Brilon. Frauke Müthing geht für die BBL ins Rennen um das Bürgermeisteramt in Brilon. Ihre Ansicht: „Frauen entscheiden anders.“

„Sie haben mich ja noch gar nicht gefragt, warum wir uns hier treffen?“ Stimmt. Zum Ende des Interviews dreht Frauke Müthing den Spieß um. Die WP hatte auch die Bürgermeister-Kandidatin der Briloner Bürgerliste gebeten, sich für das Gespräch einen Ort auszusuchen, mit dem sie etwas Besonderes verbindet. Gelandet sind wir in ihrem Garten.

Ein Ort, um die Seele baumeln zu lassen. Wasser plätschert in den von Schilfbüscheln umsäumten und Seerosen bedeckten Teich, rundum blüht und grünt es, unter einer ausladenden Trauerbirke lädt ein mit der Zeit hier in die Jahre gekommener Holzstuhl mit hoher Lehne zum Entspannen ein, überall zwischen den Beeten bepflanzte Tontöpfe und Garten-Deko aus Holz und Eisen. Schön hier.

Also: Die Frage nach der Platzwahl habe sich bei diesem Heimspiel damit doch erübrigt. Nein, sagt Frauke Müthing. Hübsch allein reiche nicht: „Hier kann ich gestalten.“ Und das sei es, was sie auch am Spitzenamt im Rathaus reize.

„Grottige“ Debattenkultur

Gartenarbeit könne man gut mit Politik vergleichen. Sie könne im Garten zwar gestalten, „aber nicht immer so, wie ich will“, denn: „Ich muss ständig Kompromisse eingehen, mit der Bodenbeschaffenheit, mit dem Wetter, mit den Standortbedingungen der Blumen - und mit meinem Mann.“ Das sei ein ständiges Ringen. Und davon sei in den vergangenen Jahren in der Kommunalpolitik nicht allzu viel zu spüren gewesen. Im Gegenteil: CDU und SPD hätten fast alles unter sich ausgemacht und kritische Fragen abgebügelt - Die Debattenkultur im Rat sei „grottig.“

Steckbrief

Name: Frauke Müthing

Alter: 52 Jahre

Familienstand: Verheiratet, zwei Kinder (17 und 20)

Beruf: Ausbildung als Biologisch-Technische Assistentin und Arzthelferin, der Kinder wegen ein Lehramtsstudium abgebrochen, seit 13 Jahren beim Sozialwerk für Bildung und Jugend in Olsberg, einem Träger der Kinder- und Jugendhilfe tätig (Bereich Individualpädagogik und Koordination von Schulbegleitern).

Freizeit: Radfahren, Wandern, Lesen, Kochen und Garten.

Dabei geht es in den Gremien, in denen sie selbst bereits mitwirkt, dem Struktur- sowie dem Schulausschuss, ja noch zivilisiert zu. Da hatte sie mit den Reizthemen Krankenhaus und Stadtwerke nicht zu tun. „Da müssen wir Ruhe reinkriegen“, sagt sie. Manches sei aus dem Ruder gelaufen.

„Mit uns wird Brilon bunt“ hat sich die Briloner Bürgerliste passend zu den gärtnerischen Ambitionen ihrer Bürgermeister-Kandidatin als Slogan für diese Wahl ausgesucht. Wohlgemerkt bunt, nicht nur grün. Obwohl das die Richtung ist, in die sie schon seit recht lange „politisch unterwegs“ sei. Da Bündnis 90/Grüne in Brilon aber bis vor einem Jahr keine Basis hatte, sei sie bei der Bürgerliste gelandet. Dabei habe sie, die sie aus Wülfte stammt, besonders das ‘Brilon’ angesprochen. Sie möchte die Stadt mitgestalten, ohne von übergeordneten Parteiverbänden oder Fraktionsräson abhängig zu sein. Da „war und ist“ die BBL ihren Mitgliedern gegenüber sehr liberal - „Ich muss mich nicht verbiegen.“

Zur Nagelprobe ist es schon gekommen. In ihrem Wahlprogramm betont die BBL zur künftigen B7n, dass für sie die sog.V1-Trasse von Altenbüren durch das Aatal nach Brilon aus Natur- und Tierschutzgründen „nicht in Frage“ komme, und diese Linienführung zudem verkehrstechnisch suboptimal sei.

Klimaschutz vorantreiben

Frauke Müthing dagegen könnte mit dieser Trasse „gut leben“ - „Wenn wir den Raubwürger dort weg bekommen“. Aus einem einfachen Grund: die alternativen Trassen, bei denen die derzeitige Umgehungsstraße auf drei Spuren ausgebaut und dann über den Knippenberg hinter Mercedes Witteler her auf die Möhnestraße geführt würde, verliefe bei ihren Nachbarn „durch den Garten“. Aber die Gesetzeslage sei nun mal so, dass der Tierschutz Vorrang habe.

Das „letzte Wort“ sieht Frauke Müthing noch nicht gesprochen. Vielleicht könne man „noch mal jemanden losschicken“, der Raubwürger und Neuntöter zählt. Wenn diese beiden so empfindlich seien, dass sie „nur dort überleben können und nicht ein paar Meter weiter“, stelle sie sich die Frage, wie es um ihr Habitat bestellt sein wird, wenn der Wald einmal weg ist. Der Borkenkäfer breitet sich auch auch mehr und mehr am Windsberg und Gretenberg aus.

Dass der Lückenschluss für die Wirtschaft wichtig ist, sei keine Frage. Überhaupt: „Man kann ja nicht gegen Wirtschaft sein.“ Denn die Gewerbe- und Einkommenssteuer „bringt das Geld, mit dem wir Brilon lebenswert gestalten können“.

Zu einer lebenswerten Stadt gehört auch ein lebenswertes landschaftliches Umfeld. Wie sieht es mit der Windkraft aus? Das sei, sagt Frauke Müthing, „die beste Möglichkeit, viel Watt zu erzielen, ohne viel Raum zu bebauen.“ Deutschland trage - wie die anderen „Vorreiter der Industrialisierung“ beim Klimaschutz eine „historische Verantwortung“: „Wir haben schon genug CO2 in die Luft geblasen.“ Sie wolle nicht „auf Deubel komm raus“ Windräder bauen: „Aber was sind hier die Alternativen?“ Das Schwierige an der Klimaschutzdiskussion sei, dass die Folgen „nicht unmittelbar uns, sondern erst der nächsten Generation zu Gute kommen.“

Quartiersentwicklung und „3. Orte“

Was nicht nur unmittelbar der nächsten Generation zu Gute kommt, sondern allen, sei Bildung und Bildungspolitik - „mein Steckenpferd“, sagt die Bürgermeisterkandidat. Und damit sei nicht nur auf den Bereich Schule beschränkt, „Bildung“, sagt die 52-Jährige „ist ein weitgefasster Begriff. Bildung ist alles“.

Das andere Thema, „für das mich die Leute kennen“, ist Inklusion und Partizipation. Auch hier will sie den Begriff nicht auf Menschen mit sichtbaren Behinderung reduzieren, sondern alle einladen „mit ihrer Persönlichkeit das gesellschaftlichen Leben mitzugestalten und an ihm teilzuhaben.“

„Frauen entscheiden anders“

Deshalb möchte sie das Quartiersmanagement vorantreiben und sogenannte „Dritte Orte“ einrichten. Dieser Begriff aus der Soziologie beschreibt Gemeinschaftseinrichtungen, die einen Ausgleich zu Familie und Beruf bieten. In diesem „Stadtteilhaus“ - konkret kann sich Frauke Müthing das etwa am Itzelstein, dieser „Art Trabantenstadt“, vorstellen - finde Vernetzung und Begegnung von Alt und Jung statt, dort könne jeder Unterstützung suchen und finden und das, was Frauke Müthing auch mit ihrem Bildungsbegriff umreißt, und zwar „auf ganz kleinem Niveau“. Die Stadt brauche nur den Raum zur Verfügung zu stellen, den Rest sollen die Nutzer selbst regeln. Frauke Müthing: „Wenn ich das von oben mache, wird es nicht angenommen.“

Das nimmt sie auch für den angepeilten Spitzenjob im Rathaus für sich in Anspruch: „Frauen entscheiden anders.“ Und die „Verortung bei der BBL“ bringe mit, dass sie „über keine Seilschaften verfügt, die meinen, bedient werden zu müssen.“

Frauke Müthing zum WP-Heimatcheck

Teilhabe: Dass bei der Befragung zum Heimatcheck fast doppelt so viele Bürger*innen in Brilon mitgemacht haben wie in den anderen Städten des Altkreises zeigt mir, dass die Möglichkeit zur Teilhabe ein großes Bedürfnis der hiesigen Bevölkerung ist.

Quartiers-Entwicklung: Das Schlagwort sollte nicht nur barrierefreies Bauen beinhalten, sondern auch den Fokus auf Begegnung, Kreativität, Umwelt und Mitgestaltung des öffentlichen Raums legen. Wobei ich als Bürgermeisterin jedes Dorf als eigenes Quartier betrachten und die jeweiligen Stärken ausbauen würde.

Kinderfreundlichkeit: Dass wir ein gutes Freizeitangebot, alle Schulformen und viele Kitas vorhalten ist unbestritten. Doch bedeutet Kinderfreundlichkeit mehr als das, unter anderem barrierefreie Zugänge für Mütter und Väter mit Kinderwagen, städtische Kitas in der Kernstadt, Treffpunkte zur Vernetzung junger Familien zur Freizeitgestaltung, für modernes Arbeiten und in Betreuungsfragen. Des Weiteren brauchen wir mehr flexible Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter. Ein städtisches Jugendamt steht immer noch ganz oben auf meiner Wunschliste, denn es würde uns nicht nur ca. zwei Millionen Euro im Jahr einsparen.

Gemeinschaftsgefühl: In Brilon ist das Gemeinschaftsgefühl gut. Die Dorfgemeinschaften sind da an erster Stelle zu nennen. Viele engagieren sich ehrenamtlich, gemeinsam haben wir die Flüchtlingskrise in unserer Stadt sehr gut gemeistert, im Zuge der Hansetage ging ein spürbares Kribbeln durch die Bevölkerung für einen Aufbruch zum gemeinsamen Handeln von der Basis aus. Leider sind die Gruppen jäh durch Corona ausgebremst worden. Als Bürgermeisterin möchte ich diese Begeisterung gerne aufnehmen und Möglichkeiten schaffen, diese Energie für gesellschaftspolitische Prozesse zu nutzen.

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Vandalismus: Unter anderem ist das Plakatieren im Wahlkampf, Ausstellen von Kunstwerken und sonstige Darstellungen von Meinungen, soweit sie nicht beleidigen oder sogar zur Gewalt aufrufen, Teil der freien Meinungsäußerung und gehören zu den demokratischen Grundrechten. Deshalb finde ich es sehr bedauerlich, dass einige ihrer Zerstörungswut freien Lauf lassen.