicht auf einen „Rausch-Tatbestand“ ankam, die Drogen nicht zum Verkauf bestimmt waren und deshalb von ihnen auch keine „abstrakte Gefahr“ ausgegangen sei. Deshalb, so der Richter, sei die Menge des sichergestellten Marihuanas auch nicht strafverschärfend.
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Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da Staatsanwalt Dr. Theis in der Sitzung noch keine Erklärung abgeben wollte.