Hochsauerlandkreis/Marsberg. Dr. Stefan Bender ist Ärztlicher Direktor der LWL-Klinik Marsberg. Er spricht über psychische Folgen der Coronakrise und Wege aus der Angstfalle.

Soziale Isolation, Konflikte in der Familie, Existenzsorgen und finanzielle Probleme: Selbst gesunde Menschen stellt die aktuelle Situation in der

Corona

-Krise vor große Herausforderungen. Die Westfalenpost hat mit dem Ärztlichen Direktor der LWL-Kliniken Marsberg (Hochsauerlandkreis), Privatdozent Dr. Stefan Bender, ein Interview geführt über Ängste in Zeiten des Coronavirus, persönliche Krisensituationen und über Strategien aus der Angst- und Einsamkeitsfalle wieder hinaus zu finden.

Merken Sie, dass zurzeit mehr Menschen psychologische Hilfe benötigen?

Der Ärztliche Direktor der LWL-Kliniken Marsberg, PD Dr. Stefan Bender. 
Der Ärztliche Direktor der LWL-Kliniken Marsberg, PD Dr. Stefan Bender.  © LWL | LWL


Dr. Stefan Bender: Zurzeit erleben wir noch nicht, dass sich Menschen insgesamt mehr als sonst auf der Suche nach Unterstützung an uns wenden. Wir gehen aber davon aus, dass der Bedarf groß ist und die Nachfrage nach psychologischer Hilfe aufgrund der aktuellen Krise im weiteren Verlauf noch deutlich zunehmen wird.

Wie wirkt sich eine solche Krisensituation auf die Menschen aus?

Wir alle sind in der momentanen Krise mit Einschränkungen der individuellen Freiheit und zugleich auch mit verschiedensten persönlichen Sorgen und Ängsten konfrontiert. Es gibt tatsächlich einige wenige Menschen, die in der augenblicklichen Situation die Entschleunigung und die Ruhe sogar genießen. Die allermeisten von uns aber machen sich Sorgen um ihre Gesundheit und die der Angehörigen und auch um ihre wirtschaftliche Situation. Angstauslösend ist auch die Ungewissheit, wie es weitergeht, und das Gefühl, auf das, was auf uns zukommt, keinen Einfluss zu haben. Ein solches Gefühl des Kontrollverlustes weckt in uns oft Ängste oder verstärkt Ängste, die ohnehin schon da sind.

Wie kann man mit solchen Ängsten umgehen?

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Es gibt für die Angstbewältigung kein Patentrezept. Eine Möglichkeit ist sicherlich, sich nur in Maßen und nur über seriöse Quellen über die augenblickliche Lage zu informieren und so weit wie möglich zu versuchen, zwischen begründeten, realistischen Ängsten und unrealistischen Befürchtungen zu unterscheiden. Denn Menschen reagieren auf beunruhigende Nachrichten oft mit übermäßiger Angst und Panik. Dabei lassen sie sich häufig von katastrophisierenden Phantasien und Befürchtungen leiten. Sie hören auf, Faktenwissen einzuholen, und können oft nicht mehr sehen, dass sie Angst vor Szenarien haben, die sie selbst in Gedanken entworfen haben. Konkret bedeutet dies zum Beispiel, die Flut an Informationen zur Coronapandemie zu begrenzen, indem man sich nur ein- oder zweimal täglich mit neuen Informationen aus seriösen Quellen beschäftigt – seriöse Zeitungen oder Nachrichtensendungen oder seriöse Quellen im Internet wie z.B. die Webseite des Robert-Koch-Instituts. Darüber hinaus ist es wichtig, das Gefühl der Kontrolle zu behalten oder zurückzugewinnen.

Wie kann man das schaffen?

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Hierfür hilft es, eine Form der aktiven Bewältigung der schwierigen Lebenssituation zu finden statt eine passive Haltung einzunehmen und in ein hilfloses Abwarten zu verfallen. Es ist gut, wenn man seinen Blick auf die Lebensbereiche richtet, die man selbst beeinflussen und aktiv gestalten kann. Wie kann ich meinen Tag gestalten, was kann ich für meine Gesundheit tun (gesunde Ernährung, Bewegung so gut wie möglich), welchen Hobbies kann ich in der gegenwärtigen Lage nachgehen? Sicherlich gibt es eine ganze Reihe von Dingen, die ich schon ganz lange einmal erledigen wollte, zu denen ich aber nie gekommen bin. Hierfür kann ich jetzt die Zeit nutzen.

Wie problematisch ist es, wenn jetzt Menschen mit ihren Sorgen und Nöten allein gelassen sind, wenn Tagesstrukturen wegbrechen, die Familie auf engem Raum klarkommen muss und Menschen Angst um die Existenz haben?

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Wichtig ist mir zunächst, deutlich zu machen, dass Angst eine in einer Situation wie der aktuellen Krise normale Reaktion auf die äußeren Gegebenheiten darstellt und in den allermeisten Fällen kein Ausdruck einer psychischen Störung und nicht behandlungsbedürftig ist. Natürlich gibt es Menschen mit einer psychischen Erkrankung, die jetzt besonders stark und mehr als andere unter Ängsten leiden. Aber viele unserer Patientinnen und Patienten reagieren auf die aktuelle Krise auch nicht anders als psychisch Gesunde. Auch wenn ich vermehrt Ängste erlebe oder Probleme mit dem Alleinsein habe, werde ich also nicht zwangsläufig psychisch krank. Aber auch ohne psychisch zu erkranken kann es sinnvoll sein, sich frühzeitig Unterstützung zu suchen. Die allermeisten Menschen verfügen über zahlreiche Ressourcen, um im Leben unterschiedliche Krisen zu bewältigen. Wir sprechen hier auch von so genannten Schutzfaktoren.

Was können solche Schutzfaktoren sein?

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Soziale Kontakte sind einer der wichtigsten Schutzfaktoren, die uns zur Verfügung stehen. Deshalb sollte ich mir überlegen, wie ich am besten in Kontakt zu anderen bleiben kann. Wie kann ich meine sozialen Kontakte jetzt auf andere Art und Weise als sonst, also z.B. per Telefon oder auch per Videokontakt oder gar mit einem Brief, aufrechterhalten und vielleicht sogar neu aufleben lassen? Wen wollte ich schon lange anrufen, habe es aber bisher nie geschafft? Es ist hilfreich, Ängste und Sorgen mit anderen Menschen zu teilen, statt alles mit sich alleine auszumachen. Dabei sollte man aber darauf achten, dass man sich besonders an solche Menschen wendet, die einem guttun. Schwierig ist natürlich, dass wir im Moment einige unserer Ressourcen und Entlastungsstrategien nicht nutzen können, z.B. weil wir bestimmten Hobbys nicht nachgehen können, weil Einrichtungen geschlossen sind oder Gruppenaktivitäten ausfallen.

Wo sehen Sie besondere Probleme?

Besonders in beengten Wohnverhältnissen kann es zu angespannten Situationen zwischen Lebenspartnern oder Eltern und Kindern kommen. Hier kann es hilfreich sein, sich persönliche Freiräume zu schaffen, z.B. dadurch, dass man feste „Auszeiten“ vereinbart, innerhalb derer man Zeit für sich ganz alleine in Anspruch nehmen kann, um sich danach wieder besser auf die Bedürfnisse des Gegenübers einstellen zu können. Und gerade in beengten Lebenssituationen ist es besonders wichtig, eine regelmäßige Tagesstruktur aufrechtzuerhalten - z.B. jeden Tag zur gleichen Zeit aufstehen, um Schlafstörungen entgegenzuwirken, sich „richtig“ anziehen, Mahlzeiten regelmäßig und möglichst zusammen einnehmen, feste Termine wie z.B. Telefonate mit Freunden vereinbaren und positive Aktivitäten planen. Bei sehr angespannten Verhältnissen, in denen Konflikte jedoch nicht gelöst werden können und es ggf. auch zu körperlicher Gewalt kommt, sollte man umgehend professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen.

Wohin kann man sich wenden, wenn man selbst bzw. ein Freund oder Angehöriger psychologische Hilfe braucht?

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Krankenhäuser, Ambulanzen und niedergelassene Ärzte bieten auch in der aktuellen Krise Hilfe an. Das gilt auch für unsere Institutsambulanzen und Kliniken, an die man sich in psychiatrischen Notfällen jederzeit wenden kann. Gerade in einer Zeit, in der wir Kontakte so weit wie möglich vermeiden sollten, bieten sich Beratungsangebote per Telefon oder im Internet besonders an. Da gibt es z.B. die Corona-Hotline des Gesundheitsamtes des Hochsauerlandkreises, mit der wir mit unserer erwachsenenpsychiatrischen Klinik eng zusammenarbeiten. Unsere kinder- und jugendpsychiatrische Klinik bietet ein eigenes telefonisches Beratungs- und Betreuungsangebot an. Darüber hinaus kann ich auch die TelefonSeelsorge, das Kinder- und Jugendtelefon und das Elterntelefon „NummergegenKummer“, das Hilfs- und Kontaktangebot „Silbernetz“ für ältere Menschen, das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, die psychologische Telefon- und Videoberatung des Internetangebotes „HelloBetter“ sowie das Online-Angebot „Angst ist eine Chance“ der Deutschen Angst-Hilfe e.V. empfehlen.

Welche Einschränkungen gibt es am LWL-Standort in Marsberg durch die Corona-Krise?

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Alle fünf psychiatrischen LWL-Einrichtungen in Marsberg - die Klinik für Erwachsene, die Klinik für Kinder und Jugendliche, das Therapiezentrum, das Pflegezentrum und der Wohnverbund – sind betroffen und haben ein gemeinsames Krisenmanagement-Team gebildet, um Strategien zum Umgang mit der aktuellen Krise festzulegen und sich im Notfall gegenseitig auch mit Personal zu unterstützen. Besonderen Wert legen wir dabei auf die Versorgung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der erforderlichen persönlichen Schutzausrüstung, wobei Maßnahmen abgesprochen wurden, möglichst sparsam damit umzugehen. Wir sind in den Ambulanzen der Kliniken für Erwachsene und Kinder und Jugendliche weiter für unsere ambulanten Patienten da und versuchen momentan, viel über Telefonkontakte abzudecken. Und natürlich werden Patienten in dringenden Fällen, also insbesondere bei psychiatrischen Notfällen, weiterhin stationär behandelt bzw. jederzeit aufgenommen. Allerdings müssen Behandlungen, die nicht sofort und unbedingt erforderlich sind, so gut wie möglich auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Die Tageskliniken haben wir unter den gegenwärtigen Bedingungen vorübergehend geschlossen. Denn wir mussten in allen unseren Einrichtungen Räumlichkeiten freiziehen, um im Notfall Patienten bzw. Nutzer, bei denen eine Coronavirusinfektion nachgewiesen wird, auf einer Isolierstation, und solche, die engen Kontakt zu COVID-19-Kranken hatten, auf einer Quarantänestation behandeln bzw. unterbringen zu können.

Wie gehen Angehörige und Patienten damit um?

Bis jetzt reagieren unsere Patienten und Nutzer und Angehörige sehr verständnisvoll auf die aktuelle Situation und die damit einhergehenden Einschränkungen und Belastungen. Viele von Ihnen unterstützen uns in unserer Arbeit und unseren Bemühungen, mit der Situation angemessen umzugehen. Vielleicht spielt dabei eine Rolle, dass wir Wert darauf legen, die erforderlichen Maßnahmen möglichst nachvollziehbar und transparent zu kommunizieren.

Haben Sie auch mit Blick auf die Mitarbeiter Veränderungen vorgenommen?

Wir müssen sicherstellen, dass wir auch noch arbeitsfähig bleiben, wenn ein Teil unserer Mitarbeiter erkrankt oder unter Quarantäne gestellt wird. Dafür haben wir verschiedene Behandlungsteams gebildet, die möglichst keinen Kontakt zueinander haben und sich so untereinander nicht anstecken können. Um eine Virusübertragung so gut wie möglich zu vermeiden und insbesondere unsere älteren und körperlich vorerkrankten Patienten und Nutzer zu schützen, gibt es einerseits ein generelles Besuchsverbot und andererseits eine erhebliche Ausgangsbeschränkung, wovon nur in besonderen Ausnahmefällen abgewichen werden kann.


LWL-Klinik Marsberg für Erwachsene (auch Ambulanz): 02992-601-1000; LWL-Klinik Marsberg für Kinder- und Jugendliche (auch Ambulanz): 02992-601-4000