Winterberg. Mitte der 70er Jahre gab es kaum Schnee in der Hochsaison – aber auch noch keine Schneekanonen. Ein Tourist löste das Problem.

Alles grün und braun rund um Winterberg – gäbe es keinen Kunstschnee, hätten die Skitouristen im bisherigen Saisonverlauf 2019/2020 keinen Spaß gehabt. Ganz neu ist dieses Problem allerdings nicht, weshalb Franz Walter Kühle vor über 40 Jahren eine Idee hatte.

Der begeisterte Skifahrer wohnte damals in Warstein, machte regelmäßig Urlaub in Winterberg und schaute dort Mitte der 70er Jahre in die Röhre: Einige Jahre lang war um Weihnachten und Neujahr kein Schnee gefallen, Kühles Wintervergnügen fiel aus.

Winterberg hatte damals noch keine Schneekanonen

Der Wintersport in Winterberg war damals völlig auf Naturschnee angewiesen. Beschneiungsanlagen gab es noch nicht; die erste wurde 1995 an der Ruhrquelle errichtet.

In dieser Situation sprang Kühle ein Zeitungsartikel ins Auge – er ist sich sicher, es war in der Westfalenpost – in dem von einer Skipiste aus Kunststoffmatten im Schwarzwald die Rede war.

Skilaufen auf Kunststoffmatten heute

Skilaufen auf Matten ist heutzutage wieder im Kommen. So wurde erst 2019 in Kopenhagen eine 450 Meter lange Piste auf dem Dach einer Müllverbrennungsanlage eröffnet.

Moderne Matten müssen nicht mehr bewässert werden, wie es in den 70ern der Fall war. Es gibt verschiedene Hersteller, die damalige Firma Alpina existiert allerdings nicht mehr.

Er kontaktierte die Firma Alpina, die diese Matten herstellte und vertrieb. Zusammen mit dem Inhaber Peter Nesselrath fuhr er in den Schwarzwald, schaute sich die Piste an und versuchte dann, die Winterberger von seiner Idee zu überzeugen.

„Ich sprach beim Bürgermeister Josef Schnorbus vor und der war begeistert.“ Auch der Skiklub habe auf Anfrage sehr positiv reagiert.

Also ging man daran, einen Liftbetreiber zu suchen, der Interesse hatte, mit dem neuen Unternehmen – Kühle und Nesselrath gründeten eigens eine Gesellschaft – zu kooperieren. Man fand ihm im Betreiber des Herrlohliftes. „Vertraglich wurde vereinbart: Wir kassieren, wenn kein Schnee liegt und er kassiert, wenn Schnee liegt.“

Für die Vorbereitung wurde eine Wasserleitung vom „Alten Kurhaus“ (dem heutigen Rathaus) bis zum Herrlohhang verlegt. Denn damit es auf der künftigen Piste mit ihren rund einen Zentimeter langen Borsten auch gut rutschte, brauchte es etliche in die Matten integrierte Sprinkler, die sie dauerhaft feucht hielten.

Lieferung auf Lastwagen

Auch an die Werbung wurde gedacht. Franz Walter Kühle erinnert sich an Fahnenmasten, Zeitungswerbung und wie er „im ganzen Sauerland“ umhergefahren sei, um Plakate aufzuhängen.

Eines Tages war es soweit: Auf Lastwagen wurden die Matten geliefert. „Die wurden dann miteinander verbunden, dafür hatten sie Ösen.“ Am Hang verankert wurden sie mit armlangen Nägeln, die man ins Erdreich trieb. Fertig. „Außer dem ständigen Bewässern gab es eigentlich keinen weiteren Aufwand.“

1500 Quadratmeter groß war die künstliche weiße Fläche schließlich, am 10. Oktober 1976 ging sie in Betrieb. Auf Fotos ist eine separate Spur für die Liftbenutzer zu erkennen.

Schreiben zur Ankündigung der Eröffnung 1976

„An alle Freunde des Skisports! Am Sonntag, dem 10. Oktober 1976, wird in Winterberg die Skisaison eröffnet! Die neue Alpina-Kunststoff-Skipiste bietet echtes Skivergnügen für Skifahrer aller Könnensstufen. Sie ist ideal geeignet für jedes Skischulprogramm, für den sportlichen Skilauf und sogar für Slalomrennen. Man fährt handelsübliche Ski. Die Laufflächen werden nicht beschädigt. Die weiche Pistenoberfläche macht Stürze ungefährlich. Die „Skischule Winterberg“ unter Leitung von Karl Peis veranstaltet Vorsaison-Skikurse, damit Sie bestens vorbereitet in den nächsten Ski-Winter starten können. Kommen Sie jetzt zum Ski-Kurs nach Winterberg!!! Sie werden begeistert sein.

Betriebszeiten: jeden Samstag, Sonn- und Feiertag von 10.00 - 17.00 Uhr und n. Vereinbarung.

Fahrpreise: Tageskarte 25 DM, 20 Fahrten 13 DM, 10 Fahrten 7 DM.

Skischule Winterberg, Kurs-Gebühren: 1 Tageskarte für Erwachsene 12 DM, 1 Tageskarte für Kinder 10 DM, 5 Wochentage für Erwachsene 55 DM, 5 Wochentage für Kinder 45 DM. Auskunft und Anmeldung: Verkehrsamt Winterberg, 5788 Winterberg. Perfekter Skisport - ohne Schneesorgen!“

Der Skiklub habe auf der Piste trainiert und sogar Rennen veranstaltet; die Pokale habe es danach in der nahen Hütte gegeben.

Das Fahrgefühl im Vergleich zu Schnee

Natürlich probierte Kühle die schneelose Piste auch selbst aus und empfand das Fahrgefühl als prima. „Es gleitet sehr gut. Man muss etwas stärker aufkanten als auf Schnee, und die Atmosphäre ist natürlich eine etwas andere. Aber es war ein guter Ersatz. Meine Kinder haben auch auf dieser Piste Skifahren gelernt.“

Theoretisch wäre auf der Kunstpiste ein Ganzjahresbetrieb möglich gewesen. Aber im Sommer habe damals keiner am Skifahren Interesse gehabt, erinnert sich Kühle. „Man sagte mir: ,Im Sommer gehen die alle auf den Fußballplatz und nicht auf die Piste‘.“

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Im Winter aber sei es zwei, drei Jahre lang „richtig gut gelaufen“. Dann aber sei wieder reichlich Naturschnee gefallen und die Angelegenheit unrentabel geworden.

So blieb das Skivergnügen auf Matten eine Randnotiz der lokalen Wintersportgeschichte. Aber wer weiß, ob der Klimawandel nicht eines Tages für eine Neuauflage sorgt?