Marsberg. Unfallflucht ist eine Straftat. Kraftfahrer dürfen nicht einfach davon fahren, wenn sie einen Unfall verursacht haben. Strafen drohen.
Oftmals und gerne wird es von den Verursachen bagatellisiert. Aber: sich unerlaubt vom Unfallort zu entfernen, ist kein Kavaliersdelikt. Wer nach einem Unfall wegfährt, ohne den Schaden zu melden, begeht eine Unfallflucht, im Volksmund auch Fahrerflucht genannt. Und das ist eine Straftat, die mit Geldstrafe, Punkten, Fahrverbot oder sogar Führerscheinentzug geahndet wird.
1675 Mal nach Unfall das Weite gesucht
Laut Verkehrsunfallstatistik haben sich in 2018 im Hochsauerlandkreis 1.675 Mal Unfallverursacher aus dem Staub gemacht. Bei 64 Fällen kam es zu verletzten Personen.
Auch vor dem Amtsgericht in Marsberg bemühten sich am Dienstagmorgen Richter Eberhard Fisch und die Amtsanwältin um Aufklärung einer Unfallflucht. Es gestaltete sich schwierig. Auf der Anklagebank saß ein 28-jähriger Syrer. Seit 2015 ist er in Deutschland, spricht leidlich deutsch. Ein Dolmetscher saß ihm zur Seite. Auf einen Verteidiger hatte er verzichtet. Die Staatsanwaltschaft Arnsberg warf ihm vor, am 9. Oktober, gegen 10 Uhr mit seinem Auslieferungswagen einen Gartenzaun schwer demoliert zu haben und sich dann unerlaubt vom Unfallort entfernt zu haben. Zu dem Zeitpunkt war der Angeklagte bei einem Paketzustelldienst beschäftigt und lebte in Bad Arolsen. Inzwischen ist er arbeitslos und hat seinen Wohnort gewechselt.
Lauten Knall gehört
Der Mieter der Wohnung war als Zeuge geladen. „Ich war in meiner Wohnung und hörte einen lauten Knall“, sagte er im Zeugenstand aus. Der Beifahrer sei ausgestiegen, habe gegen den Bulli getreten, sei wieder eingestiegen und der Bulli sei weggefahren. Er habe Fahrzeug mit Nummernschild fotografieren können. Noch zweimal sei der Bulli vorbeigefahren.
„Das ist eine Unverschämtheit, einfach wegzufahren, ohne sich zu melden“, entrüstet sich der Vermieter im Zeugenstand. Der Zaun war erst vier Wochen alt. Er hatte den Vorfall der Polizei gemeldet. Die konnte aufgrund des Fotos den Autohalter ermitteln und hatte sich bei ihm nach dem Fahrer des Bullis an dem besagten Tag erkundigt. Die Firma hatte den Namen den Angeklagten genannt.
Holger Glaremin: Unfallflucht ist unfair
Drei Fragen an den Sprecher der Kreispolizeibehörde, Holger Glaremin: Exakt 1.675 Unfallfluchten in 2018 sprechen eine eindeutige Sprache. Wieso hauen so viel Unfallverursacher einfach ab?
Die Motivation der Flüchtigen ist vielfältig. Angst vor Strafe, Vermeidung von Unannehmlichkeiten, Alkohol-/Drogenkonsum oder der Verlust des Schadenfreiheitsrabattes sind wohl die am häufigsten vorkommenden Motive. Auch der Kreis der geflüchteten Unfallbeteiligten ist nicht bestimmbar. Die polizeilichen Erfahrungen zeigen, dass sich das Phänomen der Unfallfluchten durch alle gesellschaftlichen Schichten zieht.
Wie viele Fälle können überhaupt aufgeklärt werden?
In den meisten Fällen fällt die Unfallflucht erst auf, wenn der Geschädigte zurück zu seinem Auto kommt. Für die Polizei bedeutet das: Es gibt nur wenige bis gar keine Ermittlungsansätze. Eine Aufklärungsquote von knapp 45 Prozent in 2018 weist auf die schwierige Arbeit der Ermittler hin. Anders sieht die Aufklärungsquote bei Unfallfluchten aus, bei denen Menschen verletzt wurden. Bei 64 dieser Fluchten ermittelte die Polizei 2018 insgesamt 38 Täter. Das entspricht in puncto Aufklärungsquote immerhin einem Wert von etwa 60 Prozent.
Wenn ich eine Unfallflucht mitbekomme, was soll ich tun?
Sofort der Polizei melden. Zeugen geben häufig den entscheidenden Tipp. Deshalb appelliert die Polizei auch mit der Kampagne „Unfallflucht ist unfair“ an alle Bürgerinnen und Bürger: „Sie haben eine Unfallflucht beobachtet? Informieren Sie die Polizei!“
„Ich habe an dem Tag das Fahrzeug gar nicht fahren können, weil ich im Urlaub war. Das war mein erster Urlaubstag“, übersetzte der Dolmetscher. Deshalb hatte der Angeklagte Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt. Eine Bescheinigung der Firma über den mehrtägige Urlaub legte er gleich auch noch vor.
Chef als Zeuge nicht erschienen
Der Chef war zur Verhandlung geladen, aber nicht erschienen. Amtsrichter Eberhard Fisch rief in der Firma an, um sich zu erkundigen, ob er noch zu erwarten sei. Es meldete sich sein Bruder, der ebenfalls Geschäftsführer ist. Er sagte am lautgestellten Telefon, dass seine Mitarbeiterin wohl den falschen Namen in die Liste eingetragen hätte und der Polizei deshalb der falsche Name (der des Angeklagten) genannt worden sei. Da der Geschäftsführer beim Telefonieren selber unterwegs war und deshalb keine Einsicht in den Computer hatte, konnte er nicht sagen, wer tatsächlich am Steuer saß.
Für Amtsrichter Fisch hörte sich die Aussage glaubhaft an. Aber der Amtsanwältin „reichte es definitiv nicht, das Verfahren einzustellen“. Es könnte sein, dass es ein Versehen war, aber „wir müssen die Sache aufklären“.
Hinzu kommt, dass der Vermieter den Fahrer gar nicht gesehen hatte und der Mieter konnte in der Hauptverhandlung nicht sagen, ob der Angeklagte am Steuer saß oder nicht. Wenigstens ist der Vermieter nicht auf dem Schaden sitzengeblieben. Er hatte einen Anwalt eingeschaltet. Der hatte für ihn die Schadenssumme eingeholt. Ob sie von einer Versicherung kommt, konnte er auch nicht sagen. Glück für den Vermietern. Denn oftmals bleiben die Opfer auf ihren Schäden sitzen, wenn der Täter nicht erwischt wird.
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Die Hauptverhandlung wurde unterbrochen. Der Geschäftsführer des Paketzustelldienstes und die Mitarbeiterin, die nach Aussage des Geschäftsführers am Telefon, wegen einer Langzeiterkrankung momentan nicht an ihrem Arbeitsplatz ist, werden als Zeugen geladen. Die Verhandlung wird am Dienstag, 3. März fortgeführt.