Hallenberg. . Otmar Maurer war im Zweiten Weltkrieg 1944 hautnah dabei. Er erzählt von Schicksalsschlägen und wieso er immer die selben Lottozahlen tippt.

5, 6, 10, 19, 44 und 48. Wenn Otmar Maurer aus Hallenberg Lotto spielt, tippt er auf diese Zahlen. Sie stehen für einschneidende Erlebnisse in seinem bisher 93-jährigen Leben. Eins davon ist der 6.6.1944. Heute vor 75 Jahren. D-Day. Oder der „Sturm auf die Normandie“.

Otmar Maurer ist als Wehrmachtssoldat im Zweiten Weltkrieg an den berühmt-berüchtigten Steilhängen von „Omaha Beach“ dabei, als die alliierten Streitkräfte bei der “Operation Overlord“ die Küste in Nordfrankreich stürmen. Rund 150.000 amerikanische, kanadische, britische und französische Soldaten kommen im Morgengrauen mit Landungsbooten von England aus auf die Küste zu, davon 40.000 allein an der zehn Kilometer breiten Omaha Beach.

Kanonenfutter für die deutschen Truppen

Sie springen todesmutig ins seichte Wasser und rennen in Richtung Strand: Schieres Kanonenfutter für die deutschen Truppen, die in der Steilküste in ihren Stellungen liegen und von dem Angriff völlig überrumpelt werden. Gleichzeitig fliegen rund 1000 Jagdbomber in Richtung Festland, die unzählige Fallschirmspringer dabei haben.

Otmar Maurer gehört damals zur 116. Panzerdivision, auch bekannt als die „Windhund-Division“, die seit Mai in Nordfrankreich stationiert ist. Einige Monate vorher erst ist er nach der Volksschule und seiner Ausbildung bei der Stadtverwaltung zur Wehrmacht eingezogen und in Dänemark zum Panzerfahrer ausgebildet worden.

Briten führen in die Irre

Er erzählt, wie er und seine Kameraden vom Angriff der Alliierten völlig überrascht wurden. Denn Adolf Hitler hatte seinen „Atlantik-Wall“ für unüberwindbar gehalten und war - wenn überhaupt - von einem Angriff 300 Kilometer weiter nördlich an der schmalsten Stelle des Ärmelkanals zwischen Calais und Dover ausgegangen. Deshalb hatte er dort Truppen positionieren lassen. Um diesen Irrglauben zu untermauern, hatten die Briten am gegenüberliegenden englischen Ufer sogar eine Armee aus Soldaten und Panzern aus Gummi und Pappe aufstellen lassen.

Otmar Maurer aus Hallenberg war als 18-jähriger Wehrmachtssoldat am 6. Juni 1944 beim Sturm auf die Normandie dabei.
Otmar Maurer aus Hallenberg war als 18-jähriger Wehrmachtssoldat am 6. Juni 1944 beim Sturm auf die Normandie dabei. © Rita Maurer

Als in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni alliierte Kriegsschiffe und Landungsboote auf dem Atlantik gesichtet werden, halten die Verantwortlichen auf deutscher Seite das für eine bewusste Irreführung und reagieren nicht. Der befehlshabende Generalfeldmarschall Erwin Rommel, bekannt als „Wüstenfuchs“ aus den Afrikafeldzügen und später von den Nazis zum Selbstmord gezwungen, befand sich im Urlaub zuhause.

Deutsche wurden überrascht

„Das kann sich heute keiner vorstellen. Der Atlantik war erst schwarz von Schiffen und Soldaten, später rot vor Blut“, erinnert sich Otmar Maurer kopfschüttelnd. Als Fahrer kann er nur durch einen kleinen Sehschlitz aus dem Panzer auf den Küstenabschnitt vor ihm gucken. Die deutschen Truppen sind in Bunkerstellungen in den Steilküsten stationiert und in der Unterzahl. Sie sehen fassungslos, wie tausende von alliierten Soldaten in flachen Landungsbooten ankommen und durch das Wasser auf die Strände zukommen. Und sie schießen, so wie es ihnen beigebracht wurde, um die Heimat zu verteidigen. Ausgestattet sind viele von ihnen mit dem MG 42, dem seinerzeit modernsten Maschinengewehr, das bis 25 Schüsse pro Sekunde abfeuern konnte und „Hitlersäge“ genannt wurde.

Otmar Maurer aus Hallenberg war als 18-jähriger Wehrmachtssoldat am 6. Juni 1944 beim Sturm auf die Normandie dabei.
Otmar Maurer aus Hallenberg war als 18-jähriger Wehrmachtssoldat am 6. Juni 1944 beim Sturm auf die Normandie dabei. © Rita Maurer

Wer einmal den Beginn des Films „Der Soldat James Ryan“ gesehen hat, bekommt eine ungefähre Ahnung, was sich am 6. Juni 1944 über Stunden an den Stränden der Normandie abgespielt hat. Eine tiefe Narbe in der Mitte der Stirn und schreckliche Bilder im Kopf, die sind Otmar Maurer von diesem geschichtsträchtigen Tag geblieben. Eine Granate explodierte vor seinem Panzer, ein Splitter traf ihn an der Stirn. „Da habe ich ein Stück vom Hemd drum gebunden, für mehr war keine Zeit.“ Was ist mit seinen Kameraden passiert? Er zuckt nur mit den Schultern, schüttelt wieder den Kopf und guckt mit leerem Blick aus dem Fenster. Sie haben nicht überlebt.

Die Alliierten schaffen am „D-Day“ die Landung auf dem europäischen Festland – allerdings mit blutigem Preis. Tausende von Soldaten sterben im Kugelhagel, durch Minen oder ertrinken. Dennoch schaffen sie es, bis zum Abend teilweise fast zehn Kilometer ins Landesinnere vorzustoßen. Mehr als 150.000 alliierte Soldaten befinden sich nun auf französischem Boden und Deutschland damit in einem Zweifrontenkrieg. Es ist der Anfang vom Ende der Nazi-Diktatur

In Gefangenschaft bis 1948

Für Otmar Maurer geht der Krieg weiter. Seine Panzerdivision wird in Richtung der deutschen Grenze zurückgedrängt. Am 12. September eroberten die Alliierten mit Aachen die erste deutsche Großstadt. Nach einem Zwischenerfolg der Wehrmacht an der legendären Brücke von Arnheim wurde auch Otmar Maurers Division Anfang Oktober dorthin verlegt. Am 5. Oktober geriet er dort in französische Kriegsgefangenschaft - daher rühren die Ziffern 5 und 10 in seinen Lottozahlen.

Otmar Maurer aus Hallenberg war als 18-jähriger Wehrmachtssoldat am 6. Juni 1944 beim Sturm auf die Normandie dabei.
Otmar Maurer aus Hallenberg war als 18-jähriger Wehrmachtssoldat am 6. Juni 1944 beim Sturm auf die Normandie dabei. © Rita Maurer

Fotos aus seiner Zeit an der Front hat Otmar Maurer nicht. Nicht mehr. Sie wurden ihm bei der Gefangennahme mitsamt der Brieftasche abgenommen. Einige wenige Bilder hat er aus dem französischen Lager mitgebracht – eingetauscht gegen ein paar Zigaretten von einem Wachposten, mit dem er sich gut verstanden hat. „Maureeeeeeeer. Ich höre es noch bis heute, wie er mich mit seinem französischen Akzent gerufen hat. Wenn andere Gefangene gestorben waren, musste ich ihm helfen, Gruben auszuheben und sie zu verscharren. Die Städter konnten ja nicht mit Hacke und Schüppe umgehen.“

1948 wird Otmar Maurer entlassen. Die letzte von seinen Lottozahlen. Zumindest die hat ihm Glück gebracht.

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