Brilon. . Der Ex-Raser Nico Klassen organisiert legale Autorennen. Eines findet bei Brilon statt. Der Tod bei einem Straßenrennen brachte ihn zum Umdenken.
WP-Autorin Jutta Maas besucht das Viertel-Meilen-Rennen. Sie schildert ihre Eindrucke vom Rennwochenende – und revidiert das ein oder andere Vorurteil, das sie hatte: Schon beim Aussteigen auf dem Flugplatz-Gelände in Brilon Thülen höre ich das dumpfe Dröhnen der Motoren. HSK-Kennzeichen sind kaum zu sehen. Die Leute, mit denen ich zum Rennen rüber gehe, sind aus Dortmund, Gütersloh und Kamp-Lintfort angereist. Ohrenbetäubende Knalle durchziehen das Gelände. Noch habe ich keine Ahnung, was eigentlich genau passiert.
Zu 100 Prozent konzentriert auf der Strecke
Wie funktioniert so ein Viertel-Meilen-Rennen? „Hier werden illegale Straßenrennen als legale Variante durchgeführt,“ bringt es jemand auf den Punkt. Ich gehe auf die Stelle zu, wo immer wieder dicker Qualm aufsteigt. Hier und da versperrt mir rot-weißes Flatterband den Weg. Ich kann aber problemlos zwischen den Rennwagen durchlaufen.
Die Wagen warten in ordentlichen Zweierreihen vor dem Start. Richtige Rennwagen mit auffälligen, fast angsteinflößenden Lackierungen stehen hier neben ausgehöhlten Kleinstwagen und normalen Straßenfahrzeugen. Ich kann die Gesichter hinter den Steuern erkennen. Manche tragen einen Helm. Die meisten dieser Rennfahrer sehen friedlich und normal aus: Leute, die mich morgen in der Bank beraten oder meine Bremsen reparieren. Was hatte ich eigentlich erwartet?
Bís zwei Uhr letzte Nacht an am Wagen gebastelt
Ich sehe drei Männer unter einem Pavillon vor einer geöffneten Motorhaube stehen. Andächtig irgendwie. Cees Gorter aus Numspeet in Holland hat bis zwei Uhr letzte Nacht an seinem Wagen gebastelt und ist dann rüber gekommen nach Thülen.
„Es ist einfach unbeschreiblich so ein Rennen zu fahren,“ sagt er. Beim Start und auch während des Rennes sei er zu 100 Prozent konzentriert. Aber wenn er hinten angekommen sei und zurück fahre, könne er nur noch zittern. Was seine Familie davon hält, frage ich ihn? „Ich musste meiner Frau und den Jungs versprechen, dass ich heile wieder komme.“ Etwas ungewohnt sei das Fahren für ihn. „Man muss die ganze Zeit versuchen, den Wagen ruhig zu halten, damit er nicht ausbricht. Das ist nicht einfach und liegt daran, dass wir fast 1000 PS haben,“ erklärt Cees. Jetzt hat es schon angefangen zu nieseln. Ich frage, ob er heute nochmal fährt. „Nein, das wäre Wahnsinn mit diesen Slicks,“ sagt er. „Ich habe es versprochen.“
Es riecht nach verbranntem Gummi
Am Start angekommen stehe ich in dicken Qualmwolken. Immer nur bis kurz vor den Lotsen fahren die Wagen und lassen dann mit einem grandiosen Getöse die Reifen durchdrehen. Es riecht nach verbranntem Gummi und sieht auch so aus.
Rennen auf dem Flugplatz im Thülener Bruch
„Nein, die wollen nicht angeben,“ höre ich jemanden sagen. „Schau mal, da wird Wasser hingeschüttet. Wenn die Reifen so durchdrehen, wird das Gummi gekocht und dadurch geschmeidig gemacht.“ Ich staune auch darüber, in welchen kurzen Abständen hier die Zweierrennen gefahren werden. Alle paar Minuten startet Schlag auf Schlag ein Duell. „Du kannst auch teilnehmen,“ lädt mich Nico Klassen ein. „Jeder kann mitmachen.“ Ein Tagesticket für Teilnehmer kostet 35 Euro.
Rennen findet zum elften Mal in Thülen statt
„Dafür ist man aber auch haftpflichtversichert“, erklärt er mir. Er organisiert dieses Rennen am Flugplatz Thülen. „Ich mache das schon seit 2006 und biete jedes Jahr vier legale Viertel-Meilen-Rennen an, um die Leute von der Straße und aus der Illegalität zu holen,“sagt Klassen.
Eines Tages habe ihm ein netter Typ - wie die Sauerländer eben so sind - von dem Gelände in Thülen erzählt. Nico Klassen sagt das ohne Ironie. Er mag die Sauerländer, weil sie so unkompliziert sind. Der Behördenkram sei auch total problemlos über die Bühne gegangen. Das sei nicht überall so. „Und jetzt bin ich schon zum elften Mal hier in Thülen,“ resümiert Klassen und schaut sich zufrieden auf dem Gelände um.
Süchtig nach dem Kick beim Straßenrennen
Passiert ist Gott sei Dank noch nie etwas Schlimmes bei einem seiner legalen Rennen. „Schon mal ein Dreher auf der Bahn - das ist gerade vor ein paar Minuten auch hier passiert. Aber das gehört dazu.“ Privat hatte Nico Klassen nicht immer so viel Glück. Zwei Tage nach seinem 18. Geburtstag fuhr er in seiner Heimatstadt Hamm sein erstes illegales Rennen. Süchtig war er in den folgenden zwei Jahren nach diesem Kick.
Der Tod als Wendepunkt im Leben
Bis zu jenem tragischen Tag, als er etwas abseits des Geschehens stand und plötzlich fremde Geräusche hörte. Ein Bremsen, ein Aufheulen, einen Schrei. Besonders deutlich hat er noch diesen dumpfen Knall im Ohr. Es war, als würde man als Kind einen Schneeball an ein Verkehrsschild werfen. Das war die Sekunde, in der sein Freund mit seinem Motorradhelm an einem Schild hängen blieb. Er war versehentlich von einem Kontrahenten abgedrängt worden, weil dessen Wagen ausbrach. Der Freund war sofort tot und Nico Klassen fragte sich: Was tue ich hier? Warum sitze ich nicht irgendwo und trinke einfach eine Limo. Das war der Wendepunkt. „Wenn ich mit meinen legalen Rennen dazu beigetragen habe, dass nur ein tödlicher Verkehrsunfall verhindert wurde, dann habe ich alles richtig gemacht,“ sagt Nico Klassen.
Die unbeteiligte Autofahrerin aus Moers, die vor ein paar Tagen bei einem mutmaßlichen illegalen Rennen schwer verletzt wurde, ist gestorben. Der Fahrer ist auf der Flucht. Er wollte das sicher nicht. Wollte nur den Kick, den Adrenalinstoß. Wäre er doch besser zu Nico Klassen gegangen, denke ich.
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