Brilon. Kuriose Gerichtsverhandlung in Brilon: Nicht nur Angeklagte, sondern auch ein Schöffe kassierte eine Strafe.
Es ging um räuberischen Diebstahl, vorsätzliche Körperverletzung und gewerbsmäßigen Diebstahl. Doch die erste Strafe war gleich zu Beginn der Verhandlung fällig: Sie traf einen Schöffen.
Weil der nämlich unentschuldigt dem Termin ferngeblieben war, verhängte Vorsitzender Richter Hans-Werner Schwens auf Antrag von Staatsanwalt Stiewe ein Ordnungsgeld von 300 Euro. Drin gewesen wären sogar bis zu 1000 Euro. Der ehrenamtliche Richter hat aber noch eine Chance: Falls er eine ausreichende Entschuldigung nachreicht, kann die Entscheidung ganz oder teilweise zurückgenommen werden.
So aber musste erst ein Hilfsschöffe herbeigezogen werden, und deshalb begann die Verhandlung gegen den 43-Jahre alten Mann aus Dortmund sowjetischer Herkunft mit einer einstündigen Verspätung.
Vater wollte nicht mit nach Deutschland übersiedeln
Die Herkunft des Angeklagten spielte in diesem Verfahren eine nicht unerhebliche Rolle. Anfang der 90er Jahre kam er mit seiner Mutter aus Kasachstan in den Westen. „Meine Oma war Deutsche“, sagt er, und deshalb zog es auch nur seine Mutter in die Bundesrepublik. Der Vater - „Halb Tschetschene, halb Russe.“ - blieb zurück. Halt fand der Angeklagte als junger Mann hier nicht. 16 Vorstrafen hat er sich seit 1997 Jahre eingehandelt, mehrere Jahre verbrachte er bereits hinter Gittern. Mit sechs Jahren Haft für zwei Vergewaltigungen ging alles 1997 los, Einbrüche, Drogendelikte und immer wieder Diebstähle zur Finanzierung seiner Sucht schlossen sich an.
Wenn er mal wieder draußen ist, lebt er bei seiner Mutter - „Sie führt ein sehr bürgerliches Leben, kümmert sich um ihn und macht sich Sorgen“, sagte die Bewährungshelferin, und: „Sein Leben ist von Drogen geprägt.“ „Wenn er seine Sucht in den Griff bekäme, bekäme er auch sein Leben in den Griff, meinte sie.
Filialleiterin versuchte den Dieb festzuhalten
„Voll drauf“ mit Heroin und Kokain war der 43-Jährige auch, als er unmittelbar nach Weihnachten vergangenen Jahres in Olsberg zuschlug. Die Stadt kannte er von einer abgebrochenen Suchttherapie.
Erster Tatort: die Drogerie Rossmann. Dort beobachteten zwei Mitarbeiter, wie er insgesamt drei Packungen Kosmetika in eine Tasche steckte.
Als er ohne zu bezahlen das Geschäft verließ, sprach ihn die Filialleiterin an und griff nach der Tasche. Dabei entstand vor der Ladentür ein Gerangel, bei dem der 43-Jährige die Filialleiterin mit dem Arm wegschubste und sie stürzte. Drei Packungen mit Kosmetika purzelten dabei aus der Tasche - eine für das Urteil entscheidender Umstand. Denn da sich die Beute noch in der Tasche befunden hatte, als die Filialleiterin ihn zur Rede stellte und der Angeklagte sich gegen die Herausgebe gewehrt hatte, sah das Gericht die Tat erschwerend als räuberischen Diebstahl an.
An Modehaus Außenständer mit Kleidung abgeräumt
Hätte er die Tasche vorher weggeworfen, um zu fliehen, wäre das ein ein einfacher Diebstahl.
So wie einen Tag später. Da steckte er im Hit vier Flaschen Marken-Champagner und einen edlen Whiskey ein. Danach ging er zum Modehaus Cruse und räumte dort einen Außenständer ab -mehrer Strickjacken, Pullover und andere Textilien im Wert von knapp unter 1000 Euro. Dabei wurde er jedoch beobachtet und deshalb hatte die Polizei auch leichtes Spiel, den Mann anhand der Personenbeschreibung wenig später am Bigger Bahnhof aufzuspüren. Seine Beute hatte er in zwei Umhängetaschen und einem Trolley verstaut.
Richter Schwens rüffelte den „desolaten Zustand“ der Anklageschrift, die Nummerierung sei konfus, Aussagen unvollständig und verstreut, zudem hatte die Polizei nicht alle entwendeten und sichergestellten Teile sauber dokumentiert.
Drei Einzelstrafen zusammengefasst
Die Gesamtstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung setzt sich wie folgt zusammen:
16 Monate für den räuberischen Diebstahl und vorsätzliche Körperverletzung in einem minderschweren Fall.
8 Monate für den gewerbsmäßigen Diebstahl im Modehaus Cruse und 6 Monate mit der gleicher Begründung für die Tat im Hit-Markt.
In diese Wunde legte als Verteidigerin Rechtsanwältin Renner (Bielefeld) ihre Finger. Ihrer Ansicht nach seien die gestohlenen Kosmetika nicht eindeutig zuzuordnen; zudem habe ihr Mandant keine Beutesicherungs-Anstalten gemacht, sondern sei einfach bloß weggerannt. So wollte sie den gravierendsten Anklagepunkt, den räuberischen Diebstahl, vom Tisch haben.
Die Taten als solche hatte der 43-Jährige im übrigen auch zugegeben. Da alles unbeschädigt wieder den Läden zurückgegeben werden konnte, sei kein wirtschaftlicher Schaden entstanden, meinte die Verteidigerin. Deshalb erschien ihr eine Haftstrafe von 14 Monaten ausreichend.
Gericht orientiert sich am Plädoyer des Staatsanwalts
Staatsanwalt Stiewe sah die Anklage rundum bestätigt und hatte für die drei Anklagepunkte insgesamt zwei Jahre und acht Monate Haft als Einzelstrafen gefordert. So sah es auch das Gericht und verurteilte den 43-Jährigen zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung. Auf den Angeklagten zu kommt noch ein weiteres Jahr aus einem noch nicht rechtskräftigen Urteil aus Dortmund vom vergangenen Monat.
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Richter Schwens legte dem Angeklagten nahe, einen rechtskräftigen Schlussstrich unter die beiden Verfahren zu bekommen. Erst dann kann er einen neuen Anlauf unternehmen, in einer Therapie von seiner Sucht loszukommen. Bis dahin muss der aus der U-Haft in Fußfesseln vorgeführte Angeklagte weiter einsitzen. Richter Schwens: „Es sind noch drei Jahre offen. Das ist ein Anreiz zur Flucht.“