Oberschledorn. Krevet lebte immer in Oberschledorn, Abbes ist neu. Krevet ist tief gläubig, Abbes nicht. Sie werden Nachbarn. Aber können sie sich verstehen?
Treffen sich ein Bauer und ein Philosoph. So könnte ein Witz anfangen – oder die Geschichte eines Buches.
Am Anfang stehen die beiden Autoren. Der eine verdankt seinen urwüchsige Logik mehr dem Sauerländer Bauernhof als der Schule. Der andere hat in den Niederlanden Geschichte, Jura, Religions- und Wissenschaftsphilosophie studiert, promoviert, als Lehrer gearbeitet.
Im fortgeschrittenen Alter werden beide Nachbarn. Sie stellen fest, wie sehr sich ihre Weltsicht unterscheidet. Doch anstatt sich aus dem Weg zu gehen, reden sie miteinander und entdecken, dass sie zwar nicht dieselben Antworten, aber oft dieselben Fragen ans Leben haben. „Das fing vor rund einem Jahr an. Ich war am Jäten und wir unterhielten uns über den Gartenzaun, was Unkraut ist und ob es überhaupt Unkraut gibt“, erzählt Johann Krevet. Er ist der Bauer.
Sein Nachbar Jochem Klaas Abbes ist der Studierte. „Ich fand die Zusammenarbeit spannend wegen der Kontraste“, sagt er. „Johann ist ein einfacher Mann, der aber viel nachdenkt.“
Abbes war es dann, der die Idee mit dem gemeinsamen Buch hatte. Krevet schreibt zwar gern, war aber skeptisch. „Vielleicht schaffen wir 60 Seiten, dachte ich am Anfang.“ Es sind gut 160 geworden, die inzwischen erschienen sind und den Titel tragen „Eine kleine Philosophie des platten Landes. Ein Dialog.“
Religion hat beide unterschiedlich geprägt
Abbes lieferte die Themen, Krevet schrieb seine Gedanken dazu auf, Abbes wiederum ergänzte sie um seine Sichtweise. „Mit seinen Fragen hat er mich dazu gebracht, über manches zum ersten Mal nachzudenken“, räumt der Landwirt im Ruhestand ein.
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Dass beide immer wieder über Religion diskutieren, liegt daran, dass sie beider Leben geprägt und begleitet hat – wenn auch sehr unterschiedlich.
Johann Krevet hat die Volksfrömmigkeit seiner Heimat übernommen und sich bis ins Alter einen beinahe kindlichen Glauben bewahrt.
Der fast gleichaltrige Jochem Klaas Abbes hingegen wächst in einer unterdrückenden Frömmigkeit auf und erfährt früh, „dass man mit der Bibel in der Hand fast alles behaupten konnte – wobei offenbar nichts töricht genug war.“
Das lässt ihn skeptisch werden. „Das Studium hat mich überzeugt, dass jede Generation das Recht hat, ihre eigene Wahrheit über Gott zu suchen und zu formulieren“, schreibt er in dem Buch.
Kleiner Verlag
Das Buch „Eine kleine Philosophie des platten Landes – Gedanken eines Bauern und eines Philosophen im Sauerland. Ein Dialog“ ist im eigens gegründeten Krevab-Verlag (steht für: Krevet und Abbes) erschienen. Die ersten 60 Exemplare wurden im Ort verkauft, nachgedruckt wird auf Anfrage.
Beide zusammen denken nach: über den Teufel, das Leben nach dem Tod, wo der Himmel ist und wie die Seele dahin reist, wenn überhaupt. Über die Art, wie man im urkatholischen Oberschledorn zum Telefonhörer greift, wenn einer das Grab der Vorfahren nicht pflegt und deshalb Unkrautsamen aufs Nachbargrab wehen. Krevet ist derlei vertraut, der zugezogene Abbes kann sich oft nur wundern.
Wer das Buch liest, muss beides mögen: die hochfliegenden Gedanken des Philosophen, der Wörter wie „deuterokanonisch“ verwendet und Quellen so korrekt mit Fußnoten versieht, als schriebe er eine Diplomarbeit. Und den weitaus robusteren Stil des Landwirts, der nie woanders gewohnt hat als in Oberschledorn.
Wobei auch dort viel los war – und das nicht nur, als in Sichtweite von Krevets Hof die sogenannten Sauerland-Terroristen aufflogen. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft, eine schwere Krankheit, der Tod der Ehefrau, das Leben als alleinerziehender Vater der drei jüngsten von sechs Kindern – Krevet hat all das überstanden. Er ist sich sicher, dass sein unerschütterliches Gottvertrauen dabei geholfen hat.
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Dass er seinen hoch gebildeten Nachbarn inzwischen vom lieben Gott überzeugt habe, erzählt Krevet mit einem Augenzwinkern. Abbes bleibt zurückhaltender. „Als Religionsphilosoph bin ich nicht kirchlich gebunden, habe aber sehr viel gelesen und nachgedacht. Ich finde es schön und interessant, wenn jemand so glauben kann wie Johann. Ich kann das weniger. Aber unsere Zusammenarbeit hat gut funktioniert.“