Brilon. Corinna Spaniol arbeitet auf der Isolierstation am Krankenhaus Brilon. Corona ist ihr Alltag. Ein Porträt über Sorgen, Ängste und ganz viel Mut.
Jeden Tag zieht Corinna Spaniol ihre Schutzkleidung an. Sie streift den Kittel über. Versteckt die blonden Haare unter einer Haarhaube. Zieht eine FFP-Maske über den Mund und eine Schutzbrille über die Augen. Legt Einmal-Handschuhe an. Dann öffnet sie die Tür zum Patientenzimmer. Dahinter: Menschen, die mit Corona infiziert sind. Corinna Spaniol (26) ist Stationsleiterin der Inneren Medizin im Krankenhaus Maria-Hilf in Brilon – und zuständig für die Isolierstation, wo die Patienten mit COVID-19 behandelt werden.
Isolierstation komplett vom Rest des Krankenhauses abgeschottet
„Am Anfang, als das Virus nur in China existiert hat, da war das so weit weg für uns alle. Und dann kam es immer ein Stück näher bis es auch die ersten Fälle hier gab. Ich glaube, da hat man erst realisiert, wie ernst die Lage ist“, sagt Corinna Spaniol. Seitdem es im Briloner Krankenhaus die ersten Fälle gibt, ist ihre Arbeit intensiver geworden. Anders. „Wir müssen uns sehr intensiv schützen. Vor jedem einzelnen Zimmer ziehen wir uns neue Schutzkleidung an. Das ist sehr zeitaufwändig“, erzählt sie von ihrem Alltag.
Die Isolierstation, auf der sie arbeitet, ist komplett vom Rest des Krankenhauses abgeschottet. „Weiter weg vom Schuss“, sagt sie. Jeder, der dort arbeitet, kommt durch einen separaten Eingang. Den, den auch die Patienten nehmen, wenn sie aufgenommen werden. Er führt hinter dem Krankenhaus her, zwischen Hecken und den Fenstern zu den Isolierzimmern.
Team besteht aus vielen jungen Menschen
Ihr Team besteht aus vielen jungen Menschen. „Es ist ein sehr gutes Team, das sich gegenseitig unterstützt. Ich bin froh, so ein Team zu haben. Das macht es leichter, diese Situation emotional zu verarbeiten“, sagt sie. Kein Tag ist gleich und doch ist jeder Tag durchgetaktet. Um sechs Uhr findet die Übergabe vom Nachtdienst an die Frühschicht statt. Dann werden bei jedem Patienten die Vitalzeichen gemessen. Frühstück gebracht. Danach kommt der Arzt zur Visite. Falls Untersuchungen nötig sind, finden diese über den Tag verteilt statt. Um ein Uhr kommen die nächsten Kollegen zur Schichtübergabe. Kaffee und Kuchen für die Patienten. „Das sind feste Punkte, die wir einhalten“, sagt Corinna Spaniol.
Tage am Limit in der Corona-Krise
Dann gibt es auch die anderen Tage. Tage am Limit. Wenn ganz viel auf einmal passiert. „Da kommen fünf bis zehn Patienten auf einmal in die Station, die aufgenommen oder behandelt werden müssen. Zeitgleich geht es anderen Patienten akut schlecht. Das sind Tage, die so nicht vorhersehbar sind“, schildert Corinna Spaniol. Diese Tage gibt es nicht erst seit Corona. Diese Tage kennt Corinna Spaniol schon seit Jahren. „Es ist wichtig, dann auch drei Minuten durchzuatmen. Diese Pause ermöglicht das Team einem sofort. Um neuen Mut zu fassen und wieder an die Sache dran zu gehen.“Sie hat die verschiedenen Verläufe von Corona mitangesehen. Miterlebt, wie es manchen schlechter und immer schlechter ging. Hat auch gesehen, wie viele schnell wieder nach Hause gehen konnten. „Wenn ich die Tür zu einem Patientenzimmer aufmache, weiß ich nie, was mich dahinter erwartet“, sagt sie. Fast immer ist es allerdings Angst. „Viele der Erkrankten sind sehr sehr ängstlich. Sie fragen sich, was wir mit ihnen machen. Das bedeutet für uns noch mehr Aufwand, den wir emotional schenken müssen.“
Fünf Minuten, um Patienten Mut zu schenken
Sie meint damit Gespräche, die sie führt, um den Menschen ihre Ängste zu nehmen. Fünf Minuten nur, in denen sie versucht, Mut zu schenken und Ungewissheit zu nehmen.Sie wünscht sich mehr Zeit. Mehr Personal, um kein schlechtes Gewissen wegen all der Aufgaben zu haben, die sie eigentlich in diesen fünf Minuten erledigen muss. Es ist manchmal schwer für sie, alles unter einen Hut zu kriegen. Patienten zu ermutigen, Ängste und Sorgen zu nehmen. Die meisten Patienten seien kooperativ, sagt Corinna Spaniol. Manche allerdings würden die Situation nicht ernst nehmen. Besonders diejenigen, die nicht schwer erkrankt seien.
Wenn Isolier-Patienten das Zimmer verlassen
„Manche Patienten haben schon ihre Zimmer verlassen, obwohl sie das auf keinen Fall dürfen. Mit diesem Verhalten gefährden sie uns. Das Team. Das macht mich sauer.“Corinna Spaniol verfolgt die Bilder aus Italien. Aus Spanien. Sie machen ihr Angst. Trotz der Vorbereitungen, die die Klinik getroffen hat. Trotz der Hygieneschulungen, der Beatmungsschulungen – alles zur Auffrischung. „Wir wurden viel vorbereitet und haben die Situation durchgesprochen. Theoretisch ist das gut – praktisch ist jeder Mensch und jede Situation anders“, sagt sie. Die Situation ist belastend. „Weil man nicht weiß, wann die Situation vorbei ist. Wie lange das Virus zu unserem Alltag gehören wird.“
Systemrelevant – das waren die Mitarbeiter schon immer
Sie freut sich über die Wertschätzung der Menschen. Gerade jetzt. Sie sagt aber auch, dass ihr Team das, was es jetzt leistet, täglich leistet. „Schwer kranke Menschen sind unsere tägliche Arbeit. Jeden, jeden, jeden Tag. Ostern, Weihnachten, jeden freien Tag, wenn andere Zuhause sind. Dann sind wir hier. Jetzt gerade sind wir Systemrelevant. Das ist sonst auch so und es bedrückt mich, wenn ich daran denke, dass das in anderen Zeiten nicht wahrgenommen wird.“ Trotzdem macht sie ihren Job mit Leidenschaft. „Der Weg hier heraus ist leicht. Jeder der hier ist, ist hier, um anderen zu helfen“, sagt sie.
Komplett abschalten ist schwer
Wenn sie das Krankenzimmer eines Patienten verlässt, streift sie Kittel, Haube, Maske und Handschuhe ab. Wirft sie in den Abwurfbehälter in der Schleuse vor jedem Isolierzimmer, schließt den Deckel und die Tür hinter sich und macht die Übergabe, bevor sie das Krankenhaus wieder verlässt. In den Feierabend, wo sie versucht, sich in ihrem Garten abzulenken. „Wir schützen uns, wir wissen, dass uns nichts passieren kann. Aber wenn ich heim gehe, dann denke ich darüber nach, ob ich infiziert bin. Komplett abschalten, das ist schwer.“